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Lothar Evers über den Entschädigungsstreit:
Wie sich deutsche Unternehmen aus ihrer
Verantwortung für Zwangsarbeiter stehlen wollen

Am heutigen Dienstag beginnen in Bonn zweitägige Verhandlungen zwischen Opferanwälten, der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung. Gestritten wird um Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter in der NS-Diktatur. Bisher haben die Industrie vier Milliarden und die Bundesregierung drei Milliarden Mark angeboten. Lothar Evers vom "Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte" in Köln zieht eine Bilanz der Verhandlungen.

Ein verlorenes Jahr?

Eines der größten Selbsthilfeprojekte Deutschlands steht vor dem Aus. Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" meldet seit über einem Monat nur "tiefrote Zahlen". Die Zahl der stiftenden Unternehmen habe sich zwar von 12 auf 50 mehr als vervierfacht. Von den am 6. Oktober auf einer internationalen Verhandlungsrunde in Washington zugesagten 4 Milliarden DM zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter seien trotzdem jedoch weniger als 2 Milliarden DM gesichert. Dies mache jede Nachbesserung des Angebots unmöglich, erklärt Stiftungssprecher Wolfgang Gibowski fast täglich.

Die industriellen Stifter scheinen die Aufgabe völlig unter-, die Solidarität ihrer Mit-Manager hingegen gravierend überschätzt zu haben. Trotz täglicher Appelle des deutschen Verhandlungsführers Otto Graf Lambsdorff, mehr als deutlicher Worte von Bundespräsident Rau in öffentlichen Interviews und zuletzt gar auf der 150-Jahr-Feier der Industrie- und Handelskammer Bielefeld ist das Ergebnis ernüchternd: Fest zugesagt sind immer noch unter 2 Milliarden DM, beteiligt sind nicht mehr als 50 Firmen. Eine mehr als enttäuschende Bilanz für den Verantwortungsstandort Deutschland!

Bis auf die in den USA verklagten Firmen verharrt Deutschlands ökonomische Elite in der bekannten Haltung der letzten 54 Jahre: "Augen zu - Ohren zu - und durch!"

Die Vertreter der Überlebenden hoffen inständig, dass es sich bei diesem allseitigen Gejammer um einen Bluff der Firmenvertreter handelt und bei den heute in Bonn beginnenden Verhandlungen endlich ein neues - und deutlich nachgebessertes - Angebot auf den Tisch gelegt wird.

Gelingt es der Industrie tatsächlich nicht, auf ihr Angebot von derzeit 4 Milliarden DM noch einen deutlichen Nachschlag zu leisten, lässt sich das Ziel einer gerechten Kompensation für die heute noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nicht erreichen. Leider mehren sich inzwischen jene alarmierenden Zeichen, die darauf hinweisen, dass die Stifter an ihrer selbst gestellten Aufgabe scheitern und diese an die politisch Verantwortlichen zurückgeben müssen.

Korrespondenz ohne Chance

Bis vor wenigen Monaten waren auch die heutigen Stifter Anhänger dieser Durchhalteparolen. Seit den frühen neunziger Jahren hatten die früheren Sklaven bei ihnen angeklopft, um Beschäftigungsnachweise für ihre Altersrente gebeten, freundlich angefragt, ob man sich an ihre Arbeit noch erinnere, vielleicht sogar bereit sei, einen kleinen Ausgleich zu zahlen.

Unter ihnen Eugeniusz Szobski. Er erinnert sich noch gut an jenen Septembertag 1944 im KZ Dachau. Franz Eschenlohr, Oberingenieur bei Daimler Mannheim, trägt einen Tirolerhut mit neckischem Federschmuck. Aus den nackt vor ihm stehenden Häftlingen wählt der Daimler-Manager 1060 für sein Lkw-Werk in Mannheim-Sandhofen aus. Darunter Szobski, damals 20 Jahre alt. Der Tagesablauf in Mannheim: Wecken um vier Uhr früh, Appell, fünf Kilometer Fußmarsch zum Werk, zwölf Stunden Schicht, Achsen und Motoren bauen, Rückmarsch, Appell, Strafen, zu essen ein Schlag Suppe am Mittag, ein Stück Brot, ein bisschen Margarine.

