Zur Geschichte:
Die Organisation der Mitteleuropäischen Einwanderer in Israel
Paul A. Aisberg, Teil I.
v.III.
Nicht nur die Organisation und ihre Tätigkeit haben eine
Geschichte, sondern auch der Name. Gegründet wurde die Organisation
in Tel Aviv im Februar 1932 als "Hitachduth Olej Germania"
("Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland") oder, wie sie
abgekürzt genannt wurde, die HOG.
Nach dem "Anschluß" im März 1938 begannen Verhandlungen mit dem
Verband der Einwanderer aus Österreich, einem bis dahin nur
gesellschaftlichen Zusammenschluss, die im Laufe des Jahres zu einer
Fusion beider Vereinigungen unter dem Namen "Hitachduth Olej
Germania w'Austria" (HOGOA) führte. 1942 wurde ein neuer, der
Sprachgrenze und den politischen Gegebenheiten entsprechender Name,
der das Wort "Germania" vermied, gewählt: "IRGUN OLEJ MERCAS EUROPA"
(IOME), unter dem die "Organisation der Mitteleuropäischen
Einwanderer" nun seit mehr als fünfzig Jahren tätig ist.
Die Initiatoren zur Gründung der HOG im Februar 1932 waren die
Ärzte Dr. Theodor Zlocisti (1874-1943) und Dr. Ernst Lewy
(1896-1963), gemeinsam mit einem kleinen Kreis von Zionisten aus
Deutschland, die alle bereits mehrere Jahre in Palästina ansässig
waren. Zlocisti, der Verfasser der ersten wissenschaftlichen
Biographie von Moses Hess und schon Teilnehmer des ersten
Zionistenkongresses im Jahr 1897, war prominenter als der jüngere,
tatkräftige Orthopäde Lewy, so daß er zum 1. Vorsitzenden gewählt
wurde; indessen war Ernst Lewy wahrscheinlich der wahre Initiator,
der auch während der ersten Jahre als führende Persönlichkeit die
Hauptlast der Arbeit trug. 1
Fast alle Mitglieder dieses Forums der Gründer
waren Akademiker aus dem Kreis der zionistischen Studentenverbindung
des KJV ("Kartell jüdischer Verbindungen"). Schon im Oktober 1931
hatte Harry Bein, der damals noch in Berlin lebte, in der "Jüdischen
Rundschau", dem Organ der "Zionistischen Vereinigung für
Deutschland" (ZVfD), einen Artikel veröffentlicht, in dem er die
Gründung einer solchen Organisation oder Beratungsstelle vorschlug,
um Existenzmöglichkeiten für jüngere Menschen, die Deutschland
verlassen wollten, in Palästina zu prüfen.
Im ersten Flugblatt2
der neuen Organisation betonte der Vorstand, daß die HOG sich nicht
mit politischen, religiösen und "öffentlich-kulturellen"
Angelegenheiten (was auch immer mit diesem Ausdruck außer der
Sprachenfrage gemeint sein konnte) befasse. Bloße Gründe der
Zweckmäßigkeit und nicht landsmannschaftliche Gesichtspunkte,
betonte das Flugblatt, bestimmten die Zusammenfassung der aus
Deutschland eingewanderten Juden zu einer Organisation. Das Negative
einer gesonderten landsmannschaftlichen Organisation war den
Gründern bewusst, die innerhalb des Jischuws, der Judenheit
Palästinas, Trennwände verewigt und deshalb in ihrem Wesen den
Idealen des Zionismus widersprochen hätte, der ja eine neue
allgemeine jüdische Gesellschaft aufbauen wollte.
Kurt Blumenfeld, der Vorsitzende der ZVfD, führte
dagegen schon damals in einem Brief aus Berlin vom 21. März 1932 an
den Agronomen Dr. Ludwig Pinner - einen der Mitbegründer der HOG -
ein gewisses Politikum für die Gründung an: der Zionismus in
Palästina sei von Menschen und Traditionen des osteuropäischen
Zionismus beherrscht, und in Ermangelung einer eigenen Organisation
würden die Neueinwanderer sich an diese osteuropäische Tradition
assimilieren.3
Die
HOG errichtete nach wenigen Wochen Zweigorganisationen in Jerusalem
und Haifa und veröffentlichte bereits 1932 ein hektographiertes
Mitteilungsblatt, in dem vor allem Stellengesuche und Angebote sowie
Beteiligungen an Unternehmen oder Anlagemöglichkeiten für Kapital
veröffentlicht wurden. Schriftliche Anfragen in mehr als 500 Briefen
und mündliche Beratungen wurden im Jahr 1932 im Büro eines Anwalts
in den Nachmittagsstunden von Lewy und von freiwilligen Mitarbeitern
erledigt. 4
Die Generalversammlung der HOG mit einem Tätigkeitsbericht über das
erste Arbeitsjahr fand am 30. Januar 1933 statt, demselben Tag, an
dem mit der Machtergreifung Hitlers sich nicht nur der Umfang der
Arbeit, sondern auch ihr Wesen änderte, da man von nun an in
zunehmendem Maße praktische Hilfe im Land leisten musste.
