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Judentum und Israel
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Seminar

Verfassungsverständnis und
Verfassungsgerichtbarkeit im
internationalen Vergleich

Israel

Leitung: Prof. Dr. Gerhard Robbers,
Universität Trier, WS 1996/97

Yoram Moyal

II. Staatsorganisation

1. Die Knesset

2. Der Staatskontrolleur

3. Die Regierung

4. Der Staatspräsident

5. Das Gerichtswesen

a) Die einzelnen Gerichte
b) Verfassungsgerichtbarkeit

II. Staatsorganisation

1. Die Knesset

Die Knesset ist das höchste Organ im Staate; sie ist Konstitutive und Legislative in einem und verkörpert darüber hinaus die staatliche Souveränität des israelischen Gemeinwesens. Aufgrund ihrer Doppelfunktion als Legislative und Konstitutive hat sie ferner die außergewöhnliche Kompetenz, mittels einer einfachen Mehrheitsentscheidung zukünftige Parlamente an ihre Entscheidung zu binden.

Die Knesset setzt sich aus 120 Abgeordneten zusammen. Ihre Wahl für eine vierjährige Amtsperiode erfolgt in allgemeinen, direkten, gleichen, geheimen und proportionalen Landeswahlen. Jeder in Israel lebende Staatsbürger ist mit Vollendung des 18. Lebensjahres wahlberechtigt, und soweit ihm das Recht nicht gerichtlich abgesprochen wurde, ab dem 21. Lebensjahr wählbar. Gesetze werden in der Regel durch einfache Mehrheit in einer offenen Abstimmung beschlossen. Diese Gesetze sind für alle Staatsorgane bindend, einschließlich für die Knesset selbst.

Ein wichtiger Faktor im Gesetzgebungsmechanismus kommt den ständigen Ausschüssen zu. Hier findet eigentliche Ausarbeitung der vom Plenum eingebrachten Gesetzesvorschläge statt. Desweiteren üben sie Kontrolle über die ministeriellen Verordnungen aus, entweder, wenn diese ‘untere’ Gesetzgebung in ihren Arbeitsbereich fällt, oder wenn sie strafrechtlicher Natur sind, denn dann können diese Bestimmungen nicht ohne zusätzliches Einverständnis des zuständigen Ausschusses in Kraft treten.

Das Parlament kontrolliert die Regierung mittels Mißtrauensabstimmungen, der Verabschiedung des Haushalts und dem parlamentarischen Fragerecht. Das parlamentarische Fragerecht beinhaltet eine Verpflichtung der Regierung, die benötigten Informationen der Knesset zu übergeben. Auf Anfrage haben die Minister dem Plenum bzw. den Ausschüssen Rede und Antwort zu stehen und unter der Voraussetzung eines Drittels der Stimmen der Knessetmitglieder kann selbst der Premier-Minister veranlaßt werden, bei parlamentarischen Debatten anwesend zu sein.

Ferner übt das Parlament Kontrolle mit dem ihr unterstehenden Staatskontrolleur aus.

Maoz, A., System of Government in Israel, S, 15f

2. Der Staatskontrolleur

Der Staatskontrolleur wird auf fünf Jahre auf Vorschlag der Knesset vom Präsidenten ernannt. Er arbeitet unabhängig von der Regierung und ist nur dem Parlament verpflichtet. Seine Funktion ist die Kontrolle der staatlichen Verwaltung im weitesten Sinne, nicht allein die Ministerien, auch die Armee, die selbständigen staatlichen Betriebe und Institute und jedes kulturelle und wirtschaftliche Unternehmen, woran der Staat oder ein staatlicher Betrieb oder eine lokale Behörde in irgendeiner Weise beteiligt ist. Der Staatskontrolleur kann zur Untersuchung dieser Einrichtungen jede Information, jedes Dokument, Erklärungen oder anderes notwendiges Material verlangen, welches zur Aufklärung seiner Untersuchung beiträgt. Die hieraus stammenden Ergebnisse und Meinungen werden regelmäßig von der Knesset veröffentlicht. Zwar stehen dem Staatskontrolleur keine exekutiven Befugnisse zu, doch aufgrund des von seinen Berichten ausgehenden öffentlichen Drucks auf die Regierung ist sein Wirkungsgrad nicht zu unterschätzen; manche sehen in ihm sogar das effektivste Organ zur Kontrolle der Exekutive.