Im Auftrag von damals noch sechzig der im September 1944 nach Mannheim Deportierten schreibt Szobski an Daimler Benz. Über sieben Jahre gehen Briefe zwischen Warschau und Stuttgart hin und her. Penetrant müssen sich die Überlebenden das bloße Bedauern des Konzerns, geronnen zu Textbausteinen der Kommunikationsabteilung, versichern lassen. Man wird sie darüber aufklären, dass bereits beträchtliche Summen in die wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Vergangenheit gesteckt wurden. Inzwischen gemahne sogar ein Denkmal mit dem Titel "Tag und Nacht" vor der ehemaligen Hauptverwaltung an ihr Schicksal. Der geneigten Lektüre empfehle man außerdem die beigefügte Rede des Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter aus Anlass der Denkmalsenthüllung.

Auch von überlebenden Zwangsarbeitern, da bitte man doch herzlich um Verständnis, könne sich der Konzern nicht zur Beteiligung an neuen Ungerechtigkeiten verleiten lassen. Aus einem Brief der Stuttgarter Manager 1991: "Bei der Festlegung, keine individuellen Leistungen zu erbringen, stand der Gedanke im Vordergrund, dass es ohne eine erneute Bürokratie kaum möglich sein könnte, die Tatsache der Zwangsarbeit zweifelsfrei festzustellen. Eine solche Bürokratie hätte zu langwierigen Verfahren, vor allem aber zu erneutem Unrecht geführt, durch das alte Wunden eher aufgerissen als geheilt worden wären. Eine Entscheidung zu individuellen Leistungen hätte außerdem diejenigen begünstigt, die im Laufe der Jahre ihre psychische und physische Kraft zurückgewonnen haben und möglicherweise in guten Verhältnissen leben.

Und so weiter . . .

Noch im Dezember 1998 beharrt der bei Daimler inzwischen und bis heute für das Thema Entschädigung für NS-Zwangsarbeit verantwortliche Dr. Lothar Ulsamer:

"Beim tragischen und bedrückenden Thema der Zwangsarbeit darf es nach unserer Meinung nicht in erster Linie um das Aufrechnen von Stundenlöhnen gehen. Ansonsten besteht die Gefahr, die Tragweite des Geschehens zu verkennen . . . Einzelentschädigungen haben wir nicht vorgenommen, da individuelle Regelungen zu keiner befriedigenden Lösung führen, die auch die politische und moralische Dimension der Frage hinreichend berücksichtigt."

Brüchige Allianz

Ähnliche Sorgen wie die Stuttgarter Kollegen hat VW in Wolfsburg, aber auch Grund zur Freude: "Der Volkswagenkonzern erwirtschaftete 1997 einen Gewinn nach Steuern in Höhe von nahezu 1,4 Milliarden D-Mark. Damit haben wir in der Geschichte des Konzerns ein Rekordergebnis erzielt. Es ist uns gelungen, zum dritten Mal in Folge das Ergebnis zu verdoppeln", verkündet auf der VW-Hauptversammlung am 4. Juni 1998 sichtlich stolz der Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piech.

Am Abend des selben Tages erinnert das Fernsehmagazin Monitor an die unrühmliche Vergangenheit der Wolfsburger. Auch VW verdankt seine Position am Weltmarkt und insbesondere den raschen Wiederaufstieg nach 1945 der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Unter mörderischen Bedingungen mussten KZ-Häftlinge in den deutschen Mittelgebirgen Tunnel sprengen. Auch VW hat nach der Zerstörung des Stammwerkes 1944 seine Produktionsanlagen untertage verlegte. Dort überdauerten die Maschinen fast unversehrt. Nur so ist zu erklären, dass im zerstörten Deutschland bereits 1946 der zehntausendste Nachkriegskäfer produziert wird.

Da sich 20 Prozent des Autokonzerns im Besitz des Landes Niedersachsen befinden, bittet Monitor um ein Interview mit Ministerpräsident Gerhard Schröder. Thema: Entschädigung für NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei VW. Kommentarlos lehnt die Hannoveraner Staatskanzlei die Bitte der Monitor-Redakteure ab.

