Stuttgarter Zeitung 22-10-99
"Ich hab' mit niemand gesprochen"
Der "Stern" und sein Interview mit
einer sehr alten Dame namens Emilie Schindler
Emilie Schindler, die Witwe von
Oskar Schindler, will angeblich Ansprüche auf "Schindlers Koffer" und die
darin enthaltenen Dokumente geltend machen. Erika Rosenberg, ihre Vertraute
und Biografin, äußert sich dazu sehr zurückhaltend.
Der "Stern" hat die Meldung in die
Welt gesetzt, und er hat in seiner gestrigen Ausgabe ein Interview mit
Emilie Schindler veröffentlicht. Sie werde in den nächsten Tagen nach
Deutschland fliegen, um den Koffer mitzunehmen, lässt das Blatt die alte
Dame sagen. Gestern ist Erika Rosenberg bei der Stuttgarter Zeitung zu Gast
gewesen - ausdrücklich nicht, um den Koffer, der so viel Aufsehen erregt,
mitzunehmen. Auch nicht, wie Rundfunksender gemeldet haben, mit einer
Vollmacht von Emilie Schindler ausgestattet, um deren Interessen zu
vertreten. Das Gespräch war bereits seit Tagen verabredet, und es sollte um
Emilie Schindler und deren Anteil an der großartigen Rettungsaktion im
letzten Kriegsjahr gehen. Nun drehte es sich auch um das "Stern"-Interview.
Erika Rosenberg ist überzeugt, dass
dieses Interview nie stattgefunden hat. Ihr Beleg: ein Telefongespräch, das
sie selbst am Dienstag mit Emilie Schindler in Argentinien geführt hat und
das sie - als Dokument der Wahrheit, wie sie sagt - aufgezeichnet hat. Hier
der Wortlaut:
Ja, was ist, Emilie, wie geht es
dir?
Miserabel, ich kann überhaupt nicht
gehen.
Warum nicht?
Weil ich nicht gehen kann.
Hast du mit jemandem vom "Stern"
gesprochen?
Ich hab' mit niemand gesprochen,
ich bin im Bett. Ich kann net gehen und kann net stehen. Ich kann
überhaupt net.
Im weiteren Verlauf des
Telefongesprächs sagt Emilie Schindler mehrfach, dass sie nicht gehen und
erst recht nicht reisen könne. Sie äußert Interesse an Schindlers Dokumenten
und bittet ihre Biografin, die sich aus Anlass der Buchmesse in Deutschland
aufhält, sich darum zu kümmern. Frau Rosenberg kündigt an, dass sie die
Stuttgarter Zeitung besuchen wird, äußert sich aber skeptisch, was den
Koffer angeht. Der Rest des Gesprächs ist ein sehr privater Dialog zwischen
einer alten, gebrechlichen Dame und ihrer engsten Vertrauten.
Ingrid Eißele, die
"Stern"-Korrespondentin, die als Autorin des Interviews ausgewiesen wird,
erklärte gestern gegenüber der Stuttgarter Zeitung, das Interview mit Emilie
Schindler habe selbstverständlich stattgefunden, und zwar am Telefon.
Rosenberg wiederum beteuert, Frau Schindler gehe es zwar körperlich
schlecht, sie sei aber geistig trotz ihres hohen Alters sehr rege. Sie wisse
sicher, ob sie ein Interview gegeben habe. Sicher? Es kann wohl sein, dass
ein Medienansturm, wie er nach der Veröffentlichung der Nachricht von
Schindlers Koffer über die Greisin hereinbrach, sie überforderte. Welchen
Sinn aber hat ein solches Interview, wenn es dann auch noch mit dem Foto
einer rüstigen, den Stock schwingenden Frau illustriert wird, das 1995
aufgenommen wurde?
