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Süddeutsche Zeitung

Wo steht der Freund?
Israel ist vom Kosovo-Krieg zutiefst verunsichert

Israelis interessieren sich eigentlich kaum für jene Dinge, die sie nicht selber direkt betreffen. Es gibt in Israel so gut wie keine Auslandsnachrichten; und was in den vergangenen Jahren auf dem Balkan geschah, wurde allenfalls am Rande wahrgenommen. So kam es, daß die Israelis ganz schön überrascht und überrumpelt wurden von jenen Nachrichten, welche die Vertreibung der Kosovaren aus ihrer Heimat und die Angriffe der Nato auf Serbien verkündeten. Umso schneller aber organisierten sich die verschiedenen Wahrnehmungs- und Deutungs-Strategien.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, daß jüdische und israelische Erinnerungen nicht in denselben Bahnen verlaufen. Oft wird den Israelis vorgeworfen, daß sie nicht imstande seien, den Holocaust zu universalisieren; daß sie ihn bloß als das traumatische Ereignis der jüdischen Geschichte betrachteten und keine universellen Lehren aus ihm ziehen könnten. Natürlich ist da etwas Wahres dran. Wie könnte es für die Überlebenden und deren Angehörige auch anders sein?

Kompliziert wird diese Sichtweise jedoch, wenn man den Konflikt im Kosovo mitbedenkt. Dort hat der „Westen“ definiert, wer gut und wer böse sei, wer Licht und Dunkel, Zivilisation und Barbarei verkörpere: Die Bösen sind die Serben. Für die meisten Juden waren aber gerade die Serben die Guten in den Zeiten des Holocausts. Sie waren es, die Juden vor Kroaten und Albanern retteten. Und haben nicht tapfere Partisanen in Serbien den Deutschen hartnäckig Widerstand geleistet? Wurde Belgrad nicht schon von den Nazis bombardiert?

Diese Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg bestimmen das Bild von den Serben, wie es viele Juden und Israelis heute noch sehen: Ein Bild, das natürlich nachhaltig gestört wurde von den ersten Aufnahmen der Flüchtlingsströme aus dem Kosovo. Israelische Nachrichtensprecher konnten denen von CNN, BBC und Sky News nicht nachstehen, welche, ganz im Einklang mit den Politikern, von einer Wiederholung des Holocausts sprachen. „Nicht noch einmal!“ schallte es aus allen westlichen Pressekonferenzen und Nachrichtensendungen. Sogar das neue Deutschland kämpfte diesmal an der Seite des Lichts gegen die Mächte der Dunkelheit, und dieses Deutschland rechtfertigte sein Handeln mit dem Verweis auf seine Rolle in den Zeiten der Finsternis. Der neue „militärische Humanismus“ der Nato befreite nun nach mehr als fünfzig Jahren Auschwitz. Die Juden Europas wurden nun endlich, auch unter Mitwirkung der Bundeswehr, gerettet. Konnte Israel den Deutschen bei der Rettung der „Juden-Kosovaren“ da nachstehen?

Überlebende des Holocausts kamen im israelischen Fernsehen zu Wort und unterstützten die Auffassung, daß die Serben, auch wenn sie einst Freunde der Juden waren, nun Nazis seien und Moslems (die „aktuellen“ Juden) vertrieben und ermordeten. Für viele Israelis war dieser Meinungsumschwung leicht nachzuvollziehen. Sie demonstrierten und spendeten; auch wurde ein Feldlazarett nach Mazedonien entsandt. Die Solidarisierung mit den Kosovaren erlaubt es vielen Juden in Israel, ihr partikularistisches Gedächtnis vom Holocaust mit einem universalistischen und kosmopolitischen Humanismus zu verbinden – ohne daß diese Haltungen, wie im Konflikt vor der eigenen Haustür, spannungsgeladen aufeinanderprallen müssen.

Aber diese nachgerade ideale Lösung, in der die Spannung zwischen lokalem und globalem Gedächtnis so elegant aufgehoben werden kann, entpuppt sich als Rechnung ohne die konkurrierenden Erinnerungen: Palästinenser, die im Fernsehen die Flüchtlingsströme der Kosovaren sahen, erinnerten sich nicht an den Holocaust der Juden, sondern an die palästinensischen Flüchtlinge von 1948, an deren Exil und deren Wunsch, in eine wirkliche oder imaginierte Heimat zurückzukehren.

