Wien:
Juden haben keine Angst vor Haider
Anton Legerer / anton@hagalil.com
Jüdische
Rundschau Nr. 40 vom 7. Oktober 1999
"Deprimierend", fasste
IKG-Präsident Ariel Muzicant seine Empfindungen nach der Wahl zum
österreichischen Nationalrat letzten Sonntag zusammen. Ausser starken
Verlusten der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ), dem Ausscheiden der
Liberalen und leichten Gewinnen der Grünen zeigt die vorläufige
Stimmenauszählung - das Endergebnis, zu dem noch 200.000
Wahlkartenwähler zählen, davon 80.000 ausserhalb Österreichs lebende
Wahlberechtigte, wird erst am kommenden Dienstag feststehen - einen
nochmaligen Anstieg der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ)
unter Jörg Haider.
Nach 13-jähriger Obmannschaft Jörg
Haiders und zahlreichen Zugewinnen in der Vergangenheit konnte diese Partei
mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen (27 %).
Damit liegt die FPÖ gleichauf mit der konservativen Volkspartei (ÖVP), in
relativ geringer Distanz zur noch immer stimmenstärksten SPÖ (34 %), die
Grünen erreichten 7 %. In zwei der neun österreichischen Bundesländer (in
Kärnten und Salzburg) wurde die FPÖ stimmenstärkste Partei. Die bisherige,
ebenfalls seit 13 Jahren bestehende "große Koalition" von SPÖ/ÖVP ist in
Frage gestellt, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ scheint wahrscheinlich.
Die Alarmglocken läuten
Der Wahlausgang hat großes
internationales Echo hervorgerufen. Zuletzt haben sich Präsident Esra
Weizman und Premier Ehud Barak aus Israel zu Wort gemeldet. Weizman forderte
die Juden in Österreich zur sofortigen Immigration nach Israel auf, für
Barak läuten nun die "Alarmglocken". Aus den USA nahm Aussenamtssprecher
James Rubin Stellung, der Vertrauen in österreichische demokratische
Institutionen zeigte, und die FPÖ zugleich aufrief, Minderheiten und ihre
Rechte zu respektieren.
Mit Ausnahme des französischen
Rechtspopulisten Le Pen und des Bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber (CSU)
zeigten sich Politiker aller europäischen Staaten über den Zuwachs der FPÖ
besorgt. Innerhalb der Europäischen Union wird eine zunehmende Isolation
Österreichs befürchtet, osteuropäische Staaten fürchten im Falle einer
rechtsgerichteten Regierung ein Veto Österreichs gegen ihren Beitritt zur
Union.
In Österreich selbst herrscht
betretene Betroffenheit, selbst die Wahlgewinner der FPÖ verhalten sich
unauffällig und ruhig. Auf politischer Ebene wird auf die Bekanntgabe des
endgültigen Wahlausgangs am kommenden Dienstag verwiesen.
SPÖ und ÖVP schweigen zum
Rassismus
Zu einer inhaltlichen
Auseinandersetzung mit den von der FPÖ im nur vordergründig apolitischen
Wahlkampf verwendeten, zutiefst rassistischen Parolen sind SPÖ und ÖVP in
der Öffentlichkeit nicht bereit. Das unzweideutige Entgegnen rassistischer
Inhalte blieb Liberalen, Grünen sowie privaten Organisationen überlassen.
Bei einer dieser Initiativen beteiligte sich namens der IKG auch deren
Präsident Ariel Muzicant.
Nach der Wahl erwartet Präsident
Muzicant keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Israelitische
Kultusgemeinden und die Juden in Österreich. Die beiden bedeutenden
politischen Anliegen der IKG lägen nicht in der Hand der Bundesregierung:
die Regelung der Restitution sei eine internationale Angelegenheit geworden,
die Regelung um jüdische Einwanderung nach Wien, vor allem aus den
GUS-Staaten, beträfe nur wenige Hundert Menschen und läge bei den lokalen
Wiener Behörden. Auswirkungen sieht Muzicant hinsichtlich des "mentalen
Wohlbefindens" der IKG-Mitglieder. Tatsächlich ist bei manchen vom
"Kofferpacken" die Rede. Zwar hat die FPÖ keine (neuen) direkten
antisemitischen Äußerungen gemacht, im Wahlkampf plakatierte sie allerdings
den auf Zuwanderer gemünzten Slogan von der "Überfremdung" Österreichs -
eine eindeutige nationalsozialistische antisemitische Diktion.
Das Wiener ADL-Büro zeigte sich in
einer Presseaussendung besorgt und verwies auf einen Vorfall in einer
kleinen Stadt an der Grenze zur Slowakei, wo am Tag nach der Wahl ein
Wahlposter der FPÖ mit einem Davidstern und dem Zusatz "Danke Jörg" versehen
worden war.
Nationalratswahl
Österreich gesamt
3. 10. 1999 |
Anteil '99 |
Stimmen |
Anteil '95 |
QUELLE:
HAUPTWAHLBEHÖRDE / WIEN
Statistik
wahlberechtigt
abgeg. Stimmen
gültige Stimmen
Wahlbeteiligung |
1999
5.838.320
4.448.057
4.377.098
76,2% |
1995
5.768.099
4.959.455
4.844.173
86,0% |
|
SPÖ |
33,4% |
1.461.474 |
38,1% |
FPÖ |
27,3% |
1.191.618 |
21,9% |
ÖVP |
26,8% |
1.177,271 |
28,3% |
Grüne |
7,1% |
310.682 |
4,8% |
LIF |
3,4% |
149.264 |
6,5% |