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Frankfurter Rundschau

Zur gegenwärtige Zockerei um Entschädigungszahlungen:
Gerechtigkeit - konkret

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Von Matthias Arning / Frankfurter Rundschau / 16.11.1999

Wer von Geld spricht, muss nicht gleich auch mit Moral ankommen. Jenseits des Reichs des Guten wie des Bösen geht es momentan allein um materielle Gerechtigkeit. Nur auf diesem Terrain lässt sich jetzt noch über Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter der deutschen Industrie reden.

Wer allein von moralischer Verpflichtung spricht, stellt damit implizit die Forderungen nach materieller Gerechtigkeit in Frage. Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, gegründet vor neun Monaten von 16 potenten Konzernen, akzentuiert immer wieder ihre moralische Verpflichtung, wenn Opfer des nationalsozialistischen Programms "Vernichtung durch Arbeit" nicht Wiedergutmachung, sondern Entschädigung verlangen - sie wollen mehr als fünf Jahrzehnte nach dem Ende des Kriegs schlicht ihnen vorenthaltenen Lohn bekommen. Mit Moral hat das jetzt primär wenig zu tun.

Die Redewendung von der moralischen Verpflichtung zeigt jedoch immerhin an, dass Teile der Industrie das Thema Zwangsarbeit inzwischen vor dem Hintergrund der Sammelklagen von NS-Opfern in den USA und dem damit drohenden Imageschaden überhaupt als Thema akzeptieren. Bis dahin sorgte das, was die Nürnberger Richter gleich nach Kriegsende als systematisches "Sklavenarbeitsprogramm" angeprangert hatten, zunächst einmal für Angst: Unmittelbar nach 1945 sorgten sich viele Deutsche vor möglichen Racheakten derer, die in der benachbarten Fabrik etwa Patronenhülsen für die deutsche Wehrmacht gestopft, auf dem Dorf bei Erntearbeiten geholfen oder nach Luftangriffen in deutschen Städten Trümmer weggeräumt hatten. Später trat an die Stelle der Angst die Ignoranz. Das klang dann von Seiten der Industrie etwa so: Die SS drängte den Firmen für die in den Krieg ziehenden Männer kurzerhand Zwangsarbeiter auf. Ein Verweis, der den Managern spätestens mit Erscheinen einer Studie des Historikers Hans Mommsen über Zwangsarbeit bei Volkswagen unmöglich geworden ist: Mommsen belegte, dass Firmenchef Ferdinand Porsche selbst in Auschwitz Arbeitskräfte hatte aussuchen lassen. Es gab in der deutschen Kriegsproduktion keine Firmen, kaum Bauernhöfe und wohl nur wenige Kommunen, die nicht bereitwillig Sklavenarbeiter nahmen, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten.

Zwangsarbeiter ist nicht gleich Zwangsarbeiter. Und entgegen landläufiger Vorstellung war nicht jeder Zwangsarbeiter Häftling in einem Konzentrationslager. Zu den Zwangsarbeitern gehören ebenso KZ-Häftlinge wie russische Kriegsgefangene, aus Polen auf Landgüter Verschleppte und in so genannten Arbeits- und Erziehungslagern der SS Inhaftierte. Insgesamt etwa zehn Millionen Menschen. Zehn bis 15 Prozent von ihnen, kalkulieren Experten, leben heute noch. Und sie fordern für ihre Arbeit Entschädigung. Auch im Namen der Toten, der vielen, die etwa den Bau des Westwalls im Dienste deutscher Baufirmen nicht überlebt hatten. Warum also sollte in einen Entschädigungsfonds nur für die Opfer eingezahlt werden, die den Terror überstanden?

Der Lohn der Toten sollte ursprünglich in einen Zukunftsfonds einfließen. Mit dessen Mitteln hätten der Versöhnung gewidmete Projekte in Osteuropa möglich und brachliegende Felder der Forschung urbar gemacht werden sollen. Dass davon inzwischen keiner mehr spricht, zeigt die allmähliche Desillusionierung, die die Verhandlungen mit der Industrie auf Seiten der Opfer begleitet. Sie schraubten ihre Erwartungen in Relation zur Unnachgiebigkeit der Konzerne runter.

Die Stiftungsinitiative beharrt bis zur nächsten Verhandlungsrunde am heutigen Dienstag auf ihrem Angebot - vier Milliarden Mark. Und keinen Pfennig mehr. Ihr Sprecher wird nicht müde, das zu unterstreichen und mit dem Hinweis zu versehen, nicht einmal diesen Betrag hätten die Konzerne zusammen. Die Summe verdeckt jedoch die wahren Proportionen: In diesen Betrag rechnet die Initiative die Entschädigung für so genannte Arisierungsgeschäfte mit ein, um am Ende dieses Jahrhunderts ein für allemal einen Schlussstrich ziehen zu können.

Bis heute ist das Ausmaß der von den Großbanken wie etwa auch von kleinen Schustern betriebenen "Arisierung" nicht beziffert. Dagegen gibt es für Entschädigungszahlungen an frühere Zwangsarbeiter inzwischen Anhaltspunkte, die zwei Konzerne selbst im Laufe dieses Jahres geschaffen haben: Volkswagen und Siemens zahlen pauschal 10 000 Mark. Hochgerechnet auf eine Million Überlebende unter den Zwangsarbeitern hätte die Industrie - die bislang zahlungsunwilligen mittelständischen Unternehmen inklusive - mit der Bundesregierung zehn Milliarden Mark aufzubringen, um die ihnen lästige Sache vom Tisch zu bringen.

Am Ende muss doch von der Moral die Rede sein. Abseits von Sammelklagen und Imageschäden hinterlässt die gegenwärtige Zockerei bei vielen Bürgern dieser Republik ein Gefühl, das mit Limousinen von Daimler-Chrysler und Sparkonten der Dresdner Bank gar nichts zu tun hat. Es ist nichts anderes als Scham - den Opfern gegenüber. Denn die brauchen schleunigst materielle Gerechtigkeit.

Deutsche Unternehmen wollen sich aus ihrer Verantwortung für Zwangsarbeiter stehlen
Lothar Evers über den Entschädigungsstreit

haGalil 16-11-99

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