Staatsschutz gibt sich frustriert:
Gegen Nazi-Propaganda machtlos?
CD-Text: "Ich mag Adolf und
sein Reich, alle Juden sind mir gleich, ich mag Skinheads und SA, Türken
klatschen, ist doch klar. Ich mag Fußball auf dem Rasen, die SS, wenn sie
gasen – all das mag ich und ganz doll die NSDAP."
Anmoderation (PATRICIA SCHLESINGER):
Solche und ähnliche Widerwärtigkeiten sind Songtexte, CD‘s, im Umlauf in
Deutschland. Und sie erfreuen sich steigender Beliebtheit. Die Produzenten
solcher Nazi-Lieder haben in den meisten Bundesländern nichts zu befürchten,
genausowenig wie die Händler, die solche CD‘s vertreiben. Denn ihre Produkte
sind geschützt durch das jeweilige Landespresserecht.
Über unglaubliche Gesetzeslücken berichtete Thomas Berndt (im SFB / Okt.'99).
Der Mann vom Verfassungsschutz ist zwar
einiges gewöhnt, aber dieser Stapel CD’s liegt selbst bei Rüdiger Hesse im
Giftschrank. Grölende Skinheads, Rassenhaß und Volksverhetzung pur,
massenhaft gepreßt auf CD’s.
0-Ton MUSIKER: "Es ist ein altes
SA-Lied, es ist nicht Horst Wessel, nein, nein, das ist ‚Blut muß fließen‘.
Da kann jeder mitsingen hier."
"Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil."
"Wetzt die langen Messer, auf den Bürgersteig, laßt die Messer flutschen in
den Judenleib. Blut muß fließen ....."
0-Ton RÜDIGER HESSE
(Verfassungsschutz Niedersachsen): "Ich bin zutiefst erschüttert gewesen,
als ich das zum ersten Mal gehört habe, auch die Kollegen hier im Haus. Das
ist wirklich ein Skandal, daß so etwas heute in Deutschland wieder möglich
ist."
KOMMENTAR:Im letzten Jahr stieg die
Zahl von Konzerten wie diesem auf über 120. Rund 50 Verlage verbreiten die
entsprechenden CD’s. Skinhead-Musik auf dem Vormarsch.
0-Ton RÜDIGER HESSE: "Sie hat eine
enorme Bedeutung, zweifach. Erstens gilt sie natürlich der Gewinnvermehrung
einzelner, die hier sich eine goldene Nase verdienen. Auf der anderen Seite
ist sie ein ganz wichtiges Propagandainstrument. Über die Musik will man
junge Menschen als Anhänger der Szene gewinnen."
KOMMENTAR: Ein seltener Schlag gegen
die Szene. Das Landeskriminalamt Hannover konnte ein bundesweit tätiges Netz
von Händlern und Produzenten zerschlagen. Die meisten beschlagnahmten CD’s
erfüllen den Straftatbestand der Volksverhetzung, wie zum Beispiel die Band
Gestapo.
0-Ton NIKOLAUS BORCHERS
(Staatsanwaltschaft Hannover): "Alles, was ich vorher auf dem Tisch oft
hatte, als Einzelstück oder dergleichen, hat bei mir auch so den Eindruck
erweckt, das ist derart abwegig, derart, ja, außerhalb jeder Diskussion, was
das intellektuelle und moralische, politische, menschliche Niveau anging,
daß ich mir gesagt habe: Gott, aber eigentlich ist es nicht ernstzunehmen,
weil es eben so abwegig ist, übertrieben, also im Grunde gar nicht mehr
faßbar ist. Im Zuge dieser Ermittlungen habe ich festgestellt, daß es eben
doch einen relativ großen Markt dafür gibt."
KOMMENTAR: Zwar beschlagnahmten die
Ermittler über 8.000 CD’s, die Täter aber können nur für wenige belangt
werden, weil diese CD’s geschützt sind – überraschenderweise durch das
Niedersächsische Landespressegesetz. Denn nach der Definition werden auch
CD’s unter den Schutz des Presserechts gestellt, als Musikalien mit Text.