Erika Rosenberg, die als
Dolmetscherin und Übersetzerin am Goethe-Institut in Buenos Aires arbeitet,
betont ausdrücklich, dass es Emilie Schindler nicht darum gehe, einen
finanziellen Gewinn aus dem Bekanntwerden der Schindler-Dokumente zu ziehen.
Auf die Frage, ob wirklich jemand etwas dagegen haben könne, dass diese
Dokumente nach Jad Vashem überstellt werden, antwortet Frau Rosenberg:
"Nein".StZ
Ausserdem:
Stuttgarter Zeitung 22-10-99
Emilie Schindler ist eine
ruhige Nachbarin
Schmerzen und Verbitterung
Emilie Schindler ist alt, krank und
gebrechlich. Oskar Schindlers Witwe lebt zurückgezogen in Argentinien. Heute
begeht sie ihren 92. Geburtstag. Doch die Feier muss ausfallen.
Von Ulrich Achermann, San Vicente
Emilie Schindler wohnt noch
immer dort, wo sie Oskar Schindler zurückgelassen hat, als er in den
fünfziger Jahren nach Deutschland zurückkehrte: in San Vicente, 60 Kilometer
südlich von Buenos Aires. Das 30000-Einwohner-Städtchen liegt in der
endlosen Ebene der Pampa, deren Äcker und Weiden bis zum Horizont zu reichen
scheinen. Das Heim der Witwe ist ein schlichtes, weiß getünchtes Haus in der
Avenida San Martin 353. "Zu feiern gibt es hier aber rein gar nichts", sagt
die Haushälterin Isabel und deutet auf Frau Schindlers Knie, "schon
deswegen."
Die gute Seele im Haus spielt damit
auf die Erkrankung Emilie Schindlers an. Sie leidet an Arthrose, einem
typischen Altersgebrechen, aber auch an Verbitterung. Sie leidet ferner
unter den Schmerzen, die von einer schlecht ausgeheilten und wohl falsch
therapierten Kniegelenkverletzung herrühren. "Die Senora", berichtet die
Haushälterin, "steht Höllenqualen aus, ist ans Bett oder an den Rollstuhl
gefesselt." Anlässlich des Geburtstags werde nur ein Besuch erwartet,
lediglich ein Holocaust-Überlebender komme vorbei.
Ohnehin habe die 92-Jährige nichts
mitzuteilen. Am allerwenigsten wolle sie von neugierigen Presseleuten
gestört werden. Dennoch will die Gouvernante die Senora noch einmal fragen,
ob sie die Reporter wirklich abwimmeln soll. Bevor die Haushälterin
verschwindet, schlüpft sie noch rasch in die Rolle der Managerin: "Wie viel
würden Sie", fragt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Vorgarten aus,
"denn für ein Interview bezahlen?"
Das sagt sie mit einer solchen
Gelassenheit, dass man meint, sie habe derartige Verhandlungen schon oft
geführt. Zwar konnte Emilie Schindler offensichtlich in Argentinien keine
Reichtümer aufhäufen, aber von Armut kann auch keine Rede sein. Argentinien
und die Bundesrepublik überweisen ihr jeweils eine kleine Rente, die
jüdische Organisation B'nai B'rith kommt für den Lebensunterhalt, für
Rechnungen, Steuern und die sechzehn Katzen auf. Die Organisation würde auch
die Kosten eines Pflegeheims übernehmen, sollte das einmal nötig sein.
"Sie weiß sich sehr wohl zur Wehr zu
setzen", sagt Werner Finkelstein ohne Zögern. "Bisweilen ist sie launisch
und gebieterisch." Als Vorsitzender des argentinischen Zweigs der jüdischen
Hilfsorganisation hatte er die undankbare Aufgabe, Emilie Schindlers
Ansinnen, mehr Geld zu bekommen, abzuweisen. Manchmal habe die Senora auf
weitere Zahlungen gepocht, berichtet Finkelstein, vor allem zur Versorgung
ihrer Katzen benötigte sie angeblich das Geld.
