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Der Rabbi, die Russen und die Rituale:
Rabbiner Almekias-Siegl über sein erstes Jahr in Sachsen

Dresden/Leipzig. "Bitte um Ruhe", ruft der Rabbiner die Besucher des Purim-Festes in der Dresdner jüdischen Gemeinde zur Ordnung. Aber der Geräuschpegel auf dem jüdischen Faschingsfest bleibt hoch. Es kehrt erst Stille ein, als das Wort "Wnimanje" ertönt. Dieses Wort ist allen vertraut. Von den etwa 80 Gästen sind mehr als 70 Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Die wenigsten sprechen deutsch. Noch dürftiger aber sind ihre Kenntnisse der jüdisch-religiösen Rituale.

In seinen Gemeinden so viele zu treffen, die bisher kaum eine Berührung mit Religion hatten, war für Salomon Almekias-Siegl eine völlig ungewohnte Situation, als er vor reichlich einem Jahr seinen Dienst als sächsischer Landesrabbiner antrat. Vorher lebte er drei Jahre in den USA, einem Land der Freiheit, auch der Religionen. Jene ehemaligen Sowjetbürger mit jüdischen Wurzeln aber, die jetzt 95 Prozent der Mitglieder der sächsischen Gemeinden stellen, hatten nie die Freiheit, ihre Religion auszuüben. So ist sie ihnen noch fremd, wie das Land, in dem sie jetzt leben. Aber es sind die Zuwanderer, durch die jüdisches Leben in Sachsen wieder eine Zukunft hat. "Wenn ich es schaffe, nur einige der vielen Atheisten integrieren zu können in das religiöse Gemeindeleben, ist sicher viel erreicht", beschreibt der Landesrabbiner seine Arbeit der kleinen Schritte.

"Eine Belebung der sächsischen jüdischen Gemeinden, das ist mein Ziel als Rabbiner", sagt Almekias-Siegl zu Beginn seiner Arbeit in Sachsen. Nach Schätzung des Rabbiners werden die Gemeinden Ende des Jahres 1000 Mitglieder haben. Damit hätte sich die Zahl der Juden in Sachsen seit der Wende versechsfacht. Allein in diesem Jahr stieg die Zahl der Mitglieder in Leipzig von 174 vor einem Jahr auf jetzt 300. Beschlossen ist außerdem der Bau neuer Synagogen in Dresden und Chemnitz. Auch ein Gemeindezentrum in Leipzig soll entstehen. Aber der Rabbiner sieht mehr als Mitgliederzahlen und Gebäude. Mindestens genauso wichtig sind ihm die Indizien, daß er einige der Neuankömmlinge bereits dem Glauben näher gebracht hat. Wie das Nachholen der rituellen Beschneidung, die normalerweise bei Knaben im Säuglingsalter erfolgt. Zehn Jungen und Männer - darunter ein über 50jähriger und Jugendliche zwischen 13 und 18 - hatten sich im vergangenen Jahr diesem Ritual unterzogen. Nur wer beschnitten ist, darf in der Synagoge zur Thora gerufen werden und am Gottesdienst aktiv mitwirken.

36 Gottesdienste hat der Rabbiner 1998 in den drei Gemeinden Leipzig, Chemnitz und Dresden gefeiert. Früher hat es sie nur zu den hohen Feiertagen gegeben. "Während des Gottesdienstes erkläre ich alles, was ich tue", sagt Almekias-Siegl. Eine in dem jüdischen Religionsritus eigentlich nicht übliche Praxis. Aber es ist auch eine unübliche Situation. Und statt der philosophisch tiefgründig gedrechselten Predigt greift er eher auf ganz einfache Geschichten zurück. Der Gottesdienst als Religionserziehung für 60- oder 70jährige.

"Ich weiß. daß ich nur mit Kompromissen vorwärtskomme", sagt der Geistliche. Und er kann verstehen, warum eine russische Frau die zwanzig Mark, die sie für ein Fest in der Gemeinde beisteuern müßte, lieber für ein Parfüm ausgibt. "Die Leute wollen doch erst einmal leben." Nicht akzeptieren kann er, wenn jemand nur zu den Festen kommt, nie in die Synagoge, aber dafür in die Kirche geht. Für ihn sei kein Platz mehr in der Gemeinde. Platz ist auch nicht für jeden, der den Antrag stellt, zum jüdischen Glauben zu konvertieren. Da müsse mehr dahinter sein als die Begeisterung für das Land Israel und mehr als Schuldbewußtsein wegen des Großvaters, der Nazi gewesen sei. Vier, fünf Anträge bekomme er pro Monat. Im Vorjahr hat der Rabbi zwölf Anträgen zu konvertieren stattgegeben. Zum Glauben übertreten ist die höchstmögliche Annäherung. Es werden Einzelfälle bleiben. Aber der Dialog zwischen Christen und Juden, zwischen Konfessionslosen und Juden müßte noch breiter werden, meint der Rabbiner. Deshalb hält er Vorträge in Kirchgemeinden, in Schulen.

"Das Symptom ist da, aber die Grippe ist noch nicht ausgebrochen", beschreibt er den Antisemitismus. "Es muß nichts passieren, aber es kann", denkt er sich, wenn er junge Männer mit weißen Schnürsenkeln in den Stiefeln und Bierbüchsen in der Hand an der Ecke stehen sieht. Die Kippa (Kopfbedeckung der männlichen Juden) trägt er nicht in der Öffentlichkeit. Es muß nichts passieren. Doch dem "aber" will er erst gar keine Chance lassen. "Ist das nicht traurig?" fragt der Rabbi etwas ratlos.

Leipziger Volkszeitung vom 9. März 1999
zugesandt von Wolfgang Wischer

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