Arbeitsvermittlung und Beratung für Existenzgründungen,
Wohnungsvermittlung und Hilfe beim Verkehr mit Behörden, Einschulung
von Kindern und Hilfe zum Erlernen der Sprache wurden die
dringendsten Aufgaben.
Im März 1933 wurde das erste "Mitteilungsblatt", doppelsprachig
deutsch und hebräisch, in Zeitungsdruck veröffentlicht. Eine kleine
finanzielle Unterstützung erhielt die HOG von der ZVfD aus Berlin
und eine etwas größere vom "Vereinigten Komitee zur Ansiedlung der
Juden aus Deutschland" ("Wa'ad me'uchad lejishuw Je-hudei Germania
b'Erez Israel"); dieses war im Mai 1933 von den jüdischen Instanzen
in Palästina unter der Ägide des "Wa'ad Le'umi", der zentralen
Vertretung des Jischuws, unter dem Vorsitz von Henrietta Szold
spontan als Reaktion gegen die antijüdischen Maßnahmen der neuen
deutschen Regierung ins Leben gerufen worden und bis Ende 1933
aktiv. Im Komitee und seinen Kommissionen war die HOG die treibende
und ausführende Kraft. Die Hauptaufgabe war das Aufbringen von
Geldmitteln, und man sammelte in wenigen Monaten 12.000 LP für die
allerersten Bedürfnisse. Die Finanzverwaltung des Komitees hatte ihr
Zentrum in der Stadtverwaltung von Tel Aviv.5
Die Arbeit erfolgte in vier Kommissionen:
- - für Einwanderung, Berufsumschichtung und Arbeitsvermittlung
unter Vorsitz von Lewy im Büro der HOG,
- - für landwirtschaftliche Kolonisation unter Vorsitz von Dr.
Arthur Ruppin, dem Leiter der zionistischen Siedlungsarbeit in
Palästina seit 1908, und Pinner, ebenfalls im Büro der HOG,
- - für städtische Kolonisation und Industrie unter Vorsitz des
Leiters des Industriellenverbands, Arie Schenkar und
- - für Erziehung, Kultur und Sozialfürsorge unter Vorsitz von
Henrietta Szold, der Leiterin der Erziehungsabteilung des "Wa'ad
Le'umi".
Die Aufgabe des Plenums und Vorstands des Komitees beschränkte
sich fast ausschließlich auf Bewilligung von Geldern für die von den
Kommissionen vorgeschlagenen Projekte und Anleihen und auf
Unterstützungen von Institutionen, die neu eingewanderte Jugendliche
aufnahmen. 6 Die HOG war
in den ersten Monaten des Jahres 1933 den Anforderungen kaum
gewachsen, und es wurde notwendig, eine Notstandskommission,
bestehend aus Alfred Landsberg, Felix Rosenblüth und Lewy, mit Fritz
Löwenstein (Perez) als Generalsekretär zur Leitung der Arbeit
einzusetzen.7
Der Zionistenkongreß in Prag im August 1933 beschloss, eine
"Zentralstelle zur Ansiedlung Deutscher Juden in Palästina" unter
dem Vorsitz von Chaim Weizmann, dem langjährigen Präsidenten der
Zionistischen Weltorganisation, zu schaffen. Ihr Sitz befand sich in
London, da sie für die Koordination mit anderen Organisationen in
England und Amerika bei Beschaffung der finanziellen Mittel und für
die Verbindung mit der britischen Regierung zur Verteilung von
besonderen Refugee-Einwanderer-Zertifikaten beauftragt war, während
bei der Exekutive der Jewish Agency in Jerusalem eine eigene
Abteilung zur Durchführung der Arbeit errichtet wurde. Diese
Abteilung, an deren Spitze Ruppin und als sein Stellvertreter Dr.
Werner Senator - beide Mitglieder der Exekutive der Jewish Agency in
Jerusalem - standen, wurde seit Oktober 1933 von Dr. Georg Landauer
geleitet, de facto ohne jeden Beamtenapparat.