Emilie Schindlers Nachbarn erzählen
allerdings von einer ruhigen und zurückhaltenden Frau. Carlos Bracchi, ein
"Rentner mit 168 Peso Monatseinkommen", wohnt seit Jahrzehnten gegenüber.
Die alte Dame habe sich schon immer sehr diskret gegeben, berichtet Bracchi.
"Niemals legte sie sich mit den Nachbarn an, nie sucht sie Streit." Um die
Lady sei es aber noch stiller geworden, seit sie sich vor zwei Jahren einen
Beckenbruch zugezogen habe. "Bis dahin hat man Emilie Schindler stets im
Garten mit ihren Katzen gesehen."
Auch die Bewacher von der Polizei,
die jeden Tag 24 Stunden lang das Haus kontrollieren, verhalten sich
diskret: "Dort bei Gomez, vorn an der Ecke, haben sie sich ins Haus
verkrochen", gibt der Rentner von gegenüber zu Protokoll. Von der Avenida
aus sei die Bewachung gar nicht zu erkennen. Diese habe vor Jahren
Präsident Carlos Menem angeordnet. Notwendig sei der Polizeischutz aber
nicht. Noch nie sei etwas Außergewöhnliches passiert. "Zwei Männer in Zivil"
schöben Dienst. Sie gehörten zum Sonderdezernat für Viehdiebstahl in
Brandsen. Nichts hält die Polizei jenseits der City von Buenos Aires so auf
Trab wie der Rinderklau in der Pampa.
Mittlerweile macht die 92-Jährige -
angeblich - Ansprüche auf den Koffer voller Schindler-Unterlagen geltend,
der in Hildesheim gefunden worden war. Schindlers Witwe hatte dem
US-Regisseur Steven Spielberg vorgeworfen, ihr zu wenig für die Verfilmung
der Geschichte ihres Mannes gezahlt zu haben. Jetzt erreichte sie in
Argentinien die Nachricht vom Fund der Dokumente, als es ihr gerade wieder
einmal sehr schlecht ging. Nach dem Beckenbruch machte im Juli auch noch das
Kniegelenk Probleme. Es wurde offenbar viel zu spät eingegipst. Inzwischen
ist die alte Dame wieder ohne Gips, aber ihre Schmerzen machen Reisen
zurzeit unmöglich.
Eine Transatlantikreise, die 18
Stunden dauert, wird sie vermutlich nie mehr unternehmen können. Klein
beigeben will Emilie Schindler aber nicht: Ein Anwalt in Deutschland solle
sich jetzt in ihrem Auftrag um den Nachlass kümmern, der ihr als Erbin Oskar
Schindlers zustehe, sagte sie gegenüber Journalisten. "Ich bin die Witwe und
rechtmäßige Erbin Schindlers", fügte sie in einem Gespräch mit der Deutschen
Presseagentur hinzu, "wir waren ja nicht geschieden." Verbittert ist die
alte Dame seit den fünfziger Jahren, als Oskar Schindler die mit ihm
gemeinsam nach Argentinien übergesiedelte Emilie sitzen ließ. Schindler
hatte nach dem Krieg versucht, dort wieder Fuß zu fassen. Zunächst führte er
erfolglos eine Pelztierfarm, dann übernahm er sich mit einer
Fischotterzucht. Von seiner Reise nach Deutschland, wo er in den fünfziger
Jahren eine Entschädigung in Empfang nehmen wollte, kehrte Oskar Schindler
nie mehr nach San Vicente zurück. "Es belastet sie enorm, sich an diese
Vorgänge zu erinnern", behauptet die Haushälterin Isabel.
Stuttgarter Zeitung 22-10-99
"Nie im Leben hatte ich Vorgesetzte"
Oskar Schindler kehrt aus
Argentinien zurück und geht mit einer Zementfabrik in Konkurs
In Argentinien versuchen sich Emilie
und Oskar Schindler als Viehzüchter. Ihr Erfolg bleibt aber bescheiden.
