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Friedrich Schreiber
Zur Diskussion nach dem Tod von Ignatz Bubis

War er nun Deutscher oder gar ein "guter Deutscher" oder war er "nur" Jude? Mit dieser Fragestellung wird die menschliche und politische Identität von Ignatz Bubis nachträglich aufgespalten, nur weil der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland vor seinem Tod verfügte, in Israel begraben zu werden.

Maxim Biller verstieg sich zu der Behauptung, Bubis habe es den Deutschen post mortem durch seine Flucht nach Israel richtig gezeigt: Ich bin Jude und kein Deutscher (Süddeutsche Zeitung vom 23.8.99). Der deutschstämmige Israeli Mosche Zimmermann (HSV-Fan!) hat Billers Haarspalterei, die die Vielschichtigkeit jüdischer Existenz in der israelischen Wirklichkeit und in den verschiedenen Diaspora-Kulturen verkennt, ebenfalls im SZ-Feulilleton auf ebenso klare wie erfrischende Weise verworfen (Süddeutsche Zeitung vom 27.8).

Als überzeugter Demokrat in einer Nation, deren moralische Fundierung eine geistige Bewältigung des schlimmsten Kapitels ihrer Geschichte erfordert, war Bubis zum Dialog mit allen politischen Kräften der Republik bereit. Im Jahre 1997 erklärte er bei einem Vortrag im Auditorium Maximum der Universität München, er würde sogar mit NDP-Anhängern über die Nazi-Vergangenheit diskutieren - "aber nur mit den Jungen, weil die sich noch ändern können."

Schon zu Beginn seiner Amtszeit hat Ignatz Bubis demonstriert, daß er sich auch in Zeiten unerträglicher Herausforderungen zu seinem Deutschsein bekennt. Als der neugewählte Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland im Februar 1993, nach den abscheulichen Ausländerpogromen des Jahres 1992, zu seinem Antrittsbesuch nach Israel kam, schlug ihm eine Welle der Empörung und der Ablehnung entgegen. Nach der Serie xenophobischer Brandanschläge von Hoyerswerda über Rostock bis Mölln forderten prominente israelische Politiker den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem wiedervereinigten "Großdeutschland", einen Boykott für deutsche Produkte; und sie ermahnten ihre im "Land der Mörder" lebenden Glaubensbrüder: Rettet Euch, bevor es zu spät ist.

In dieser für deutsche Juden beklemmenden Grenzsituation widersprach Bubis Jerusalemer Politikern und Journalisten ebenso, wie jenen in Deutschland lebenden Juden, die schon die Koffer packen wollten. Im israelischen Fernsehen bekannte er sich zu seiner Lebensentscheidung, als deutscher Jude in dem nach 1945 entstandenen demokratischen Deutschland zu leben.

In dieser für ihn schwierigen Zeit, in der er keinen Zweifel an seinem Deutschsein aufkommen ließ, äußerte Bubis schon den Wunsch, nach seinem Tod in Israel begraben zu werden. Als ihn damals der ARD-Korrespondent über seine Gefühle nach den fremdenfeindlichen Ereignissen in Deutschland und über seine Reaktion auf die israelische Kritik befragte, antwortete er: "Dieser Haß gegen Ausländer ist schrecklich. Aber ich bleibe in Deutschland; denn ich glaube an die moralische Kraft der Demokratie, die auf dem Boden des Grundgesetzes entstanden ist". Dann fügte er - mit Tränen in den Augen - hinzu: "Doch wenn ich sterbe, will ich in Israel begraben werden. Denn der Gedanke, mein Grab könnte geschändet werden, ist mir unerträglich". Das sagte Bubis fast sechs Jahre vor dem Sprengstoffanschlag auf die Grabstätte seines Vorgängers Heinz Galinski.

Dieses Interview fand im "Tal der zerstörten Gemeinden" der Holokaust-Gedenkstätte Jad vaSchem statt, wo die Namen aller von den Nazis vernichteten jüdischen Gemeinden - nach Ländern und Regionen geordnet - in den gelben Jerusalem-Fels gemeißelt sind - an einem Ort also, der eine besonders symbolträchtige Bedeutung für das Empfinden eines deutschen Juden besitzt, der in Breslau geboren wurde, nach Polen floh und dort doch von den Nazis eingeholt wurde, der schließlich Frankfurt als neue Heimat wählte. Auf die Frage, ob er vor dem Schriftzug von Breslau oder von Frankfurt sprechen wolle, oder von Deblin, wo sein Vater und seine Geschwister ins Vernichtungslager Treblinka abtransportiert wurden, antwortete Bubis mit klarer Stimme: "Frankfurt, denn da lebe ich jetzt".

