Dr. Ariel Muzicant, Leiter der israelitischen Kultusgemeinde in Wien stellte
heute in Wien die neue Abteilung der Gemeinde vor, die sich mit Anfragen von
österreichischen Überlebenden der Shoah befassen soll. Ziel der Anlaufstelle
ist die Erfassung von Ansprüchen auf "durch die Nationalsozialisten
entzogene Vermögenswerte" um damit die Basis für die Prüfung von Restitution
und Entschädigung zu schaffen.
Die Kultusgemeinde hat derzeit nicht mal Gewißheit auf Parteienstellung
bei solchen Verfahren. Damit ist eine wirkliche weltweite Vertretung für
Juden aus Österreich geschaffen, deren Zahl auf 25.000 geschätzt wird.
Nach der erfolgreich verlaufenden Auktion der Kunstschätze, die über
Jahrzehnte in der Kartause Mauerbach lagerten, wird die jüdische
Gemeinde sich der Verschleppungstaktik der Republik Österreich
entgegenstellen.
Nach Angaben der Kultusgemeinde wurden an den Mauerbach-Fonds 7.000
Anträge gestellt, von denen 4.900 bereits erledigt werden konnten. Der
bereits bestehende Nationalfonds, der allen Überlebenden etwa 10.000 DEM
auszahlte wird gern und oft von Offiziellen der Alpenrepublik in
Stellung gebracht, um die Hand des Staates draufzulassen .
Schon bei den Datenbeständen kommt es zu ersten Konflikten. Der
Nationalfonds hat die Daten aller Überlebenden. Ob diese der neuen
Stelle zur Verfügung stehen, scheint ungewiss. Ariel Muzicant betont
gerne, es gehe darum, die Opfer nicht mehr im Kreis gehen zu lassen. Der
47 jährige ausgebildete Mediziner und Immobilienmakler ist der erste
Vorsitzende der Gemeinde aus der Generation eins nach dem Holocaust .
Muzicants Vorgänger Paul Gross erzählte die Geschichte seiner
Verfolgung, die ein Teil seiner Familie nicht überlebte. "Im Jahre 1945
hatten wir nix zum beissen." (So wie die meisten Österreicher) Da
konnten wir uns um diese Fragen nicht kümmern. Später bemühte sich die
zweite Republik - mit beharrlicher Unredlichkeit - "die Sache in die
Länge zu ziehen" (so der damalige Innenminister Oskar Helmer).
Die Einsetzung der Historikerkommission und die neue Stelle könnten den
Beginn der Aufarbeitung von Raub und Arisierung bedeuten. Eine vor zwei
Tagen getroffene Entscheidung, Gemälde nicht zurückzugeben (siehe dazu
Brief von Hubertus Czernin) sorgte für eine heftige
Kontroverse und offen antisemitischen Widerhall in der Zeitung "DIE
PRESSE".
Etwa 200.000 österreichische Juden wurden vertrieben, 65.000 von den
Nazis ermordet. Es dürften etwa 55.000 Haushalte vernichtet worden sein,
die Historikerin Brigitte Bailer Galanda schätzt den materiellen Schaden
auf ca. 55 Milliarden DM bzw. 230 Milliarden Schilling.
"Um Geld geht es uns nicht vordringlich" sagte Muzicanz fast
beschwörend. Im Jahre 1948 wurde in Österreich ein Rückstellungsgesetz
beschlossen, welches nie durchgeführt wurde. Als Kultusgemeinde bieten
wir den betroffenen Personen und deren Nachkommen umfassende
institutielle Unterstützung für ihre Anliegen. Wir können den Erfolg im
Einzelfall nicht garantieren. Wir wollen aber nichts unversucht lassen,
um noch im letzten Moment Gerechtigkeit zu erwirken." so Muzicant.
SLW / haGa 01-07-99