Ähnliches wiederholt sich, als Schindler 1957 nach Deutschland zurückkehrt.
Was sind in diesen Jahren Schindlers Hoffnungen? Und warum scheitert er
letztlich beim Versuch, sich eine Existenz aufzubauen?
Von Claudia Keller und Stefan Braun
Die ersten Nachkriegsjahre
überlebt das Ehepaar Schindler dank der Hilfe des Joint Jewish Distribution
Committee (JJDC). Kontakt zu der jüdischen Organisation hat Schindler
bereits Jahre vor Kriegsende. Bei geheimen Treffen mit Vertretern des
Committee in Budapest übergibt Schindler Briefe einiger Juden aus seiner
Fabrik, die an Verwandte in Palästina weitergeleitet werden. Außerdem
berichtet der Fabrikant von der Situation in Krakau und später in Brünnlitz.
Nicht zuletzt aus diesem Grund nimmt
sich das "Joint" nach Kriegsende der beiden Schindlers an. Zunächst in
Regensburg, dann in München erledigt Schindler für das Committee kleinere
Arbeiten und erhält dafür genügend Geld, um Emilie und sich über Wasser zu
halten. Diese Hilfe sowie die Einladung von Freunden veranlasst das Paar
auch, Ende der vierziger Jahre einen Neuanfang in Argentinien zu wagen. Mit
finanzieller Unterstützung des JJDC kaufen die Schindlers in Südamerika eine
Farm. Diese bietet, wie Oskar Schindler Jahre später - am 13. Juli 1966 - in
seinem Lebenslauf schreibt, die Möglichkeit, "einige tausend Enten, Hühner,
Eier und eine Jahresproduktion von ca. 5000 Nutrias zu erzeugen".
Wirklich zufrieden aber ist Schindler
mit seiner Situation in Buenos Aires nicht. 1955 schreibt er in einem Brief
an Izak Stern:
"Während ich hier in Argentinia
vegetiere und mich mit Problemen herumschlage, die für mich nicht existieren
dürften, kann man täglich in der deutschen Presse lesen, wie dort
Millionenbeträge aus Flüchtlingsgeldern vergeudet werden und wie von der
Bonner Regierung an Unfähige vergebene Industrien abwirtschaften."
Das Wichtigste ist für ihn in dieser
Zeit der Kontakt zu den Freunden in Buenos Aires. Die Stadt sei eine Stunde
Zugfahrt entfernt, so dass er die Bekannten zwei- bis dreimal in der Woche
besuchen könne, schreibt er. Dass die Schindlers sich ausgerechnet in
Argentinien niederlassen, wo - wie heute bekannt ist - etliche Nazis,
darunter Adolf Eichmann, untergetaucht sind, könnte auch damit
zusammenhängen, dass für Schindler ein Wechsel nach Palästina nicht in Frage
kommt. Seiner Meinung nach liegt Palästina in der "direkten Expansionslinie
der Russen", wie er in einem Brief an den britischen Juden A. J. Levy 1948
schreibt. Außerdem hat Schindler schon einige Bekannte in Argentinien,
darunter auch jüdische Schulfreunde, die bereits vor 1938 dorthin
ausgewandert sind.