Und das besondere Privileg der Presse: Straftaten, auch Volksverhetzung,
verjähren nach nur sechs Monaten.
0-Ton NIKOLAUS BORCHERS
(Staatsanwaltschaft Hannover): "Die Verjährung hat uns viele der schlimmsten
CD’s aus der Hand geschlagen. Zu erwähnen sind hier CD’s meinetwegen wie
'Zyklon B', bezüglich unserer Angeklagten, die Zillertaler Türkenjäger,
Nordheim, Vol. 1 – CD’s mit Texten, die, wenn man sie im einzelnen sieht –
Sie werden sie wahrscheinlich kennen – ja, an Deutlichkeit eigentlich nicht
zu überbieten sind."
KOMMENTAR: Von solchen CD’s erfahren
die Ermittler jedoch meist zu spät, denn sie werden konspirativ unter der
Ladentheke gehandelt. Die kurze Verjährungsfrist allerdings beginnt schon
mit dem ersten Tag der Verbreitung, und diese Schwachstelle im Gesetz kennen
die Nazis nur zu gut und nutzen sie seit Jahren.
0-Ton NIKOLAUS BORCHERS: "Es gibt
sehr gute Anhaltspunkte dafür, daß ganz bewußt auf den Aufdrucken bei diesen
CD’s ein früherer Zeitpunkt aufgedruckt oder mitgeteilt worden ist, um den
Eindruck zu erwecken, das ist eben meinetwegen schon 1997 erschienen, das
heißt: Wenn du jetzt 1998 zugreifst, sind die sechs Monate schon
abgelaufen."
KOMMENTAR: Hilflose Staatsanwälte,
ahnungslose Politiker. Für die Pressegesetze sind die Bundesländer
verantwortlich. Aber nicht nur Niedersachsen hat die Gesetzeslücke jahrelang
verschlafen, die meisten Bundesländer ganz genauso.
0-Ton PETER JÜRGEN SCHNEIDER
(Niedersächsische Staatskanzlei): "Es ist eine neue Materie, aber auch ein
diffiziles Thema. Das Presserecht ist ein hohes Gut, und da muß man nun sehr
sorgfältig überlegen, wenn man zu Veränderungen kommt. Wir werden hier
jedenfalls nach diesen Erfahrungen, die wir jetzt sammeln mußten im Bereich
des rechtsextremen Propagandamaterials, sehr zügig handeln."
0-Ton GOTTFRIED TIMM (Innenminister
Mecklenburg-Vorpommern): "Gerade hier in diesem Bereich, wo es um
verfassungswidrige Symbole oder auch Texte geht, werden wir auf jeden Fall
daran arbeiten, daß wir das Strafrecht anwenden und nicht weiterhin das
Presserecht anwenden."
KOMMENTAR: Das kann noch Monate dauern.
Bis dahin werden CD’s fleißig weiter produziert. Volksverhetzung – häufig
ohne Strafe. Und die Staatsanwälte müssen zuschauen, hilflos und frustriert.
0-Ton NIKOLAUS BORCHERS: "Man kann
sie nicht verfolgen, obwohl sie noch in letzter Zeit verbreitet haben, weil
die erste Verbreitung mehr als sechs Monate zurückliegt. Das ist natürlich,
naja, soweit es einem Staatsanwalt erlaubt ist, persönliche Gefühle zu
haben, frustrierend."
Abmoderation (PATRICIA SCHLESINGER):
Frustrierend - und das steht im Klappentext einer solchen CD: "Tja,
Bullenschweine und mein Lieblingsoberstaatsanwalt, mit dieser CD könnt Ihr
mir gar nichts."
Die Nazis wissen also ganz genau, mit wem sie es zu tun haben.
haGalil 10-99