Für den schweigsamen Hauptaktionär springt in der Sendung VW-Marketingvorstand Klaus Kocks ein. Und dessen gestammelte Sorgen gleichen denen seiner Stuttgarter Kollegen aufs Haar: "Nein, ich glaube, wir müssen weiterhin den Weg gehen, dass wir politische Öffentlichkeitsarbeit unter dem Oberbegriff ,Nie mehr Faschismus . . .' fördern müssen und werden nicht den Weg in Einzelentschädigungen und auch nicht in Hinterzimmer-Agreements gehen. Ich glaube nicht, dass es einen angemessenen Betrag gibt - und ich sage noch einmal, es geht uns nicht um Geld. Aber was ist denn angemessen? 400 DM? 600 DM? 4000 DM? Die Fragen beinhalten einen inneren Zynismus, der geradezu beklemmend ist."

Beklemmend ist wohl eher der Zynismus des Redners selbst, ebenso bezeichnend die minimalen Summen, die einem deutschen Konzernlenker noch im Sommer 1998 als angemessene Entschädigung für die in der NS-Zwangsarbeit verlorenen Jahre einfallen. Dass nicht einmal fünf Monate später, Daimler-Benz-Kollege Ulsamer tütet noch die zitierten Textbausteine ein, Kocks jedem ehemaligen VW-Sklaven 10 000 DM anbietet, hängt mit den politischen Ambitionen des VW verbundenen niedersächsischen Ministerpräsidenten zusammen.

Der ist bekanntermaßen Kanzlerkandidat und will kurz nach Ausstrahlung des Monitor-Beitrages durch einen Besuch bei Bill Clinton außenpolitische Kompetenz signalisieren sowie die dafür obligatorischen Gruppenfotos vor dem Weißen Haus aufnehmen lassen.

Schröders außenpolitische Berater ahnen Schlimmes: Seit in den USA im Herbst 1996 erste Sammelklagen gegen die Schweizer Banken eingereicht worden sind, gibt es dort ein kontinuierlich wachsendes Interesse an NS-Themen. Nicht auszudenken, wenn sich jede dritte Frage der amerikanischen Journalisten statt mit außenpolitischen Qualitäten des Kanzlerkandidaten mit dessen Rolle bei der (Nicht-)Entschädigung von VW-Zwangsarbeitern befassen würde.

Schon überschlagen sich die Ereignisse, und die über Jahrzehnte erprobte Verweigerungsallianz deutscher Unternehmen gegenüber ihren NS-Sklaven zeigt erste Risse: VW richtet einen firmeninternen Fonds ein und Schröder verspricht, das Thema NS-Zwangsarbeit unmittelbar nach seinem Wahlsieg zur Chefsache zu machen.

Amerikanische Klagen

Das wird im Herbst 1998 auch höchste Zeit. Am 4. März diesen Jahres hatte Elsa Iwanowa, Zwangsarbeiterin aus Rostow, beim Bezirksgericht in Newark/New Jersey Klage gegen die Kölner Ford-Werke und das Ford-Stammwerk in Dearborn/ Michigan eingereicht. Am 12. August 1998 endete der seit 1996 laufende Prozess gegen zwei Schweizer Großbanken mit einem Vergleich. Die Schweizerische Kreditanstalt und die UBS AG erklärten sich darin bereit, 1,25 Milliarden Dollar zu zahlen und so einer für sie negativen Entscheidung des Bezirksgerichtes New York zuvorzukommen.

Zu Schröders Amtsantritt im Herbst sind bereits mehr als ein Dutzend deutsche Firmen wegen ihrer Rolle bei der Beschäftigung von NS-Sklaven vor amerikanischen Gerichten verklagt.

Vielleicht auch deshalb findet sich in der Koalitionsvereinbarung der neuen rotgrünen Mehrheit des Deutschen Bundestages eine erfreulich präzise Aussage zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeit: "Die neue Bundesregierung wird (. . .) unter Beteiligung der deutschen Industrie eine Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" auf den Weg bringen."

Bis heute ist mit der politischen Umsetzung dieses Teils der Koalitionsvereinbarung noch nicht begonnen worden. Zu verlockend war das Angebot der in Amerika verklagten Unternehmen, sich in Selbsthilfe aus der Affäre zu ziehen und dabei den Überlebenden der NS-Zwangsarbeit ein angemessenes Entschädigungsangebot zu machen.