Geriet Bubis mit seinem kämpferischen Engagement als Jude und Deutscher in einen unauflöslichen Zwiespalt, wie Maxim Biller behauptet.? Kurz vor seinem Tod erlebte er Dinge, die seine Hoffnung auf eine gedeihliche deutsch-jüdische Existenz in der Tat zutiefst erschütterten. Nicht die tagtägliche Flut von unflätigen Verhöhnungen durch antisemitische Briefschreiber oder das mit dem Namen "Bubis" beschriebene Schwein, das Neonazis über den Berliner Alexanderplatz trieben, verletzten ihn am meisten. Am unerträglichsten empfand der Holocaust-Überlebende die Festrede von Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche, als dieser vor einem auserwählten Kreis von Würdenträgern der Republik den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt.

In einer Zeit, in der sich Politiker und Pädagogen Sorgen machen, wie 54 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur Defizite im Geschichtsbewußtsein und neonazistische Tendenzen in der jungen Generation zu bewältigen sind, brandmarkte Walser die "Dauerpräsentation unserer Schande durch "die Medien": "Kein Tag vergeht, an dem sie uns nicht die unvergängliche Schande vorhalten." - "Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut." - "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung."

Es war nicht nur diese provokativ vorgetragene Abschalt- und Weghör-Mentalität, die Bubis bis ins Mark traf. Fast ebenso enttäuschend wie die Rede des gefeierten Literaten war für ihn der Beifall der Elite der kulturellen und politischen Klasse Deutschlands. Während sie den moralischen Befreiungsschlag des 1927 geborenen Preisträgers in stehender Ovation bejubelte, blieb Bubis sitzen. Eine standhafte Geste eines guten Deutschen.

Um bei seiner Bewertung des Holocaust-Gedenkens nur ja kein Thema auszulassen, ließ es sich Walser in seiner Preisrede nicht nehmen, das künftige Mahnmal in Berlin, für das sich auch Bubis eingesetzt hatte, mit abfälligen Worten zu persiflieren: "Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande." Diese Abqualifizierung, die Sinn und Zweck der Berliner Gedenkstätte ignoriert, äußerte der am Rande der Bundesrepublik lebende Autor wohlgemerkt in einer Zeit, als im Deutschen Bundestag und in den Feuilletons renommierter deutscher Zeitungen auf hohem Niveau über eine nationale Stätte des Erinnerns und Gedenkens diskutiert wurde.

Enttäuschung empfand Bubis auch, dass ein ausgewiesener Demokrat wie Klaus von Dohnanyi seinen zornigen Protest gegen Walsers Rede ("antisemitischer Brandstifter") zurückwies. Der Sohn eines antifaschistischen Märtyrers verharmloste Walsers Medienschelte ("Auschwitz-Keule", "Instrumentalisierung der Schande") nach Bubis' Tod mit der Erklärung, diese Worte seien doch nur gegen die deutsch-feindliche Presse im Ausland gerichtet (Süddeutsche Zeitung vom 20.8.). Dohnanyi scheint - wie Walser - das euphorische Echo auf dessen Rede in der rechtsradikalen Presse zu unterschätzen. Begeisterte Zustimmung von der Nationalzeitung über die Junge Freiheit bis zum Ostpreußenblatt: "Der Redner wagte es, die Stickluft des selbstgerechten Tugendterrors wegzublasen." Oder im Nationalen Infotelefon Schleswig-Holstein: "Die notorischen Vergangenheitsbewältiger und Berufsbüßer sind auf dem Rückzug."

Also doch ein Rückzug des "guten Deutschen" in den Judenstaat nach den für ihn enttäuschenden Debatten über die Walser-Rede? Bubis' letzte, an die Öffentlichkeit gerichteten Worte waren, wohl auch durch die letale Krankheit bedingt, von Bitterkeit und Skepsis geprägt. Aber Mahnung und selbst Resignation sind noch nicht Ausstieg und Abschied, vielleicht aber ein letzter Aufschrei.

Bei seinem schwierigen Israel-Besuch im Februar 1993, als viele Abgeordnete der Knesset die fremdenfeindliche Gewalt in Deutschland scharf verurteilten, hörte Bubis die beschwörenden Worte Avram Burgs, des jetzigen Präsidenten des israelischen Parlaments: "Wir Juden sind der Aufschrei aller Minderheiten in der Welt." Ignatz Bubis war ein moralischer "Aufschrei" in unserer Republik - nicht nur in den zahlreichen Fällen, wo die Würde von Juden verletzt wurde. 

Friedrich Schreiber

                                                    haGalil 09-99

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