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Süddeutsche Zeitung

Der Schriftsteller Amos Oz:
... Israelische Identität

... über den Frieden in Israel, die Identitätsfrage der Israelis, den Mashiah
und die Frage, ob G'tt immer recht hat...

Der Messias soll selber entscheiden

Wir haben gerade über die Identitätsfrage der Deutschen gesprochen, auch die Israelis reden ständig von Identität.

Ja, wir haben sogar ein großes Problem mit unserer Identität. In gewissem Maß ähnelt dieses Problem ironischerweise dem Identitätsproblem der Deutschen. Ironischerweise deswegen, weil die Juden viele Generationen lang gar keine Religions- oder Glaubensgemeinschaft waren, nicht einmal wirklich eine Nation oder ein Stamm. Sie waren irgendetwas dazwischen: eine Art weitverzweigter Familie. Es war leichter die Israelis mit dem deutschen Wort „Volk“ zu beschreiben als mit dem Begriff Nation oder Staat. Und der Übergang einer solchen Gruppierung in eine Nation des 20. Jahrhunderts, eine offene Nation, nicht basierend auf einer rassischen oder ethischen Identifikation, sondern im wesentlichen auf Kultur, dabei sehr tolerant, sehr pluralistisch – das ist ein genauso dramatischer Übergang wie für die Deutschen in den letzten 300 Jahren. Nur daß wir keine 300 Jahre haben.

Dafür haben Sie den Zionismus. Ist der nicht identitätsstiftend?

Zionismus gibt es in jeder Größe, Form und Farbe. Der Zionismus war nie eine Ideologie, er war ein Nachname, eine Art lockerer Zusammenschluß von Träumen, Wünschen und Plänen. Es gab Leute, die kamen in dieses Land mit dem Wunsch, hier eine westliche, liberale, soziale, säkulare, tolerante und moderne Demokratie zu gründen. Andere hofften, die biblischen Königreiche von David und Salomon wiederherzustellen. Wieder andere wollten nur demütig dasitzen und auf den Messias warten. Manche sahen sich selbst als Messias. In meiner Kindheit war Jerusalem ein total verrückter Ort. Jeder war ein Erlöser. Jeder wollte irgendwen kreuzigen oder selbst gekreuzigt werden. Und dann gab es noch diejenigen, die in Israel ein marxistisch-zionistisches Paradies schaffen wollten: die linksgerichtete Kibbuzim gründeten und insgeheim darauf warteten, daß eines Tages Stalin persönlich zu Besuch kommen würde, damit sie ihm erklärten, was der Marxismus-Leninismus ist.

Klingt chaotisch.

Ist es auch. Jeder ist auf eine andere Art und Weise Zionist. Damit müssen wir lernen zu leben. Zionismus ist nicht das Baby von irgendjemandem. Die schrecklichen rechten Siedler sind Zionisten. Die orientalischen Juden, die hier gerne eine Art marokkanisch-tunesische Republik jüdischer Prägung schaffen würden, sind Zionisten. Der einzige gemeinsame Nenner ist die Erkenntnis, daß es einen Platz auf der Welt geben muß, eine Art territoriale Nische, wo sich die Juden zuhause fühlen können. Was sie nicht schaffen werden, denn selbst wenn sie sich mal zuhause fühlen, wird sich herausstellen, daß sie dort nicht zuhause sind. Das ist Zionismus, ganz simpel: Laßt uns ein Stück Land finden!

Jude sein – was ist das für Sie?

Jeder, der sich selbst Jude nennt, ist ein Jude – so einfach ist das. Es ist ein freies Spiel der Interpretation mittels ständiger Diskussion. Von Anfang an hatten wir eine Diskussion über unsere Identität: Was ein Jude ist, wer ein Jude ist; wer gut ist und wer böse.

Nicht umsonst hatten die Juden nie einen Papst. Das würde nicht funktionieren. Jeder würde ihm auf die Schulter klopfen und sagen: Hey, Papst, ich werde dir mal erklären, was G'tt wirklich von uns will! Dieses anarchistische Gen gehört zum jüdischen Erbgut, und ich liebe das sehr. Das ist auch der Grund, weshalb Israelis nicht in einen Ingmar-Bergman-Film gehören. Sie gehören in einen Fellini-Film.

Irgendeiner entscheidet immer: ein Papst, ein Rabbi, ein Regisseur – im Zweifelfall eben G'tt.

Wir Juden führen selbst mit G'tt Diskussionen. Wir kritisieren und attackieren ihn. Es gibt da eine Geschichte, die ich sehr mag: Rabbi Joshua und Rabbi Tafon konnten sich über eine bestimmte Auslegung der Thora nicht einig werden. Sie diskutierten und stritten Tag und Nacht. Sie aßen nicht und tranken nicht. Sie stritten immer weiter, sieben Tage und sieben Nächte lang. Da hatte G'tt Mitleid mit ihnen, und er rief: „Schluß jetzt! Hiermit entscheide ich: Rabbi Joshua hat recht, und Rabbi Tafon hat unrecht. Jetzt geht heim und schlaft euch aus!“

Da richtete Tafon seine Augen nach oben und sagte: „Allmächtiger G'tt, du hast die Thora an die Menschen gegeben, jetzt halte dich raus!“

Mit Amoz Oz unterhielt sich Christine Dössel. Das Interview erschien in der SZ.

haGalil onLine - 09-99

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