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages - und das gilt für alle politischen Parteien - ahnten natürlich, dass es ohne wirkliche Bereitschaft führender Manager in Zeiten von "Shareholder Value" und "Standortdebatte Deutschland" langwieriger Anstrengungen bedurft hätte, die Industrie zur Mitarbeit zu zwingen. Eine sich sträubende Wirtschaft hätte den Weg durch die Gerichtsinstanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht gewählt. So hätte selbst bei positivem Ausgang nur eine verschwindende Minderheit der hochbetagten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Leistungen erhalten. Deshalb waren alle Beteiligten nur zu gerne bereit, auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen.

Die Firmenvertreter verlangten dafür erhebliche Zugeständnisse. Auf keinen Fall wollten sie sich - wie im Fall der Schweizer Banken erfolgreich vorexerziert - vor amerikanischen Gerichten vergleichen. Außerdem müsse für alle Zukunft sichergestellt sein, dass sie nie wieder rechtlich zu belangen seien. Dies gelte vorrangig für die USA, aber auch für alle anderen Heimatländer der Überlebenden.

Wissend, welch zartes Pflänzchen die Verantwortungsbereitschaft am Markt operierender Wirtschaftsunternehmen nun einmal ist, willigten sowohl die amerikanischen Rechtsanwälte, als auch die Delegationen Mittel- und Osteuropas sowie die in die Verhandlungen einbezogenen Verfolgtenverbände in dieses von der Industrie ultimativ zur Voraussetzung gemachte Grundszenario ein. Im Gegenzug hoffte man, von der Wirtschaft ein wirklich großzügiges und umfassendes Angebot zu erhalten.

Alte Bausteine

Erste Ernüchterung stellte sich bei den Überlebenden ein, als die Stiftungsinitiative einen ersten Entwurf der Vergaberichtlinien vorstellte. Diese Konzeption der Stiftungsinitiative steht bis heute - ohne jede Änderung - im Internet und kann dort unter der Adresse stiftungsinitiative.de in Augenschein genommen werden.

In deren Präambel findet sich kein Wort zur Zwangsarbeit selbst, keine Entschuldigung gegenüber den Überlebenden, kein Bekenntnis zur Verantwortung der deutschen Industrie und insbesondere keine Bereitschaft, Schadenersatz zu leisten. Vielmehr werden Rechtsansprüche der Überlebenden kategorisch verneint und lediglich eine moralische Verantwortung der beteiligten Unternehmen zugestanden.

Im Wortlaut: "Rechtsansprüche gegen deutsche Unternehmen im Hinblick auf Zwangsarbeit oder Schäden wegen der Verfolgung in der NS-Zeit bestehen nicht. Die deutschen Unternehmen sehen aber eine moralische Verantwortung insbesondere dort, wo Zwangsarbeit unter besonders erschwerten Bedingungen geleistet werden musste. Am Ende dieses Jahrhunderts sind deutsche Unternehmen nochmals bereit, als Geste der Versöhnung Mittel in eine humanitäre Stiftung einzubringen, um heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern, die damals Arbeit unter besonders belastenden Bedingungen haben leisten müssen, zu helfen. Die Stiftung ist eine freiwillige Initiative von deutschen Unternehmen. Unabdingbare Voraussetzung für die Gründung der Stiftung und die Bereitstellung der Mittel ist, dass für die Unternehmen umfassende und dauerhafte Rechtssicherheit geschaffen ist, d. h., dass sie vor gerichtlicher Inanspruchnahme geschützt ist."

Ähnlichkeiten mit den Textbausteinen aus Vor-Stifterzeiten sind wohl weniger zufällig als unvermeidbar. Inhaltlich wollen die Firmen sämtliche Klagen in Bezug auf Zwangsarbeit beendet wissen. Daneben sollen alle weiteren Verbrechen der deutschen Wirtschaft wie medizinische Versuche, Arisierungen durch deutsche Großbanken oder die Ermordung minderjähriger Kinder in konzerneigenen Heimen mit einem einzigen finanziellen Schlussstrich erledigt werden. Trotzdem will man nur jener kleinen Minderheit, die unter "besonders belastenden Bedingungen" gearbeitet hat, Leistungen der Stiftung gewähren.