3. Die Regierung

Die Regierung als oberstes Organ der Exekutive besteht aus einem Kabinett, dem der Premier-Minister als primus inter pares vorsteht.

Seit 1992 gilt, - und dies wurde mit der Wahl zur 14ten Knesset 1996 erstmals angewendet - daß der Premier-Minister in allgemeinen, freien und geheimen Wahlen direkt gewählt wird. Mit Zustimmung der Knesset ernennt er die Minister und kann ihren Geschäftsbereich ändern. Minister und Vertretender Minister können nach seinem Ermessen entlassen werden; sie sind außerdem an seine Weisungen gebunden. Inwieweit die Weisungsgebundenheit und Entlassungskompetenz praktische Auswirkung hat, ist fraglich, denn bei der aktuellen politischen Situation von Mehrkoalitions-Regierungen ist zweifelhaft, ob der Premier diese Befugnisse ohne weitreichende Konsequenzen für seine Position wahrnehmen kann. Desweiteren hat er bei Abstimmungen im Kabinett, die Stimmengleichheit zur Folge haben, die ausschlaggebende Stimme.

Die einzelnen Minister, haben daneben die von der Regierung übertragene Kompetenz, Verordnungen (subsidiary legislation) zur Regelung der in ihrem Geschäftsbereichen liegenden Angelegenheiten zu erlassen. Allerdings übersteigt die Anzahl dieser Verordnungen regelmäßig die Zahl der von der Knesset verabschiedeten Gesetze darüber hinaus kommt es gelegentlich sogar vor, daß grundlegende Normen durch diese ‘untergeordnete Gesetzgebung’ geregelt werden. Diese Form der Gesetzgebung

Maoz, A., The Institutional Organization of the Israeli Legal System, S. 18f

Bin-Nun, A., Einführung in das Recht des Staates Israel, S. 38f

so Maoz in: The Institutional Organization of the Israeli Legal System, S. 17

Maoz, A., The Institutional Organization of the Israeli Legal System, S. 26

Verliert die Regierung das Vertrauen der Knesset, so kann der Premier-Minister mit Zustimmung des Präsidenten das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Die Minister sind für ihre Handlungen gemeinsam vor der Knesset verantwortlich; ein erfolgreiches Mißtrauensvotum führt daher automatisch zur Selbstauflösung. Bei Neuwahlen werden Knesset und Premier-Minister immer gemeinsam gewählt.

4. Der Staatspräsident

Der Präsident steht an der Spitze des Staates; er wird alle 5 Jahre gewählt, wobei eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Die Funktionen des Präsidenten sind hauptsächlich repräsentativer Natur, doch fallen ihm auch formelle und im Strafprozeß auch materielle Aufgaben zu.

Formale Aufgaben des Präsidenten sind die Unterzeichnung der verabschiedeten Gesetze (ohne Kontrollmöglichkeiten über deren Inhalt), die Eröffnung zur ersten Sitzung eines neuen Parlaments, die Ernennung von hohen Staatsbeamten, so unter anderem des Präsidenten des Obersten Gerichtshof und seiner Richter, der Richter der religiösen Gerichte, des Gouverneurs der israelischen Staatsbank und des Staatskontrolleurs. In Fragen des Strafvollzugs ist der Präsident zusammen mit dem Justizminister befugt, Begnadigungen auszusprechen, und Strafzeiten von Gefangenen zu kürzen. Dies ist vor allen Dingen für zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder von Bedeutung, da ihre Haftzeit nur durch eine solches Verfahren verkürzt werden kann.

Kontrovers wird die politische Einflußnahme des Präsidenten diskutiert. So wurden die Stellungnahmen des jetzigen Präsidenten Weizmann zum Friedensprozeß und zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften als unrechtmäßige politische Äußerungen des Staatsoberhaupts kritisiert.