Schindler ist nicht derjenige, der
auf der Farm die Dinge wirklich in die Hand nimmt. Vielmehr langweilt er
sich, ist sich zu schade für die tägliche Arbeit als Landwirt. Schon bald
stecken die Schindlers wirtschaftlich in der Klemme. Am 12. November 1955
schreibt der Geschäftsmann an Stern:
"Auf meiner Farm lasten große
Hypotheken, die bei einer normalen Entwicklung zu amortisieren wären. Aber
erstens ist die Landwirtschaft ein Geschäft mit dem lieben Gott, von
zahlreichen Faktoren abhängig, zweitens gibt es nur eine Ernte im Jahr, das
heisst, ein sehr träger Kapitalumlauf. Unerläßliche Investitionen, aus
sündhaft teuren kurzfristigen Krediten, brachten nicht den erhofften Erfolg,
es bleibt für meine Frau wenigstens, als großer Tierfreund, ein
,Lustgewinn'. Infolge der enorm gestiegenen Sozial-Lasten und Futterkosten
habe ich vor drei Jahren die Geflügelzucht aufgegeben und blieb nur bei der
Nutria-Pelztier-Zucht. Aber auch da verschlechtert sich von Jahr zu Jahr das
Verhältnis zwischen Gestehungskosten und Verkaufspreis. Vor drei Monaten
begann ich mit Vorarbeiten, die halbe Farm als Bauplätze zu verkaufen, um
die drückendsten Schulden puter zu werden, aber durch die Maßnahmen der
Revolutionsregierung wie Pesoabwertung etc wird wohl Grundstücksverkauf und
Wohnungsbau einige Monate Anlaufzeit brauchen. Vorerst ist alles
paralysiert, nur die Verpflichtungen laufen weiter, wäre ich die sechs
Jahre, statt schwer zu arbeiten, müßig gegangen, hätte ich kaum ein Drittel
meiner Schulden."
Inwieweit er selbst für die Probleme
mit der Zucht verantwortlich ist, lässt Schindler offen. Mitschuld aber gibt
er sich in dem Brief an Stern schon:
"Ein Teil der Schuld an meiner
Situation trifft mich selbst, (außer Wirtschaftskrise, Abwertung usw.) daß
ich nicht längst diese geistestötende Beschäftigung aufgab, um mir eine
bessere Existenz-Basis zuschaffen."
Schindler hofft nun darauf, mit
seinem Antrag auf Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland die Lage
für Emilie und sich zu verbessern. Formular um Formular füllt er aus und
listet minutiös auf, wie viel Millionen Reichsmark er für seine Krakauer
Fabrik aufgewendet hat, was er für Unterhalt und Verpflegung der Juden
ausgab, welche Summen die Bestechungen der SS-Offiziere verschlangen. Auch
für seine privaten Luxuswohnungen, für Teppiche, Pelze und Schmuck erhofft
er sich Kompensation. Nach seinen Berechnungen steht ihm für den Verlust
seiner Fabrik und seines Vermögens in einer Höhe von rund 5,25 Millionen
Reichsmark letztlich eine Erstattungssumme von etwa 165000 D-Mark zu - als
zinsfreier "Flüchtlings-Wiederaufbaukredit", wie er die erhoffte Hilfe im
Brief an Stern nennt. Schon zu diesem Zeitpunkt aber wird klar, dass er nur
dann Aussicht hat, Lastenausgleichszahlungen zu erhalten, wenn er nach
Deutschland zurückgeht:
"Da ein Transfer dieser
zweckgebundenen Gelder nach hier direkt nicht möglich scheint, müßte ich als
mittelloser Rückwanderer eine Zeit nach drüben gehen, (meine Frau würde hier
bleiben) um irgendeinen stilliegenden Betrieb von der Bundesreg. zu pachten
oder in eine bestehende Firma, mit den zinsfreien Krediten als Teilhaber
eintreten. Das ist aber vorerst Zukunftsmusik."
1957 ist es keine Zukunftsmusik mehr.
Schindler bricht nach Deutschland auf und kehrt Argentinien wie seiner Frau
Emilie Schindler nicht nur vorläufig, sondern endgültig den Rücken. In
Deutschland hält er an seinem Traum von einer großen Zukunft als
Fabrikdirektor fest. Bestärkt wird er dadurch, dass er noch in diesem Jahr
erste Raten aus den Wiederaufbaukrediten erhält. Zugleich schreibt er
Dutzende von Eingaben nach Bonn und stapelweise Briefe an die
Schindlerjuden, mit der Bitte, prominente Persönlichkeiten für eine
Intervention in seiner Sache zu gewinnen.