Ruppin, Senator und Landauer gehörten alle demselben Kreis deutscher
Zionisten an, die die HOG gegründet hatten. Sowohl Landauer als auch
Lewy und Zlocisti sahen bereits im Oktober 1933 bei Besprechungen
über die Aufgaben der neuen Abteilung und der beiderseitigen
Kompetenzen in der HOG und ihren Ortsgruppen in Haifa, Jerusalem und
den landwirtschaftlichen Siedlungen die ausführenden Organe dieser
sogenannten "Deutschen Abteilung", die den Verkehr mit den Tausenden
von Einwanderern im Auftrag der Abteilung zu pflegen hatten; formell
wurden Vertreter der HOG (Lewy, Löwenstein, Pinner, Dr. Walter
Preuß, Ruppin und Zlocisti) Mitglieder einer beratenden Kommission
dieser Abteilung.8 Es war nur natürlich, daß
die ZVfD, die Deutsche Abteilung und die HOG durch ihre Arbeit eng
miteinander verknüpft waren. Aber die HOG bestand immer auf ihrer
organisatorischen Selbständigkeit als Verband der Einwanderer und
lehnte es ab, als Annex der Deutschen Abteilung oder als Teil der
ZVfD zu fungieren.
Die Arbeit der HOG begann mit einem Hafendienst in Jaffa und
Haifa, um den Einwanderern behilflich zu sein beim Abwickeln der
Formalitäten und dem Verkehr mit den Zollbehörden sowie der
Beförderung des Gepäcks, einem Wohnungsdienst für die erste
Unterkunft und einer Arbeitsvermittlung. Etwa insgesamt tausend
Arbeitsuchende monatlich besuchten schon 1933 die drei Büros der HOG
in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem. Ein Teil wurde von der HOG in
Gruppen zusammengefasst, um außerhalb der Städte gemeinsam zu wohnen
und in der Landarbeit oder im Baufach einen neuen Beruf zu erlernen
und Arbeit zu bekommen. Vielleicht der wichtigste Zweig der
Arbeitsberatung unter der Leitung von Moshe Brachmann (Shilo) - in
Kooperation mit der Histadruth -war die Umschichtung und Errichtung
von Fachkursen und Lehrstellen.9
Ein Teil dieser Kurse (für Betonarbeiten, Bauschlosserei und
-tischlerei sowie für Installation) wurde in einer Fachschule in Tel
Aviv und am Technikum in Haifa abgehalten.10
Eine zusätzliche wichtige Aktivität war die soziale Hilfe, die in
steigendem Maße in engster Verbindung mit der örtlichen
Gemeindeorganisation erteilt wurde. Um den steigenden Mietpreisen zu
begegnen, erließ zwar die Regierung eine Verordnung über
Höchstmieten, doch blieb eine der bedeutendsten Initiativen der HOG
die Propagierung der Errichtung von Häusern auf kooperativer Basis11
und später, in den vierziger Jahren, die Gründung und Verwaltung
vorstädtischer Wohnungen bei Tel Aviv und Haifa zu sozialen Mieten,
mittels der zwei vom IOME hierfür gegründeten Gesellschaften "Ladur"
und "Megurim".12
- In seiner Rücktrittserklärung vom 8.12. 35 schrieb Lewy von
sich "... der ich die HOG gegründet, geleitet und alle
Voraussetzungen für die heutige Arbeit geschaffen habe..."
A222/10.
- S 49/28 a.
- A 358/100.
- S7/120, MB März 1933.
Ernst
Lewy, Die ersten Jahre der Hitachduth Olej Germania, in:
Meilensteine - Der Weg des KJV, herausgegeben von Eli
Rothschild, Tel Aviv 1972.
Bericht des Vereinigten Komitees zur Ansiedlung der Juden aus
Deutschland, Juni 1933-August 1934. A358/11.
Ernst Lewy, Die ersten Jahre... (s. Anmerkung 5).
S7/26.
S7/121, Bericht der HOG, MB Dezember 1933.
S7/234 Internes Rundschreiben, März 1934.
S 7/120.
Bericht der Deutschen Abteilung an den 21. Zionistenkongreß,
1046.
Teil 2:
Hebräische
Kulturarbeit
Erst zwei Jahre nach Gründung der HOG wurde die hebräische
Kulturarbeit aufgenommen, bis sie 1935 immer mehr in den Mittelpunkt
rückte...
Teil 3:
Hebräische Arbeit
Die landwirtschaftliche Siedlungstätigkeit lag zum
weitaus größten Teil außerhalb des direkten Tätigkeitsbereichs der
HOG...
Quelle: "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 zum 70.
Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in
Israel:
Recht und Wahrheit bringen Frieden.
hagalil.com
14-10-04 |