5. Das Gerichtswesen

a) Die einzelnen Gerichte

Das Gerichtswesen des Staates Israel ist Hüter über die Rechtsstaatlichkeit und über die Einhaltung der individuellen Freiheitsrechte. Dies wird garantiert durch Unabhängigkeit der Richter und Gerichte und wird unterstützt durch die liberale, protektive Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof an seiner Spitze. Das Gerichtswesen ist in zwei Kategorien aufgeteilt: in die allgemeinen Gerichtshöfe (bzw. Zivilgerichte) einerseits und andererseits die "speziellen" Gerichte, ihre größten Vertreter sind die Militär- und Arbeitsgerichte sowie die Gerichte der verschiedenen Religionsgruppen. Alle Gerichtsgruppen stellen jeweils ein in sich geschlossenes System dar, einschließlich einer unabhängigen Verwaltung, einer eigenen Gerichtshierarchie und einem eigenen Berufungsverfahren. Der Oberste Gerichtshof fungiert generell als oberstes Berufungsgericht für die ‘Zivilgerichte’ und ausnahmsweise für die ‘speziellen’ Gerichte, wenn äußerst umstrittene oder wichtige Rechtsfragen behandelt werden.

Maoz, A., The Institutional Organization of the Israeli Legal System, S. 23

Mit dem Strafrechtrevisionsgesetz von 1954 wurde die Todesstrafe für Mord abgeschafft.

The Israeli Government - How does it work ?, http//www.israel-mfa.gov.il/gov /laws/democ.html, S. 4

Das System der Zivilgerichte ist in drei Ebenen unterteilt. Auf höchster Stufe steht der Oberste Gerichtshof, gefolgt von den Distriktgerichten und den Magistratsgerichten. Die Gerichte sind sowohl für zivilrechtliche als auch strafrechtliche Angelegenheiten zuständig, wobei je nach schwere der Straftat erstinstanzlich auch die Distriktgerichte fungieren können. In erster Linie handeln sie jedoch als Berufungsgerichte. Entsprechend der britischen Rechtstradition findet sich in Israel kein in sich geschlossenes Verwaltungsrechtswesen, noch eigene Verwaltungsgerichte. Staatliche Institutionen sind vielmehr den allgemeinen Rechtsregeln unterworfen, und Gerichtsverfahren, in die staatliche Einrichtungen verwickelt sind, werden vor den allgemeinen Gerichten behandelt. Neben seiner Funktion als oberstes Berufungsgericht ist er auch oberstes Verwaltungsgericht mit der alleinigen Befugnis, prerogative writs gegen staatliche Einrichtungen und andere Institutionen oder Einzelpersonen, die aufgrund einer gesetzlichen Vollmacht handeln, auszusprechen.

Die Militärgerichte sind in erster Linie zuständig, über militärische und nicht-militärische Straftaten, die von Armeeangehörigen begangen wurden, zu richten. In den unter israelischer Verwaltung stehenden Gebieten bestehen desweiteren Militärgerichte, die befugt sind, in der Region begangene Verstöße gegen das örtliche Strafgesetz (welches nach der Besetzung beibehalten wurde) und gegen Verfügungen des Militärgouverneurs abzuurteilen. Für die Entscheidungen und Erlasse der Militärverwaltung (einschließlich der Gerichte) in den Besetzten Gebieten übt der Oberste Gerichtshof Israels richterliche Kontrolle aus, um Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung der Grundrechte zu garantieren.

Die Religiösen Gerichte stellen ein einzigartiges System im israelischen Rechtswesen dar. Sie richten über bestimmte Angelegenheiten des Familienrechts in der Anwendung von Rechtsprinzipien der jeweiligen Religion. Ihre Vorsitzenden sind keine ausgebildeten Juristen, sondern werden von den Religionsgemeinschaften nach ihren Kriterien ausgewählt. So sind orthodoxe Rabbiner Richter in den Rabbinatsgerichten der jüdischen Gemeinschaft. Die Wurzeln für diese Einrichtung liegen in der osmanischen Gerichtsbarkeit, die unter Mandatsherrschaft und später unter israelischer Verwaltung beibehalten wurde. Anerkannte Religionsgruppen sind die jüdische und die muslimische Gemeinschaften, die verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften sowie die Gemeinschaft der Baha’i Religion.

