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Judentum und Israel
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Verschobene Grenzen:
Das umstrittene Westjordanland

Habbo Knoch

Das romantische Ensemble aus Olivenhainen, Haufendörfern und Schafherden, sonst Sinnbild biblischen Friedens, ist im West-Jordanland nur ein dünner Firnis des israelisch-palästinensischen Konflikts. Mit Parolen und Zeichen übersäte Betonmauern haben die palästinensischen Orte des Westjordanlands seit dem Beginn der Intifada 1987 zum Graffitiland gemacht. Die Beschaulichkeit des samarischen Berglands mit seinen grün-bräunlichen Hügeln und der schrofferen judäischen Berge wird abwechselnd von Flüchtlingslagern und mehrfach befestigten israelischen Sicherheitsanlagen durchbrochen.

Ähnlich festungsartig sind jüdische Siedlungen mit Wachposten und doppeltem Stacheldraht gesichert. Im Innern bieten Garten, Spielplätze und Schabbatruhe Lebensqualität pur. Ihre "Bauweise mit Fertigteilen beleidigt", so der israelische Schriftsteller Amos Oz, "die Steine des Ortes, die man verwarf, und verleiht der Siedlung einen israelischen Charakter, typisch für die Ebene, die übliche Mischung aus nacktem oder verputztem Beton, Aluminium, Glas und Plastik. Wie in den Vororten von Tel Aviv und Haifa." Mit diesen künstlichen Fremdkörpern eignen sich israelische Siedler und Politiker, die auf einem historischen Recht des jüdischen Volkes auf Judäa und Samaria beharren, den Landstrich Stück um Stück an.

Das 1967 besetzte Westjordanland wurde schon in den ersten Monaten nach seiner überraschenden Einnahme auch politisch okkupiert. Partei-übergreifend wuchs die Entschlossenheit, es gar nicht mehr oder nicht ohne entscheidende Zugeständnisse der arabischen Staaten herauszugeben. Judäa und Samaria galten als "Wiege unserer Geschichte", wie Moshe Dayan 1967 bewegt formulierte. Dayan, als Kommandeur der Hagana-Einheiten im belagerten Jerusalem einer der Kriegshelden von 1948 und Generalstabschef der israelischen Armee im Sinaikrieg, war kurz vor dem Krieg auf öffentlichen Druck hin zum Verteidigungsminister ernannt worden und treibende Kraft bei der Entscheidung für den Krieg gewesen. Seinem politischen Ziehvater, David Ben-Gurion, der lange Zeit selbst von einem Israel geträumt hatte, das sich mit den Grenzen des britischen Mandatsgebiets Palästina deckte, war hingegen bereits Mitte der fünfziger Jahre deutlich geworden, dass eine sentimentale Verbundenheit mit dem Westjordanland der politischen Vernunft unterzuordnen war. Bei der Wahl zwischen "Ganz-Israel" (Erez Israel haSchIema) und einem kleineren israelischen Staat mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit entschied er sich für die zweite Variante. Ben-Gurion ging davon aus, dass die im Westjordanland lebenden 600.000 Palästinenser "diesmal nicht weglaufen" würden. Er behielt recht. Der militärische Erfolg wurde bald von der "Palästinensierung" des Nahostkonflikts überlagert.

