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17.Mai 1999 17.Mai 1999

Hohenems:
Jüdische Geisterstadt unter Denkmalschutz

Anton Legerer, jr. 
Jüdische Rundschau

Seit bald sechs Jahrzehnten gibt es in Hohenems im österreichischen Bundesland Vorarlberg keine Juden mehr: eine Zeitungsmeldung verkündete bereits im September 1940 das "Verschwinden" der Juden aus Hohenems; am 25. Februar 1942 wurde mit Frieda Nagelberg schließlich die letzte von den Nationalsozialisten als solche ausgemachte Jüdin aus Hohenems "abgesiedelt". Frieda Nagelberg, die aus einer orthodoxen Familie stammte und 1930 zu den Adventisten konvertiert war, wurde nach Wien überstellt und von dort bald darauf am 9. April in das Konzentrationslager Izbica deportiert, wo sie ermordet wurde.

Die Schoa besiegelte das Schicksal der ehedem materiell wie kulturell reichhaltigen jüdischen Gemeinde, die 1617 mit der Einladung und Ausstellung eines Schutzbriefes des Grafen Kaspar von Hohenems an zwölf wohlhabende jüdische Familien begann und die im vorigen Jahrhundert zu einer Hochblüte fand und zur Mitte des 19. Jahrhunderts 500 Mitglieder zählte. Ab 1867, als Juden im gesamten Gebiet der Habsburger-Monarchie die gleichen Rechte wie Nichtjuden eingeräumt wurden, setzte die Abwanderung ein, so daß zur Zeit des Anschlusses 1938 weniger als 20 Juden in Hohenems verblieben waren. Der Einfluß der progressiv orientierten Hohenemser jüdischen Gemeinde erstreckte sich ab 1890 auf Juden in Vorarlberg, Tirol (bis 1914) und Meran (bis 1919). Das Wissen um "synagogale Verhältnisse, speziell der Reformen" ließen sich die Gemeindefunktionäre vom Bewerber um das Rabbinat, Josef Link, noch zu Beginn unseres Jahrhunderts schriftlich bestätigen. Assimiliertes, liberal gesinntes Bürgertum, Gebete in deutscher Sprache, offene Geschäfte auch am Sabbat und Schweinefleischverkauf durch jüdische Metzker kennzeichneten die Hohenemser Juden, die für die Einrichtung des landesweit ersten Kaffeehauses Anfang des vorigen Jahrhunderts verantwortlich waren. Die Juden wollten sich im kulturellen Leben der Stadt ebenso integrieren wie im politischen - 1878 wurden vier Juden in die Hohenemser Gemeindevertretung gewählt.

Jüdisches Leben in Hohenems war vielschichtig: Fabrikanten (vor allem im Textilbereich), Kaufleute, Hausierer und Handwerker lebten bis zum Aufkommen antisemitischer Hetze um die Jahrhundertwende in großteils freundschaftlicher Kooperation mit der christlichen Mehrheit. Bis zum entsprechenden Verbot 1906 besuchten auch nichtjüdische Kinder die jüdische Volksschule, die einen weithin guten Ruf hatte.

Das bis in die heutige Zeit reichende Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne jüdischer Identität wurde auch in Hohenems sichtbar: die liberal ausgerichtete Gemeinde tat sich schwer, die aus den östlichen Gebieten der Monarchie zugewanderten orthodoxen galizischen Juden zu akzeptieren. Deren Lebensweise wurde mit fehlender Bildung, materieller Armut und fehlender Bereitschaft zur Anpassung verbunden. Die Auseinandersetzung des 1896 mit seiner Frau zugewanderten Joel Nagelberg - Vater der eingangs erwähnten Frieda Nagelberg - mit Funktionären der jüdischen Gemeinde wurde sogar von Rabbiner Aron Tänzer an das Bezirkgericht Dornbirn herangetragen. In der Folge wurde Joel Nagelberg behördlicherseits die Berufsausübung als Hausierer vorübergehend untersagt.

Die Abwanderung führte 1867 zur Gründung der jüdischen Gemeinde St. Gallen durch jüdische Familien aus Hohenems. Geschäftsbeziehungen - je nach Gesetzeslage unterschiedlich eng - zwischen Hohenems und den Kanton St. Gallen reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück.