Eine ganz eigene Art der Erinnerungspolitik betreiben die israelischen Rechten und manche ihrer Repräsentanten in der israelischen Regierung: In diesem Milieu versteht man sehr gut, daß es historische Rechte, Besitzansprüche und heilige Stätten auch dort geben kann, wo man selber zur ethnischen Minderheit gehört.

Wenn die Serben nur 10 Prozent der Bevölkerung im Kosovo stellen, der Kosovo aber die Basis ihrer ethnischen und religiösen Identität schlechthin ist, dann erblicken viele Israelis, die in Hebron und in Ostjerusalem auf dem Boden ihrer historischen Ansprüche siedeln, in den Serben die Seelenverwandten. „Solange ich mit euch bin, wird niemand es wagen, euch zu schlagen“, hallt es auch in der israelischen Erinnerung. Wenn die Kosovaren einen Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker haben, nur weil sie eine ethnische Mehrheit bilden, dann haben auch Palästinenser das Selbstbestimmungsrecht – und dies nicht nur in den von Israel besetzten Gebieten, die für das national-religiöse Milieu in Israel ebenso heilig sind wie für viele Serben das Kosovo, sondern auch in manchen Gegenden Israels, in Galiläa etwa, wo die arabische Bevölkerung die ethnische Mehrheit stellt. Wenn die Nato heute Serbien bombardiert, kann sie morgen Israel bombardieren: das ist für manchen ängstlichen oder aufrechten Rechten in Israel durchaus ein Argument.

Das israelische Gedächtnis löst hier das jüdische Gedächtnis ab. Wo in den postnationalen Konflikten, die sich über einen „militärischen Humanismus“ definieren, das Freund-Feind-Bild mythologisch gezeichnet wird (Gut gegen Böse, Licht gegen Dunkelheit, Zivilisation gegen Barbarei), was es den Beteiligten möglich macht, nun endlich, nach mehr als fünfzig Jahren, das zu tun, was man damals nicht tat, da sind in nationalen und ethnischen Konflikten die Freunde und Feinde im konkreten Hier und Jetzt. Der rechte Außenminister Scharon fürchtet ein terroristisches Großalbanien, welches für Israel gefährlich werden könnte; Netanjahu fürchtet die Konsequenzen einer Unabhängigkeitserklärung Arafats und die Reaktion der Nato auf eventuelle israelische Konsequenzen.

Israelis und Juden haben nicht immer dieselben Erinnerungen und politischen Interessen. Dazu kommt, daß in Israel Wahlkampf ist und die Stimmabgabe der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion entscheidend sein dürfte. Viele dieser Einwanderer entdeckten ihre russische Identität erst nach ihrer Ankunft – was auch bedeuten mag, daß sie es schwierig finden, begeistert zu sein über die Bombardierung Serbiens. Für sie gehört die Ukraine den Ukrainern, Estland den Esten, Serbien den Serben und Israel den Juden. Deswegen ist es kein Zufall, daß es die russischsprachigen Zeitungen waren, die Scharons Warnung vor einem terroristischen Großalbanien mehr als ernst nahmen.

Natürlich ist es zu einfach, all diese Aspekte auf eine bloße Wahlkampf-Spekulation zu reduzieren. Doch der Weg vom Kosovo nach Hebron zeigt für Israel, daß Erinnerungen nicht einfach instrumentalisiert werden können und daß ein kollektives Gedächtnis weder homogen noch hegemonial beherrschbar ist. Insbesondere erweist es sich, daß die Spannungen zwischen dem lokalen und dem globalen Gedächtnis eine der geistigen Wurzeln Israels ist und sein muß, und daß jüdische und israelische Erinnerungen miteinander konkurrieren.

Gewiß wird es diese Spannung sein, welche die politischen, ethischen und kulturellen Konflikte in Israel für die nächste Zeit mitbestimmen wird. Eben deshalb verfolgen die Israelis so gespannt die Bombardierung Serbiens und die Flüchtlingsströme aus dem Kosovo. Und deshalb wissen sie auch nicht so genau, wie die balkanischen Ereignisse zu beurteilen sind.

NATAN SZNAIDER
Der Autor ist Professor für Soziologie in Tel Aviv.

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17.Mai 1999
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