Anton Legerer, jr.
Jüdische Rundschau
Seit bald sechs Jahrzehnten gibt es in Hohenems im
österreichischen Bundesland Vorarlberg keine Juden mehr: eine
Zeitungsmeldung verkündete bereits im September 1940 das "Verschwinden" der
Juden aus Hohenems; am 25. Februar 1942 wurde mit Frieda Nagelberg
schließlich die letzte von den Nationalsozialisten als solche ausgemachte
Jüdin aus Hohenems "abgesiedelt". Frieda Nagelberg, die aus einer orthodoxen
Familie stammte und 1930 zu den Adventisten konvertiert war, wurde nach Wien
überstellt und von dort bald darauf am 9. April in das Konzentrationslager
Izbica deportiert, wo sie ermordet wurde.
Die Schoa besiegelte das Schicksal der ehedem materiell wie kulturell
reichhaltigen jüdischen Gemeinde, die 1617 mit der Einladung und
Ausstellung eines Schutzbriefes des Grafen Kaspar von Hohenems an zwölf
wohlhabende jüdische Familien begann und die im vorigen Jahrhundert zu
einer Hochblüte fand und zur Mitte des 19. Jahrhunderts 500 Mitglieder
zählte. Ab 1867, als Juden im gesamten Gebiet der Habsburger-Monarchie
die gleichen Rechte wie Nichtjuden eingeräumt wurden, setzte die
Abwanderung ein, so daß zur Zeit des Anschlusses 1938 weniger als 20
Juden in Hohenems verblieben waren. Der Einfluß der progressiv
orientierten Hohenemser jüdischen Gemeinde erstreckte sich ab 1890 auf
Juden in Vorarlberg, Tirol (bis 1914) und Meran (bis 1919). Das Wissen
um "synagogale Verhältnisse, speziell der Reformen" ließen sich die
Gemeindefunktionäre vom Bewerber um das Rabbinat, Josef Link, noch zu
Beginn unseres Jahrhunderts schriftlich bestätigen. Assimiliertes,
liberal gesinntes Bürgertum, Gebete in deutscher Sprache, offene
Geschäfte auch am Sabbat und Schweinefleischverkauf durch jüdische
Metzker kennzeichneten die Hohenemser Juden, die für die Einrichtung des
landesweit ersten Kaffeehauses Anfang des vorigen Jahrhunderts
verantwortlich waren. Die Juden wollten sich im kulturellen Leben der
Stadt ebenso integrieren wie im politischen - 1878 wurden vier Juden in
die Hohenemser Gemeindevertretung gewählt.
Jüdisches Leben in Hohenems war vielschichtig: Fabrikanten (vor allem
im Textilbereich), Kaufleute, Hausierer und Handwerker lebten bis zum
Aufkommen antisemitischer Hetze um die Jahrhundertwende in großteils
freundschaftlicher Kooperation mit der christlichen Mehrheit. Bis zum
entsprechenden Verbot 1906 besuchten auch nichtjüdische Kinder die
jüdische Volksschule, die einen weithin guten Ruf hatte.
Das bis in die heutige Zeit reichende Spannungsverhältnis zwischen
Tradition und Moderne jüdischer Identität wurde auch in Hohenems
sichtbar: die liberal ausgerichtete Gemeinde tat sich schwer, die aus
den östlichen Gebieten der Monarchie zugewanderten orthodoxen
galizischen Juden zu akzeptieren. Deren Lebensweise wurde mit fehlender
Bildung, materieller Armut und fehlender Bereitschaft zur Anpassung
verbunden. Die Auseinandersetzung des 1896 mit seiner Frau zugewanderten
Joel Nagelberg - Vater der eingangs erwähnten Frieda Nagelberg - mit
Funktionären der jüdischen Gemeinde wurde sogar von Rabbiner Aron Tänzer
an das Bezirkgericht Dornbirn herangetragen. In der Folge wurde Joel
Nagelberg behördlicherseits die Berufsausübung als Hausierer
vorübergehend untersagt.
Die Abwanderung führte 1867 zur Gründung der jüdischen Gemeinde St.
Gallen durch jüdische Familien aus Hohenems. Geschäftsbeziehungen - je
nach Gesetzeslage unterschiedlich eng - zwischen Hohenems und den Kanton
St. Gallen reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück.
