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Süddeutsche Zeitung

Laura Waco:
Wo die braven Mädchen hinkommen

Ab in die Neue Welt:
Die Fortsetzung von Laura Wacos deutsch geschriebener jüdischer Roman-Autobiografie

CARMEL FINNAN

"Sie waren die Entschädigung für die toten Eltern und Geschwister, obwohl sie die Namen dieser unbekannten Toten abgeschüttelt hatten. Die geliebten Kinder mit den neuen Namen waren die Hoffnung für die Zukunft. Das Judentum würde weitergehen. Mit ihnen! Mit den anständigen Töchtern."

Den Eltern gehorchend verlässt die achtzehnjährige Miriam ihre Münchner Heimat und kommt in Kanada mit der klaren Aufgabe an, einen jüdischen Ehemann zu finden. Schließlich kriegt sie ihn, mit Hilfe der vielen Verwandten, in der Traumstadt Los Angeles. Was Miriam nicht glücklicher macht.

In ihrem zweiten Buch Good Girl setzt die 1947 in Freising geborene Laura Waco ihre Beschreibung der Leidens- und Lebenswege der Kinder von Shoah-Überlebenden fort. Sie schreibt noch immer deutsch ("zuerst konnte ich nur auf diese Weise in meine Kindheit eintauchen", sagt sie, "jetzt ist es die Sehnsucht nach einer Heimat"), sie behält auch den witzig-heiteren Erzählton des ersten Buches Von Zuhause wird nichts erzählt bei und führt den Leser damit wieder in eine beschädigte, grausame Welt. Die gefängnis-enge Umgebung der weitgehend autobiografisch gezeichneten Eltern (in der Münchner Sozialsiedlung Borstei wohnende, polnisch-jüdische Überlebende der Shoah, die der Tochter alle Kontakte mit Deutschen übel nahmen), wird durch die nur scheinbar weniger belastete der amerikanischen Juden der Sechziger Jahre abgelöst.

Für die meist ostjüdischen Überlebenden in Nordamerika hat das jahrhundertealte Deutschlandbild ihrer Vorfahren eine radikale Änderung durchgemacht: Das ehemalige Vorbild ist ein Land "barbarischer Hunnen" geworden, und eine "Schickse" als Nichte zu haben, bringt einige Verwandte in große Verlegenheit. Dass Miriams Eltern nach dem Krieg in Deutschland geblieben sind, bleibt eine unerklärbare Tatsache, deren Folgen in Ordnung gebracht werden müssen: Aus Miriam wird man eine gute Amerikanerin machen. Das neue "Paradies" USA verkörpert Freiheit, Zukunft und Hoffnung, vor allem aber auch Geld: "Ohne Geld war der Mensch keinen Cent wert. Onkel Philip meinte, Zeit ist Geld und Geld ist alles. In seinen Hosentaschen klirrten die Münzen und in der Brusttasche steckten Quittungen."

Hinter dem amerikanischen Paradies der Verwandten Miriams verstecken sich ähnliche Albträume wie in der Gegenwart ihrer in Deutschland lebenden Eltern. Es gibt zwar keine Schläge oder Schreianfälle, aber die Peitsche des Onkels ist ein einziges harmloses Wort: "Okay", das "so schlimm war wie eine Ohrfeige". Der Onkel sagt es in fünf Varianten: "Das erste Okay bedeutet: Gut, wie du meinst. Oj, bist du schlecht: ein betrübtes Okay mit der Betonung auf dem 'o'. Das zweite Okay stellte einen Einwand dar. Es war kräftiger, mit der Betonung auf dem 'kay'. Das dritte Okay besagte, sie sei ein Idiot. Die erste Silbe war ein spöttisches 'Ho'  Nach dem fünften Okay würde er vielleicht kein Wort mehr mit einem reden."

In Szenen, die an David Grossmans Roman Stichwort: Liebe erinnern, zeigt Waco, wie der verdrängte Hungerschmerz aus der KZ-Zeit bei den in Kalifornien lebenden Verwandten und sogar bei ihren Kindern als Essstörung wiederkehrt: "Während der Mahlzeiten schnauften sie wie Bergsteiger.   sie bissen in das Fleisch hinein wie in einen Apfel. Saft rann ihnen an den Armen hinunter." Miriams Verwandte wissen nichts von ihren Defekten, doch vielleicht ahnen sie einen Zusammenhang: Die feinen Tischmanieren der "deutschen Nichte" imponieren der Tante wenig, denn sie stammen aus dem Land, "wo man doch Menschen vergast".

Dass noch Mitte der sechziger Jahre Juden die jüngste Katastrophe entweder selber vergessen, verharmlosen oder bestenfalls zur persönlichen Geschichte machen wollten, färbt die von allen begutachteten Abenteuer und Heiratspläne Miriams. Sie lernt schnell die Unterschiede zwischen den nach dem Krieg in Amerika lebenden Juden kennen. Unter den eingewanderten, noch jiddisch sprechenden Überlebenden gibt es die, denen die Grausamkeit der KZs erspart blieb, und die sich gerade deswegen für die "Besseren", weil Gesunden halten, aber dennoch meinen, ebenso gelitten zu haben. Aber auch die in Amerika geborene zukünftige Schwiegermutter hält sich für überlegen, denn die schnellen finanziellen Erfolge der europäischen Flüchtlinge nach dem Krieg gelten ihr als Beweis für die im KZ erworbene Habgier. Sie weist als "moderne" Frau auch die von Miriams Mutter als mögliche Beute stolz offerierte Jungfräulichkeit der Tochter spöttisch zurück: "Was habe ich davon?".

Das brave Mädchen Miriam erfüllt die Erwartungen der Eltern und Verwandten. Dennoch verspricht die schließlich von allen gebilligte Heirat kein "Happy End". Das starke Nationalgefühl ihres amerikanischen Ehemannes befremdet das jüdische Mädchen aus München, das nur heimlich stolz sein darf, als die Montrealer U-Bahn nach dem Münchner Vorbild (mit weißblauen Farben) gebaut wird. Ihre Trauer über die verlorene deutsche Heimat muss sie ebenfalls verstecken.

In ihrem zweiten Buch wechselt Laura Waco die Erzählperspektive. Statt "ich " zu sagen, zeichnet sie anhand der Figur Miriam nach, mit welchen Widerständen und Widersprüchen ein deutsch-jüdisches Mädchen der Nachkriegsjahre konfrontiert wurde. Miriams Liebe zu Deutschland ist, in deren Augen, ein Verrat an Eltern und Verwandten. Miriam ist für sie ein schlechtes und braves Mädchen, das der Vergangenheit entkommen ist, aber auch der Unmöglichkeit verpflichtet bleibt, diese wieder gut zu machen.

LAURA WACO:
Good Girl.
P. Kirchheim Verlag,
München 1999. 186 Seiten,
19,90 Euro.

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