Mit folgenden Hürden versucht die Stiftungsinitiative, das Gros der Überlebenden von Leistungen auszuschließen: Die Mindestdauer der Zwangsarbeit muss sechs Monate betragen haben. Nur diejenigen, die ins Reichsgebiet deportiert wurden, können Zahlungen erhalten. Nur der Überlebende selbst ist antragsberechtigt. Er muss außerdem materielle Bedürftigkeit nachweisen. Leistungen sollen sich am Rentenniveau im Heimatland des Antragstellers orientieren: In der ehemaligen Sowjetunion hätte dies zur Verteilung bloßer Almosen geführt.

Verhandlungsrunde um Verhandlungsrunde musste dieses mehr als dürftige Stiftungskonzept von den Delegationen der Überlebenden ausgebessert werden. Da nicht ein einziger Verbesserungsvorschlag von den Stiftern selber akzeptiert und in den im Internet zu besichtigenden Stiftungsentwurf eingearbeitet wurde, zeugt von deren Härte und Ignoranz.

Peinliche Allianz

Es ist diese hier zu beobachtende fast autistische Arroganz, die auf Opferseite mehr als einmal fassungsloses Entsetzen auslöst. Ob ständig wiederholte Appelle deutscher Topmanager an die Bescheidenheit der Opfer, Graf Lambsdorffs Amnesien, was die NS-Zwangsarbeit von Polen in der Landwirtschaft betrifft: Tief verwurzelt in der Wagenburg- mentalität der deutschen Verhandler lauerte stets deren Unfähigkeit zu trauern und zu wirklicher Empathie für die Überlebenden.

Man kann es Dr. Manfred Gentz, Finanzvorstand bei DaimlerChrysler und Vorsitzender der Stiftungsinitiative, der sonst Firmenfusionen in dreistelliger Milliardenhöhe in wenigen Tagen abwickelt, deutlich ansehen, wie wenig er mit den Habenichtsen und deren Vertretern, die ihm Monat für Monat kostbare Zeit stehlen, zu tun haben will. Wohl deshalb ließ er die in Washington versammelten Delegationen Anfang Oktober einen ganzen Tag warten, bevor das deutsche Angebot präsentiert werden konnte. Die Vorstandssitzung bei DaimlerChrysler, so die Botschaft, sei allemal wichtiger als fünfzig aus aller Welt angereiste Verhandlungsteilnehmer.

Die Spitzenposition auf der offensichtlich nach oben offenen Peinlichkeitsskala hat sich Joschka Fischers Außenministerium erarbeitet. Ausgerechnet der Degussa, Schmelzstation für Zahngold und Mutterfirma des Zyklon B-Produzenten Degesch, bescheinigen Fischers Diplomaten in einem Unterstützerbrief zur Abwendung amerikanischer Klagen tiefes Verständnis: Alle deutschen Unternehmen hätten sich während der Naziherrschaft den Anforderungen der Kriegswirtschaft nicht entziehen können. Bei Degussa müsse man darüber hinaus bedenken, dass die Firma ein Monopol für das Einschmelzen von Edelmetallen gehabt habe.

Fast ist man erleichtert, dass die Degussa-Tochter Degesch nicht mehr existiert und Joschkas Angestellte uns daher mit Erörterungen der Spielräume großer Produzenten von Schädlingsbekämpfungsmitteln nicht behelligen werden.

Alles nur Bluff?

Noch hoffen die Überlebenden auf späte Einsicht, verantwortliches Handeln und ein angemessenes Angebot. Können Deutschlands Topmanager ihr Ansinnen wirklich nicht aufgeben, einen umfassenden rechtlichen und moralischen Ablass zu Ausverkaufspreisen zu erwerben? Keines der bisher stiften gehenden Unternehmen will mehr als 200 Millionen DM in die Gemeinschaftsinitiative einzahlen. Bei einigen der sechzehn Stifter muss es sogar noch erheblich weniger sein. Sonst wären nicht weniger als zwei, sondern mindestens 3,2 Milliarden DM im Topf und Pressesprecher Gibowski könnte seine für den Wirtschaftsstandort Deutschland so peinlichen Verlautbarungen variieren.