Die sozialdemokratische Mapaj und das von ihr getragene linke Parteienbündnis, der Ma'arach, waren hinsichtlich der Territorialfrage gespalten, was immer wieder zu heftigen Konflikten über den territorialpolitischen Kurs der Regierung führte und eine Modifikation der Politik der Stärke erschwerte. Erst in den achtziger Jahren gewannen in der Mapaj nach und nach die Vertreter einer kompromissbereiten Territorialpolitik vor allem durch den Einzug einer neuen Politikergeneration die Oberhand. Gemeinsam war den linken Regierungsparteien jedoch, in den besetzten Gebieten ein wichtiges Sicherheitspfand zu sehen. Der bereits wenige Wochen nach dem Ende des Sechs-Tage-Kriegs vorgelegte Plan des Arbeitsministers Jigal Allon war ein Kompromissvorschlag — auch gegenüber den gegensätzlichen Haltungen in seiner eigenen Partei. Allon ging von sicherheitsstrategischen Überlegungen aus und schlug eine Teilung des Westjordanlands nach dem Prinzip "Land gegen Frieden" vor. Im Jordangraben sollten in einem zu annektierenden, zehn bis zwanzig Kilometer breiten Streifen israelische Grenzsiedlungen entstehen. Zusammen mit weiteren Annexionen im Norden und Osten von Jerusalem sah der Plan schließlich vierzig Prozent des Westjordanlands als israelisches Gebiet vor.

Der Allon-Plan wurde nie zur offiziellen Marschroute der israelischen Politik, aber doch in Teilen umgesetzt. Noch 1967 bot die "Regierung der Nationalen Einheit" einen einseitigen Ruckzug vom Golan und aus dem Sinai gegen einen Friedensvertrag an, hinsichtlich des Westjordanlands erwartete sie hingegen territoriale Zugeständnisse Jordaniens im Bereich von Israels "Wespentaille" bei Netanya. Um den Sicherheitsanspruch zu unterstreichen, entstanden bereits im Herbst 1967 die ersten jüdischen Stützpunktsiedlungen im bis dahin dahin kaum landwirtschaftlich genutzten Jordantal, aber auch in der Gush-Ezion-Region zwischen Jerusalem und Bethlehem sowie im Großraum Jerusalem. Zehn Jahre später gab es knapp ein Dutzend dieser Siedlungen mit lediglich 5.000 Bewohnern, von denen 2.000 in Kibbuzim an der unwirtlichen Westseite des Toten Meeres lebten.

Parallel dazu begannen nationalistisch-messianisch inspirierte Juden, im Westjordanland Fuß zu fassen. Ihre Siedlungen waren illegal und wurden nicht von der Regierung gefördert, wurden aber, um absehbare Konflikte mit den Siedlungsaktivisten zu vermeiden, auch nicht verboten. Zunächst agierten die Siedler im Rahmen der Nationalreligiösen Partei, die zuvor beständiger Koalitionspartner der Arbeiterpartei war, nun aber, bedingt durch einen Generationswechsel und die Gebietseroberungen von 1967, eine enorme Rechtswende erlebte. Aus ihr ging 1974 die radikale Siedlerbewegung Gush Emunim hervor, die sich als religiös-zionistische Erneuerungsbewegung verstand und in den folgenden Jahren zum ideologischen und organisatorischen Zentrum der Siedlungsaktivitäten im Westjordanland wurde. Ihre Ideologie besteht aus vier Kernpunkten. Die Gründung Israels sieht sie als Teil eines Erlösungsprozesses, zu dem auch die Eroberung und Inbesitznahme von "Ganz-Israel" gehört. "Ganz-Israel" sei heiliges Land, das, einmal erworben, nicht mehr zurückgegeben werden dürfe. Vom säkularen Materialismus degenerierte Juden würden durch die enge Verschmelzung mit dem Land in der Siedlerarbeit das "wahre Judentum" wiederentdecken und gleichzeitig das jüdische Volk der Erlösung (Ge'ulah) näherbringen. Die staatlichen Institutionen seien zwar Ausdruck göttlichen Willens, könnten aber angegriffen werden, wenn sie heiliges Land an Nichtjuden abträten.