Noch bevor er größere Auszahlungen
erhält, beginnt Schindler Verhandlungen mit Firmen, die er mit den Mitteln
aus dem Lastenausgleich kaufen möchte. Die Branche ist ihm egal. Zunächst
handelt es sich um einen großen Getränkehandel, dann bemüht er sich um die
Lederwarenfabrik Kastner in Kemnat in der Oberpfalz. Später verhandelt er
mit einer Konservenfabrik im Saarland und bemüht sich um eine
Kunststoffproduktion in Ulm. Den Zuschlag erhält Schindler schließlich 1961
für das Kunst- und Betonsteinwerk Link in Hochstadt bei Hanau.
Die lange ersehnte Existenz als
Fabrikant währt aber nicht lange. Am 24. Januar 1963 schreibt er an Stern,
Jakob Sternberg und Moshe Bejski:
"In den letzten 2 Wochen habe ich
erfolgreich Konkursantragsversuche und Ableistung des Offenbarungseids unter
in Aussichtstellung der Sanierungsmöglichkeiten der Firma hinausgeschoben,
wenn auch nur kurzfristig. Zu meinem Unglück haben wir hier einen Winter,
wie ich ihn seit vielen, vielen Jahren in Deutschland nicht erlebte und der
selbst gesunde Baufirmen in eine kritische Situation brachte. Ich sehe
schwarz für die nächsten Wochen. Es fehlt einfach die geringste Menge an
Betriebsmitteln, um die nächste Zeit bis zur Auszahlung der LAG Mittel,
durchzuhalten. Schöne Gespräche an Konferenztischen bringen keine
Arbeitslöhne und ohne diese gibt es keine Produktionslust. Wenn ich physisch
und psychisch am Ende meiner Kräfte bin, so sind es nicht allein meine
Herzkranzgefässe, die weiter brav behandelt werden und durch eine
Gewichtabnahme von 10 kg eine gewisse Besserung erfuhren, sondern der ewige
zermürbende Kampf gegen Heckenschützen."
Damit spielt Schindler auch darauf
an, dass er nach Ehrungen in Israel 1962 von einzelnen Arbeitern in seiner
Fabrik und von einem Geschäftspartner als "Judenfreund" tätlich wie verbal
angegriffen wird. (Das wird ausführlicher in der übernächsten Folge
geschildert.)
Das Ende aller Hoffnungen als
Unternehmer kommt wenige Monate später. Eine Weile noch hofft Schindler auf
einen außergerichtlichen Vergleich, am 13. Dezember 1963 aber muss er einen
Offenbarungseid leisten. In seinem Lebenslauf vom 13. Juli 1966 erklärt
Schindler seine Misere rückblickend damit, dass die Zahlungen aus dem
Lastenausgleich immer erst kamen, wenn Gläubiger zu bedienen waren, also
dann, wenn Schulden beglichen werden mussten. In seinem Lebenslauf nennt er
drei Gründe für das Scheitern in Hanau: eine "zu hohe Miete, eine sehr
schwere Herzerkrankung und eine abnormale Wetter- resp. Frostperiode", die
"die letzten Hoffnungen auf eine Existenz zunichte machten".
In dieser Situation kommen ihm einige
gute, prominente Bekannte zu Hilfe, darunter der spätere deutsche
Botschafter in Israel, Rolf Pauls, und der deutsche Diplomat Paul Graf Yorck
von Wartenburg. Dessen jüngerer Bruder Peter Graf Yorck von Wartenburg war
als prominentes Mitglied des deutschen Widerstandes nach dem 20. Juli 1944
hingerichtet worden. Pauls und Wartenburg setzen sich dafür ein, Schindler
mit einer Anstellung bei der Hoechst AG in Frankfurt zu dem lang ersehnten
beruflichen Erfolg zu verhelfen. Ein Direktor des Chemiekonzerns erklärt
sich auch tatsächlich bereit, für Schindler eine Arbeit im Konzern zu
finden. Dass das am Ende nicht gelingt, liegt weniger an Hoechst als an
Schindlers Selbstverständnis. ImNovember1966schreibt er einen Brief
an"DirektorGottfriedNoack,FarbwerkeHoechst AG":
"Ich danke Ihnen und Ihrem
geschätzten Herrn Kollegen für die Offenheit der Feststellung, dass trockene
Schreibtischarbeit, Zahlenkalkulation in der Verkaufsabteilung eine
Verheizung meiner Möglichkeiten am falschen Platz wäre."