Dreyfus, F., La Cour Suprême: L’Audace du Juge, S. 62, La Cour Suprême: L’Audace du Juge, S. 62

Maoz, AMaoz, A., The Institutional Organization of the Israeli Legal System, S. 34

Bach, G.Bach, G., Die Wahrung der Menschenrechte in den verwalteten Gebieten, S. 54

Arzt, D.Arzt, D., Growing a Constitution: Reconciling Liberty and Community in Israel and the United States, S. 258

Problematisch ist die ausschließliche Gerichtsbarkeit der Rabbinatsgerichte für Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft. Die religiöse Gerichtsbarkeit ist nur auf die Vertreter der größten Gruppe innerhalb des Judentums, der Orthodoxie, übertragen worden, welche auch nur für Juden in ihrem Sinne zuständig sind. Der israelische Staat erkennt jedoch in einer viel breiter gefaßten Art und Weise die Angehörigkeit zum jüdischen Volk an, als die Regeln der Orthodoxie es zulassen. So ist eine größere Gruppe der israelischen jüdischen Bevölkerung von der Rabbinatsgerichtsbarkeit ausgeschlossen, etwa die Gruppe der äthiopischen Juden, der Kinder aus Mischehen oder der Immigranten, die nach konservativen oder reformierten Kriterien zum Judentum übergetreten sind. Dieser Ausschluß hat unter anderem zur Folge, daß eine Heirat für sie in Israel unmöglich ist, da es in Israel aufgrund der ausschließlichen Gerichtsbarkeit der religiösen Gemeinschaften auf diesem Gebiete keine Zivilehe gibt.

b) Verfassungsgerichtbarkeit

In der Abwesenheit eines formal geschlossenen Verfassungsdokuments besitzt das israelische Rechtswesen auch keinen Verfassungsgerichtshof, der die Rechtssetzung an den Prinzipien einer Verfassung messen könnte. Doch ist er bei den wenigen Grundgesetzen befugt, die Schutzklauseln gegen einfache Abänderung bzw. neuerdings einen allgemeinen Vorrang gegenüber einfachen Gesetzen innehaben derartige Eingriffe abzuwehren und somit ‘minimal’ Verfassungsgerichtbarkeit auszuüben.

Allerdings können die vom Obersten Gerichtshof aufgehobenen Verfügungen durch eine formal richtige Gesetzesänderung wieder aufgehoben werden. So wurde zum Beispiel eine Bestimmung zum Verbot der Einfuhr nicht-koscheren Fleisches zwar wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz der Berufsfreiheit aufgehoben. Doch wurde diese Anordnung nach einer Änderung des Grundgesetzes 1994 wieder in Kraft gesetzt.

Neben dieser nur sehr geringen Einflußnahme auf die Gesetzgebung hat der Oberste Gerichtshof umfassende Kompetenz, jedes verwaltungsrechtliche Handeln aller staatlichen Einrichtungen zu überprüfen, inklusive solche des Parlaments. Der Oberste Gerichtshof, obschon ohne Kompetenz, die primäre Gesetzgebung zu überprüfen, schöpft dieses Instrument in seiner ganzen Tiefe aus, um der Verpflichtung nachzukommen, die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren.

Infolge dieses Selbstverständnisses sind beispielsweise Entscheidungen ergangen über die Begnadigung von Straftätern durch den Präsidenten, über die Weigerung des Parlamentspräsidiums, bestimmte Gesetzesvorschläge zuzulassen, über die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten durch das Plenum der Knesset und über einen Erlaß des Justizministers, die militärische Rekrutierung von Yeshiva Studenten zu verschieben.

Rabinowicz, A., Human Rights in Israel, S. 263f
Barak, A., La Révolution Constitutionnelle: La Protection des Droits Fondamentaux, FN 1

Zur Einstiegsseite:
Verfassungsrecht in Israel

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Literatur

 


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