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Reden ist besser als Schweigen:
Auch die Enkel leiden am Holocaust

Die Wunden des Holocaust bluten noch immer. Zu diesem Schluß kommen Psychotherapeuten, die mit den Kindern von Opfern und von Tätern des Nationalsozialismus arbeiten. Im holländischen Amersfoort und in Wien gibt es Ambulanzen, die auf die Behandlung von Folgen der Massenvernichtung und der Entwurzelung spezialisiert sind. Von der israelischen Psychotherapeutin Dina Wardi liegt das erste Buch in deutscher Sprache vor, das sich mit den seelischen Schäden bei Kindern von Überlebenden des Holocaust befaßt (Siegel der Erinnerung, Klett-Cotta, 1997).

Wardi diagnostizierte in ihren therapeutischen Gruppen bei Angehörigen der zweiten Generation Angst und tiefes Mißtrauen gegen andere Menschen. Vielfach litten sie an Härte zu sich selbst, einem starren Gefühlsleben, an Identitätsstörungen , ständiger Beschäftigung mit den Eltern und wiederkehrenden Träumen vom Tod.

Die Eltern, oft die einzigen Überlebenden ihrer Familie, verdrängten ihre Erinnerungen an den Tod und die Toten. Das Grauen, das sie erlebt hatten, war anders kaum auszuhalten. Ohne Worte aber gaben sie es an die Kinder weiter.

Eine Frau mußte als Kind erleben, wie ihre Mutter bei einem Todesmarsch hinter ihr erschossen wurde. Sie rettet sich, indem sie regungslos weiterging. Ihrer Tochter brachte sie schon mit einigen Wochen bei, nicht mehr zu weinen. Die Tochter einer anderen Überlebenden berichtet, wie ihre Mutter oft in einem abgedunkelten Zimmer saß, stundenlang die kleine Schwester wiegte und dabei seufzte. Die Not der Eltern war zu groß, um den Kindern ein Gefühl emotionaler Sicherheit zu geben.

Den Kindern wurde zudem ein unerfüllbarer Wunsch aufgelastet. Sie sollten das Trauma heilen, daß in der Familie die Kontinuität zwischen den Generationen abgebrochen war. Viele erhielten daher die Namen ermordeter Verwandter. Wardi spricht von Kindern als "Gedenkkerzen". Sie sollten an Tote erinnern, deren Geschichte ihnen aber niemand erzählte.

Die Leerstellen der Tradierung füllten sie mit Phantasien. Für zentral hält Wardi Phantasien über die Sexualität der Eltern. Zum Beispiel, wenn ein Kind annehme, die Mutter habe nur überlebt, weil sie sich im Lager prostituierte. Solche Geheimnisse in den Therapiegruppen zu teilen und sich dem eigenen Schmerz und der Trauer auszusetzen, helfe, aus der seelischen Erstarrung herauszufinden. Notwendig zur Heilung sei auch die innere Auseinandersetzung mit dem realen Geschehen. Sobald die "Gedenkkerzen" in der Lage seien, heißt es bei Wardi, "den Erfahrungen ihrer Eltern während des Holocaust ins Auge zu blicken, wächst in der Regel auch ihre Fähigkeit, mit den eigentlichen Problemen ihres Gefühls- und Sexuallebens zu Rande zu kommen."

Paradoxon der Therapie

Für die seelische Auswirkung geschichtlicher Katastrophen gilt ein aus der Familientherapie bekanntes Paradoxon: Weniger das Gesagte, als vielmehr das Ungesagte zeigt Wirkungen. Auch in Täterfamilien ist es das Schweigen, das eine problematische Vergangenheit fortwirken läßt, schreibt die Kasseler Soziologin Gabriele Rosenthal (Der Holocaust im Leben von drei Generationen, Psychosozial-Verlag, 1997). Sie leitete eine Studiengruppe von deutschen und israelischen Forscherinnen, die drei Generationen in beiden Ländern zur Verarbeitung familiärer NS-Erfahrungen befragten.