Die Nachkommen von Hohenemser Juden sind allerdings nicht nur in der Schweiz zu finden: bei einem Nachkommentreffen im August vorigen Jahres haben sich 168 Personen aus der ganzen Welt eingefunden, um ihre - zumeist bis in das vorige Jahrhundert zurückreichenden - familiären Wurzeln zu suchen. Die meisten der zum Treffen erschienen Nachkommen sind selbst keine Juden mehr, was, so die Veranstalter vom Jüdischen Museum in Hohenems auf den "bereits im jüdischen Hohenems des 19. Jahrhunderts einsetzenden Emanzipationsprozess" hinweise, der "neben einer geographischen Neuorientierung auch eine Assimilierung bis hin zur Konversion" einschließe und "damit Grundfragen jüdischer Identität" aufwerfe.

Das 1991 eröffnete jüdische Museum ist auch jene Institution, die sich um eine Integration der jüdischen Geschichte in die Hohenemser Gegenwart bemüht. Die von archivarischem Charakter - Besucher können je nach Interesse durch das Öffnen von Laden tiefer in die Themen eindringen - geprägte Dauerausstellung des Museums über jüdisches Leben in Hohenems wird durch eine Audioinstallation - dem "Sprachlabor" - in Jiddisch, die ein wenig von der Aura des vergangenen blühenden Lebens in Hohenems erahnen läßt, ergänzt. Dem Hohenemser Reformer der Synagogenmusik Salomon Sulzer (1804-1890) ist ein eigener Ausstellungsraum gewidmet. Das Angebot des Museums umfaßt neben den regelmässigen Sonderausstellungen - ab 28. Mai wird unter dem Titel "Black-Box - eine Fotoausstellung mit Souvenirs aus Israel präsentiert - Vorträge, Lesungen und Konzerte. Zentrales Anliegen ist die museumsdidaktische Vermittlung für Kinder und Jugendliche, eine entsprechende Planstelle wird vom Unterrichtsministerium finanziert. Das Museum verfügt zudem über eine 7000 Bände umfassende Bibliothek zu jüdischer Regionalgeschichte, Volkskunde und Wissenschaft sowie eine genealogische Datenbank und eine Datei mit Angaben über Architektur, Besitz- und Nutzungsgeschichte der Häuser des jüdischen Viertels. Das Museum verzeichent jährlich rund 9000 Besucher aus Vorarlberg, Deutschland und der Schweiz.

Das jüdische Museum in Hohenems ist in der Villa der jüdischen Familie Heimann Rosenthal untergebracht. Das einstige jüdische Viertel liegt unterhalb und wird heute von einer anderen Minderheit, vor allem Kurden und Türken, bewohnt. Eine fünfköpfige Architektengruppe stellt derzeit Überlegungen über ein Gesamtkonzept zur Umgestaltung an. Das Gesamtensemble des jüdischen Viertels - rund 40 Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert, meist in Privatbesitz - steht unter Denkmalschutz, was in Verbindung mit einigen heruntergekommenen Gebäuden den Eindruck einer jüdischen Geisterstadt verstärkt. Von allen jüdischen Einrichtungen ist lediglich der Friedhof noch in Verwendung, die Synagoge dient der Gemeinde seit 1954 als Feuerwehrhaus, ganz so wie das nationalsozialistische Bürgermeister 1940 geplant hatte. Eine Verbindung der Migranten zur lokalen jüdischen Geschichte besteht ebensowenig, wie die Integration der jüdischen Geschichte von Hohenems in die heutige Identität der alteingesessenen nichtjüdischen Hohenemser.

Jüdisches Museum Hohenems

Villa Heimann Rosenthal, Schweizer Straße 5, A-6845 Hohenems, Tel 0043-5576-73989, Direktor: Thomas Krapf, Öffnungszeiten: Di - So 10-17 Uhr, Mi bis 21 Uhr. Führungen nach Voranmeldung. Homepage: http://www.vol.at/jmh

Literatur zum Nachlesen:

Juden in Hohenems. Katalog des Jüdischen Museums Hohenems. (1996)

Ein Viertel Stadt. Zur Frage des Umgangs mit dem ehemaligen jüdischen Viertel in Hohenems. Studien-Verlag. (1997) ISBN 3-7065-1254-8.

Wir lebten wie sie. Jüdische Lebensgeschichten aus Tirol und Vorarlberg. Herausgegeben von Thomas Albrich im Haymon Verlag (1999). ISBN 3-85218-292-1, Euro 29,00

hagalil.com 24-05-99

 
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