Nach dem Regierungswechsel von 1977 erlebte Gush Emunim einen rasanten Aufschwung. Die Siedlerbewegung profitierte ebenso wie der Likud von einem ideologischen Vakuum, das mit dem Niedergang des Mamlachtiut entstanden war Mit der Euphorie nach 1967, aber noch mehr mit der Desorientierung nach 1973, wuchs das Bedürfnis nach einer neuen ideologischen Unterfütterung der Bindung an das (neugewonnene) Land. Dessen Aneignung wurde nicht mehr, wie es die sozialistischen Zionisten jahrzehntelang getan hatten, über die Arbeit säkularer, opferwilliger Pioniere legitimiert. Statt dessen wertete der Likud mit dem Ziel, eine neue Kollektividentität zu formen, die territoriale Komponente des Zionismus auf und betonte die ursprünglichen, historischen Bindungen der Juden an das Land. So stellte Menachem Begin in seiner Regierungserklärung vom 10.Juni 1977 fest: "Das Jüdische Volk besitzt ein historisches, ewiges Recht auf Erez Israel, das Erbe unserer Vorfahren - ein Recht, das unveräußerlich ist"*. In seinem Wahlprogramm war der Likud noch deutlicher geworden. Aufgrund dieser historischen Rechte "werden Judäa und Samaria keiner fremden Regierung übergeben. Zwischen dem Meer und dem Jordan [nicht darüber hinaus, wie die Cherut-Partei Begins nach 1948 noch gefordert hatte] wird es nur israelische Souveränität geben". Die militärische Eroberung desWestjordanlands galt der neuen Regierung aus historischen Rechtsgründen als gerechtfertigt, blieb aber nach wie vor de facto mit Sicherheitsargumenten verknüpft, über die allein ein breiter nationaler Konsens in Fragen der Territorialpolitik hergestellt werden konnte.

*Anm.: Diese Aussage wurde nicht erst von Begin im politischen Zusammenhang bebutzt. Sie ist uralt. Sie ist auch Bestandteil der Unabhängigkeitserklärung vom 14.Mai 1948.

Vor dem Hintergrund dieser ideologischen Wende änderte sich Ende der siebziger Jahre die israelische Rechtsgrundlage für Bodenenteignungen im Westjordanland. Enteignungen waren nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs aus den siebziger Jahren nur aus "Gründen der nationalen Sicherheit" gerechtfertigt. Durch die Requirierung von Gebieten vor allem im Jordantal und südlich von Jerusalem hatte sich Israel zwischen 1967 und 1977 in den Besitz von einem Viertel des Bodens gebracht. Die generalstabsmässig geplanten Siedlungsprojekte der neuen Regierung, für die nach seiner Ernennung zum Landwirtschaftsminister Ariel Sharon verantwortlich war, benötigten aber größere Flächen im Kernbereich des Westjordanlands. Die Sicherheitsklausel behinderte jedoch großflächige Enteignungen, da sie Arabern ein Klagerecht einräumte.

Im Fall der geplanten Siedlung Elon Moreh kam es 1979 zu einem richtungweisenden Prozess, den enteignete Araber angestrengt hatten. Anders als Likud und Gush Emunim sah Chaim Bar-Lev, Generalsekretär der Arbeiterpartei und ehemaliger Generalstabschef, in Siedlungen wie Elon Moreh, die innerhalb dicht besiedelter, arabischer Gebiete lagen, ein hohes Sicherheitsrisiko. Sie seien ein leichtes Ziel für Anschlage und müssten im Krieg von Soldaten unter großem Aufwand verteidigt werden Das Gericht erklärte die für Elon Moreh vorgenommenen Enteignungen daraufhin für unrechtmäßig, so dass die von der Likud-Emunim-Allianz angestrebte flächendeckende Besiedlung gefährdet war. Doch bereits im April 1980 hebelte die Begin-Regierung das Urteil durch einen Beschluss aus, nach dem Enteignungen keiner Rechtfertigung durch Sicherheitsargumente mehr bedurften. Als "Staatsland" enteignet oder als Privateigentum erworben, befanden sich 1996 fünfzig Prozent des westjordanischen Bodens in jüdischer Hand.