In dem Buch wird die deutsche Familie Sonntag vorgestellt. Der Vater war nach dem Krieg unter dem Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit inhaftiert. Niemand in der Familie weiß, was er wirklich tat. Als die Tochter mit fünfzehn Jahren zum ersten Mal vom Völkermord an den Juden hörte, ihren Vater fragte, aber keine Antworten bekam, begann sie, unter Schlafstörungen zu leiden. Noch heute quält sie die Frage, ob sie nicht selbst für nationalsozialistische Werte anfällig sein könnte und vermeidet Kritik an den Eltern. Der Sohn lehnt jedes Nachdenken über den Vater ab. Erst der Enkel will alles wissen, quält sich aber auch mit der Frage nach einer möglichen Täterschaft.

In den USA hatte 1980 eine psychoanalytische Studiengruppe erstmals gefragt, ob sich seelische Schäden bei Kindern von Tätern und Opfern ähnelten (Bergmann et al., Kinder der Opfer – Opfer der Täter, deutsch: Fischer, 1995). Beide leiden unter dem großen Schweigen. Rosenthal verweist aber darauf, daß das Schweigen vor jeweils anderen Belastungen schütze. Die Kinder würden die Schuld ihrer Eltern übernehmen. Die Opfer empfänden es als "Schuld" überlebt und damit die Verwandten im Stich gelassen zu haben – Psychotherapeuten sprechen von "Überlebensschuld". Bei den Tätern dagegen sei es eine reale, den Nachfahren oft unbekannte Schuld.

Wie Kinder von Tätern das Verschwiegene belastet, zeigt der Psychoanalytiker Tilmann Moser in einem Bericht über die Therapie einer 68jährigen Frau, die sich ihr Leben lang für ihren SS-Vater schämte und dessen Leben zu sühnen versucht hatte (Dabei war ich doch sein liebstes Kind, Kösel, 1997). Der Vater hatte einen Menschen ermordet. Aber er war für die Tochter auch der gute Vater gewesen, bei dem sie auf dem Schoß gesessen hatte. Und er war nach dem Krieg von französischen Soldaten erschossen worden. Sie haßte und sie liebte ihn. Nicht nur die Schuldgefühle für seinen Mord, sondern auch sein zerschlagenes Gesicht verfolgten sie, bis sie sich in der Therapie mit ihm aussöhnen konnte.

Moser plädiert dafür, daß Psychotherapeuten in ihren Behandlungen nach den Ablagerungen der NS-Geschichte in der Seele suchen. Ein Denken, das die Herkunft seelischer Störungen allein in der Familie ansiedelt, greift jedenfalls zu kurz, wenn das Leid im Terror der Geschichte geboren wurde.

ULFRIED GEUTER
Copyright © 1997 - Süddeutsche Zeitung

Dina Wardi:
Siegel der Erinnerung

Gehört der Holocaust ein für allemal der Vergangenheit an? Sind die Erfahrungen, die Täter wie Opfer vor mehr als fünfzig Jahren in den Ghettos, den Vernichtungslagern oder im Exil gemacht haben, vergessen und vorbei?

Dina Wardi, geb. 1938 in Italien, kam bereits als Baby mit ihren Eltern nach Israel, wo sie aufwuchs. Sie besuchte die School for Social Work an der Hebräischen Universität in Jerusalem und arbeitete eine Zeitlang in der Bewährungshilfe für jugendliche Strafentlassene. Später lebte sie in den USA, wo sie eine Ausbildung in klinischer Psychotherapie, Familientherapie, Gruppen- und Gestaltungstherapie machte, letztere bei Fritz Perls. Sie hat heute eine private Praxis in Jerusalem.
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Kogan Ilani Kogan:
Der stumme Schrei der Kinder


I
n sieben ebenso eindrucksvollen wie verstörenden psychoanalytischen Fallstudien zeigt Ilany Kogan, wie Angehörige der sogenannten zweiten Generation, also Kinder von Überlebenden des Holocaust, auf ihre Weise an den schrecklichen Folgen einer Vergangenheit leiden, die nicht ihre eigene ist. Mit Hilfe des analytischen Prozesses finden sie zu einem gefestigteren Selbst und zu einer Gegenwart, in der Glück, Liebe und intakte Beziehungen wieder möglich sind...
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