Zum jetzt rechtskräftig gewordenen Vergleich eines polnischen
Zwangsarbeiters vor dem Landgericht Stuttgart erklärt der Sprecher des
Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte, Lothar Evers:
Ein mittelständisches Unternehmen der Metallindustrie in Baden
Württemberg hat sich zur Abwendung einer Klage vor dem Arbeitsgericht
Stuttgart bereiterklärt, einem dort von 1942 bis 1945 eingesetzten
polnischen Zwangsarbeiter 15.000 DM Schadenersatz zu gewähren. Diesem
jetzt rechtskräftig gewordenen Vergleich kommt auch dadurch besondere
Bedeutung zu, daß das Unternehmen durch den Verband der Metallindustrie
in Baden Württemberg im Prozeß vertreten wurde.
Stanislaw A. hatte sich Anfang des Jahres bei unserem Bundesverband
gemeldet und um Unterstützung bei der Geltendmachung von
Schadenersatzansprüchen gegen die Firma in Heidenheim an der Brenz
gebeten.
Im Alter von 21 Jahren war A. aus seiner polnischen Heimat zur
Zwangsarbeit nach Heidenheim verschleppt worden. 12 Stunden am Tag, 6
Tage in der Woche mußte er in Baden-Württemberg Kriegsgüter produzieren.
"Wir waren eigentlich ständig hungrig, erinnert
sich A. und wehe, man wurde krank. Mein Freund Eugen, damals
erst 23 Jahre alt, ist drei Tage vor Heiligabend 1944
gestorben".
Zum Glück verfügte Herr A. über ausgezeichnete Beweise für seine
Tätigkeit bei dem Heidenheimer Unternehmen. Das Arbeitsbuch aus der
damaligen Zeit war noch vorhanden, die Firma selbst hat ihm 1984 eine
Bescheinigung über die Tätigkeit zur Vorlage bei der polnischen
Rentenversicherung ausgestellt, außerdem konnte A. einen Leidensgenossen
als Zeugen benennen.
Gleich nachdem A. sich an uns gewandt hatte, konnten wir recherchieren,
daß die Firma in Heidenheim nach wie vor existierte. Mit Hilfe des
Kölner Rechtsanwaltes Dr. Andreas Remin wurde dann eine Klage
vorbereitet. Der jetzt geschlossene Vergleich kam auf Vorschlag des
Stuttgarter Arbeitsrichters zustande.
Unseres Wissens ist es das erste Mal, daß ein ehemaliger Zwangsarbeiter
vor einem deutschen Gericht Schadenersatz erstreiten konnte. Daß diese
Entscheidung gerade jetzt rechtskräftig wird, stärkt die Position der
Überlebenden im Kampf um Anerkennung und Entschädigung.
Wir möchten uns hier zuallererst bei den unentgeltlich und selbstlos
arbeitenden Anwälten und Rechercheuren in Deutschland und Amerika
bedanken. Ohne ihren Einsatz hätten die Überlebenden bei der
Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche gegen die Übermacht der
deutschen Industrie keine Chance.
Die versucht, mit Millionenbeträgen die Klagen der Überlebenden zu
verhindern. Man muß sich doch sehr wundern, daß in den deutschen Medien
gerade den unentgeltlich arbeitenden Anwälten auf Opferseite Eigennutz
unterstellt wird. Sie können nicht sicher sein, für ihre Arbeit bezahlt
zu werden.
Die Industrie sollte sich wirklich überlegen, ob sie nicht die jetzt
für Prozeßkosten aufgewandten Millionenbeträge direkt an die
Überlebenden ausschüttet.
Das jetzt in Stuttgart entschiedene Verfahren zeigt vor allem, daß es
sich lohnt, für seine Rechte zu kämpfen.
Während die deutsche Wirtschaft unisono mit der Bundesregierung und dem
Bundeskanzler behauptet, es gäbe keine Ansprüche auf Schadenersatz für
NS-Zwangsarbeit, die Überlebenden müßten als Bittsteller und
Almosenempfänger ihre Ansprüche bei noch einzureichenden Stiftungen
geltend machen, konnte im jetzt abgeschlossenen Stuttgarter Verfahren
das Gegenteil bewiesen werden.
Wir hoffen sehr, daß sich auch die anderen Unternehmen, die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigten, endlich zu ihrer
Verantwortung bekennen und daß insbesondere die Verbände der Industrie
endlich auf ihre Mitglieder einwirken, sich fair mit den Überlebenden zu
vergleichen.