Die Top Player der deutschen Wirtschaft bluffen entweder nach Kräften oder sind tatsächlich nicht bereit, das von ihnen selbst in historischer und menschlicher Unverantwortlichkeit ersonnene Limit von 200 Millionen DM pro Firma aufzustocken. Wollen die Stifter etwa, wenn es ihnen wie geplant gelingt, die Zahl der an der Stiftungsinitiative beteiligten Unternehmen zu verzehnfachen, ihren einzelnen Stiftungsbeitrag auf ein Zehntel reduzieren, statt das Angebot zu erhöhen?

Ein historisches Verbrechen vom Ausmaß der NS-Zwangs- und Sklavenarbeit lässt sich nicht mit Aufwendungen deutlich unterhalb der durch Deutsche-Bank-Chef Kopper im Fall Schneider angepeilten Peanuts-Grenze von 500 Millionen DM pro Unternehmen kompensieren.

Jede der am Schweiz-Vergleich beteiligten Banken ist bereit, über eine Milliarde Dollar aufzubringen. Dabei waren denen nur Eigentumsdelikte aus dem Bereich der Unterschlagung und der Hehlerei vorgeworfen worden. Bei der NS-Zwangsarbeit geht es um ein vom Internationalen Gerichtshof in Nürnberg abgeurteiltes millionenfaches Kapitalverbrechen. Der hauptverantwortliche Reichskommissar für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel ist hierfür zum Tode verurteilt worden.

Die Einzahlungen der Schweizer Banken markieren das untere Limit einer verantwortlichen Beteiligung - jedenfalls der, in Bezug auf ihre Gewinne vergleichbaren deutschen Großunternehmen. Diese Unternehmen haben an der Beschäftigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter den Bedingungen der Kriegsproduktion blendend verdient. Durch die Beteiligung am SS-Sklavenhandel sparten sie pro eingesetztem Zwangsarbeiter jährliche Lohnkosten im Wert von heute 15 000 DM. Dass die größten deutschen Unternehmen noch nicht einmal bereit sind, diese eingesparten Lohnkosten an die Überlebenden auszuzahlen, ist traurig, unglaublich und von deren heutigen Managern zu verantworten. Sie selbst stellen sich damit in eine Tradition, in der Gewinne alles, das Schicksal der Menschen aber nichts bedeutet.

Es wäre zu wünschen, dass sich die deutsche Wirtschaft - aber auch die ganze Gesellschaft - erinnert, dass sie den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ihren heutigen Wohlstand verdankt. Ohne deren Arbeit an den Maschinen der Kriegsproduktion, ohne die durch sie geleistete Aushöhlung der deutschen Mittelgebirge wäre im Jahr 1946 mitten im zerstörten Deutschland wohl kaum der zehntausendste VW-Käfer vom Band gelaufen, hätte die deutsche Autoindustrie heute nicht die Möglichkeit, für eine dreistellige Milliardensumme in Amerika Chrysler aufzukaufen.

In Zukunft . . .

Wir alle hoffen noch auf eine Wende der Verhandlungen. Wenn das Modell "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" scheitert, haben wir fast ein Jahr verloren. In dieser Zeit sind tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gestorben. Trotzdem bleibt es unsere gesellschaftliche Aufgabe, eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts würdig - nicht etwa abzuschließen - aber wenigstens zu kompensieren. Hierzu bedarf es einer breiten politischen Debatte der deutschen Gesellschaft - auch über die Höhe einer angemessenen Zahlung für verlorene Jahre, zerstörte Gesundheit, Albträume und Verletzungen bis ins hohe Alter.

Bis heute - über ein Jahr nach Beginn der Verhandlungen - hat der Deutsche Bundestag das Thema NS-Zwangsarbeit noch nicht behandelt. Dies ist dringend nachzuholen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben sich in der zurückliegenden Verhandlungsphase höchst einseitig an das Modell Industriestiftung gebunden. Das hat zu Kränkungen der Überlebenden geführt. Jetzt ist der Dialog mit ihnen zu suchen - und in einer Anstrengung der ganzen Gesellschaft das in der Koalitionsvereinbarung fixierte Ziel einer Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" zügig umzusetzen. Wenn möglich immer noch unter Beteiligung der Industrie. Dabei geht es nicht um eine bloße Geste.

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Zur gegenwärtige Zockerei um Entschädigungszahlungen:
Gerechtigkeit - konkret

haGalil 16-11-99

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