Beim Bau neuer Siedlungen kooperierte die Likud-Regierung eng mit Gush Emunim, der 1981 die kommunale Selbstverwaltung für die Juden im Westjordanland übertragen wurde, obwohl sie nur ein Fünftel der Siedler stellte. Neue Siedlungen wurden zunächst verstreut im zentralen Bergland von Samaria angelegt, zumeist auf Anhöhen im Einzugsbereich der arabischen Dörfer. So konnte mit kleinen Orten - zwei Drittel der jüdischen Siedlungen im Westjordanland haben weniger als 300 Einwohner - und entsprechenden Straßenverbindungen relativ viel Raum kontrolliert werden. Die Likud-Regierung setzte erstmals das ideologische Programm einer "Judaisierung" des Westjordanlands politisch um und stützte es durch demographische Argumente zusätzlich ab:

Die neuen Siedlungen sollten den urbanen Großraum Tel Aviv entlasten. Östlich von ihm ist heute ein Drittel der inzwischen über 140 Siedlungen konzentriert. Im nördlichen Teil von Samaria finden sich die jüdischen Niederlassungen hingegen nur verstreut. Ein weiteres Dutzend liegt zwischen Jerusalem und Jericho, und mehr als dreißig haben sich südwestlich von Bethlehem zwischen die arabischen Dörfer gedrängt.

1996 gab es nach offiziellen Angaben etwa 130.000 jüdische Siedler im Westjordanland. Die Friedensbewegung bezweifelt diese Zahlen. Überhöhte Angaben sollten lediglich der Forderung nach neuen Siedlungen Nachdruck verleihen, obwohl viele Häuser in den bestehenden Orten leer stünden. Auf jeden Fall sind die Etappensollzahlen längerfristiger Pläne, die zwischen 500.000 und l ,5 Millionen neue Bewohner anvisierten, nicht erreicht worden. Zum einen hemmten die Große Koalition (Shamir/Peres) mitsamt der Inflationskrise Mitte der achtziger Jahre und die Regierungszeit Yitzhak Rabins zwischen 1992 und 1995 den Bau neuer Siedlungen, auch wenn beide weder den natürlichen Bevölkerungszuwachs noch den Ausbau bestehender Orte verhinderten. Selbst unter Rabin nahm die Zahl der Siedler um 25.000 zu - Indiz einer halbherzigen Politik, aber auch - wie bereits nach 1967 - des Versuchs, Konflikten mit den zum Teil militanten Siedlern aus dem Weg zu gehen.

Ein rascherer Zuwachs wurde außerdem dadurch behindert, dass die "Gebiete" - so die im Unterschied zu "besetzte Gebiete" oder "Judäa und Samaria" ideologisch unverfängliche Bezeichnung des Westjordanlands in Israel - trotz ihrer Nähe zum Zentrum des Landes infrastrukturell unterentwickelt und mit Gefahren für die hinter Sicherheitszäunen lebenden Siedler verbunden sind. Als Anfang der achtziger Jahre die Zahl der Siedlungsinteressenten zurückging, änderten Regierung und Gush Emunim ihr Konzept. Bis dahin hatten sie das Ideal eines "wiedererwachenden Juden" propagiert, der durch die Siedlungsarbeit seine religiösen Wurzeln finden könne. Es nahm die religiöse Motivation vieler frühzionistischer Siedler auf, lehnte aber das sozialistisch-säkulare Pionierbild ebenso ab wie einen urbanen Lebensstil. Viele Siedler in den besetzten Gebieten sehen sich heute als die einzigen tatsächlichen, den zionistischen Grundsätzen treuen Pioniere. Doch die geplante Massenbesiedlung war nicht allein durch eine bodenverbundene Erneuerungsbewegung zu erreichen. Hohe Subventionen, Steuererleichterungen und attraktive Wohnanlagen sollten neben ideologischen "Kreuzrittern" nun auch säkulare, an guter Luft und günstigen Häusern interessierte Familien in Siedlungen locken, die als Pendlervorstädte für eine urbane Mittelschicht angelegt wurden.

Aus dem Kapitel "Land ohne Frieden" von Habbo Knoch
(in Davids Traum, Bleicher 2000)

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hagalil.com 16-10-2002


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