Die Nachkommen von Hohenemser Juden sind allerdings nicht nur in der
Schweiz zu finden: bei einem Nachkommentreffen im August vorigen Jahres
haben sich 168 Personen aus der ganzen Welt eingefunden, um ihre -
zumeist bis in das vorige Jahrhundert zurückreichenden - familiären
Wurzeln zu suchen. Die meisten der zum Treffen erschienen Nachkommen
sind selbst keine Juden mehr, was, so die Veranstalter vom Jüdischen
Museum in Hohenems auf den "bereits im jüdischen Hohenems des 19.
Jahrhunderts einsetzenden Emanzipationsprozess" hinweise, der "neben
einer geographischen Neuorientierung auch eine Assimilierung bis hin zur
Konversion" einschließe und "damit Grundfragen jüdischer Identität"
aufwerfe.
Das 1991 eröffnete jüdische Museum ist auch jene Institution, die sich
um eine Integration der jüdischen Geschichte in die Hohenemser Gegenwart
bemüht. Die von archivarischem Charakter - Besucher können je nach
Interesse durch das Öffnen von Laden tiefer in die Themen eindringen -
geprägte Dauerausstellung des Museums über jüdisches Leben in Hohenems
wird durch eine Audioinstallation - dem "Sprachlabor" - in Jiddisch, die
ein wenig von der Aura des vergangenen blühenden Lebens in Hohenems
erahnen läßt, ergänzt. Dem Hohenemser Reformer der Synagogenmusik
Salomon Sulzer (1804-1890) ist ein eigener Ausstellungsraum gewidmet.
Das Angebot des Museums umfaßt neben den regelmässigen
Sonderausstellungen - ab 28. Mai wird unter dem Titel "Black-Box - eine
Fotoausstellung mit Souvenirs aus Israel präsentiert - Vorträge,
Lesungen und Konzerte. Zentrales Anliegen ist die museumsdidaktische
Vermittlung für Kinder und Jugendliche, eine entsprechende Planstelle
wird vom Unterrichtsministerium finanziert. Das Museum verfügt zudem
über eine 7000 Bände umfassende Bibliothek zu jüdischer
Regionalgeschichte, Volkskunde und Wissenschaft sowie eine genealogische
Datenbank und eine Datei mit Angaben über Architektur, Besitz- und
Nutzungsgeschichte der Häuser des jüdischen Viertels. Das Museum
verzeichent jährlich rund 9000 Besucher aus Vorarlberg, Deutschland und
der Schweiz.
Das jüdische Museum in Hohenems ist in der Villa der jüdischen Familie
Heimann Rosenthal untergebracht. Das einstige jüdische Viertel liegt
unterhalb und wird heute von einer anderen Minderheit, vor allem Kurden
und Türken, bewohnt. Eine fünfköpfige Architektengruppe stellt derzeit
Überlegungen über ein Gesamtkonzept zur Umgestaltung an. Das
Gesamtensemble des jüdischen Viertels - rund 40 Gebäude aus dem 18. und
19. Jahrhundert, meist in Privatbesitz - steht unter Denkmalschutz, was
in Verbindung mit einigen heruntergekommenen Gebäuden den Eindruck einer
jüdischen Geisterstadt verstärkt. Von allen jüdischen Einrichtungen ist
lediglich der Friedhof noch in Verwendung, die Synagoge dient der
Gemeinde seit 1954 als Feuerwehrhaus, ganz so wie das
nationalsozialistische Bürgermeister 1940 geplant hatte. Eine Verbindung
der Migranten zur lokalen jüdischen Geschichte besteht ebensowenig, wie
die Integration der jüdischen Geschichte von Hohenems in die heutige
Identität der alteingesessenen nichtjüdischen Hohenemser.
Jüdisches Museum Hohenems
Villa Heimann Rosenthal, Schweizer Straße 5, A-6845 Hohenems,
Tel 0043-5576-73989, Direktor: Thomas Krapf, Öffnungszeiten: Di - So
10-17 Uhr, Mi bis 21 Uhr. Führungen nach Voranmeldung. Homepage:
http://www.vol.at/jmh
Literatur zum Nachlesen:
Juden in Hohenems. Katalog des Jüdischen Museums Hohenems.
(1996)
Ein Viertel Stadt. Zur Frage des Umgangs mit dem ehemaligen
jüdischen Viertel in Hohenems. Studien-Verlag. (1997) ISBN
3-7065-1254-8.
Wir lebten wie sie. Jüdische Lebensgeschichten aus Tirol und
Vorarlberg. Herausgegeben von Thomas Albrich im Haymon
Verlag (1999). ISBN 3-85218-292-1, Euro 29,00