Schindler sieht sich am ehesten im
Außendienst, Kontakte knüpfend und Geschäfte vermittelnd, ohne diese aber
umsetzen zu müssen. Das sollen andere erledigen.
Schindlers Abneigung, sich als
einfacher Angestellter an den Schreibtisch eines Unternehmens zu setzen,
erinnert an seine generelle Abneigung, unter Vorgesetzten arbeiten zu
müssen. Daran hat sich offensichtlich seit seiner Arbeit bei der deutschen
Abwehr nichts geändert. An Fritz Lang hatte er 1951 über die Zeit dort
geschrieben:
"Bald ging mir das Reglement dieses
Berufes auf die Nerven, trotz der relativen Freizügigkeit, die ich genoß.
Nie im Leben hatte ich Vorgesetzte, jetzt begegnete ich subalternen
Offizieren, die mit dem Ton der Kasernenhöfe amtierten, oft ohne eine Spur
von psychologischem Fingerspitzengefühl, das bei dieser Arbeit wichtiger
ist, als Ordensverleihung."
Angesichts seiner wachsenden
wirtschaftlichen Not setzt Schindler ab Mitte der sechziger Jahre seine
letzten Hoffnungen auf eine Verfilmung seiner Geschichte während des
Krieges. Und als auch das schließlich scheitert, bleibt ihm nur noch die
Chance, von der Bundesrepublik eine lang ersehnte kleine Ehrenrente zu
erhalten. Mit der Bitte um baldige Hilfe wendet er sich auch an den
Frankfurter Oberbürgermeister Brundert. Am 7. Januar 1967 schreibt Schindler
dem Frankfurter Stadtoberhaupt, wie dringend er eine kleine staatliche
Unterstützung bräuchte. Zugleich versichert er, dass er selbst nichts mehr
besitzt:
"Ich betone, dass ich keinerlei
Grundstücke, Aktien, Zinseinnahmen oder ähnliches besitze. Abschließend
wiederhole ich, wie eingangs erwähnt, dass ich ausschließlich von
Unterstützungen meiner jüdischen Freunde lebe, die diese mir in variablen
Höhen zukommen lassen."
In den letzten Jahren seines Lebens
erhält Schindler tatsächlich mehrere kleine Renten- vom Land Hessen, von der
Stadt Frankfurt, vom Papst und vom Bundespräsidenten-, mehr als 20 Jahre
nach Kriegsende.
Morgen in der StZ: Schindlers
Geschichte in Hollywood - frühe Filmpläne mit Romy Schneider und Richard
Burton
[Photo in der StZ]
Hier lebte Oskar Schindler in
FrankfurtIn diesem Haus am Frankfurter Hauptbahnhof hat Oskar Schindler in
den sechziger und siebziger Jahren sein Domizil gehabt: ein kleines
Ein-Zimmer-Appartement diente ihm als Dach über dem Kopf. In den letzten
Jahren seines Lebens pendelte Schindler jedoch, soweit es sein
Gesundheitszustand zuließ, zwischen dem Appartement, der Wohnung des
befreundeten Ehepaares in Hildesheim und Israel. Dorthin luden ihn die
"Schindlerjuden" immer wieder ein. Diese Angebote nahm er gerne an, sofern
sein krankes Herz das Reisen erlaubte.
Die Liste der Koffer und das
Alter
Frau
Emilie Schindler wird heute 92