Michel Friedman und Cem Özdemir diskutieren in Stuttgart:
"Ich hätte wegen einer Wahl nicht so schnell
aufgegeben''
Von Sibylle Thelen
Auschwitz, das neue Staatsbürgerschaftsrecht und der in den Tod
gehetzte algerischen Asylbewerber - über diese Themen haben Michel Friedman
und Cem Özdemir am Montag abend im Stuttgarter Theaterhaus diskutiert - und
über die Frage nach der deutschen Identität.
''Die Deutschen? Die sind nicht normal!'' Unter diesem
anspielungsreichen Titel hatte der Moderator Milenko Goranovic seine
beiden Gäste geladen. Doch die Diskussion begann nicht in der
Frankfurter Paulskirche, sondern im brandenburgischen Guben. ''Wir haben
uns an sehr sehr viel gewöhnt'', kommentierte Michel Friedman,
Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland und
Frankfurter CDU-Politiker, das öffentliche Echo auf den
ausländerfeindlichen Exzeß vom vergangenen Wochenende. Warnend stellt er
fest, noch vor vier, fünf Jahren wären die Reaktionen ganz anders
ausgefallen. Grund für ihn, sich um so schärfer von jedem Nationalismus
zu distanzieren - einer Überzeugung, die immer auch ein ''Stück Gewalt''
in sich berge. Und Anlaß zudem, deutlich für die multikulturelle
Gesellschaft Position zu beziehen.
Da wußten sich das CDU-Mitglied und der Grünen-Politiker Cem Özdemir
einig. Beide nutzen ihr Forum, um für eine wirkungsvolle Reform des
Staatsbürgerschaftsrechts zu werben. Freilich trug der jüdische
Konservative, der so gar nicht in die üblichen Schablonen passen will,
seine Thesen bedingungsloser vor als der Berufspolitiker vom Realoflügel
der kleinen Regierungspartei. Özdemir bewegte sich innerhalb der Bahnen
eines machbaren politischen Kompromisses: Er wäre bereit, das
Optionsmodell der FDP für die zweite und die nachfolgenden Generationen
der Ausländer in Deutschland zu akzeptieren, nicht aber für die erste
Generation. Es sei ein Fehler gewesen, räumte der innenpolitische
Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion ein, die Debatte zu sehr auf den
Doppelpaß verengt zu haben.
Friedman dagegen forderte eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit
der Staatsbürgerschaft, entgegen der eigenen Hoffnung: ''Ich befürchte,
wir werden in ein paar Wochen einen Kompromiß finden, und dann ist das
Thema weg.'' Er jedenfalls würde als Grüner nicht mit diesem sich
anbahnenden Konsens leben können, befand der CDU-Politiker, der die
Zwänge eines Berufspolitikers zwar kennt, selbst aber nicht mit ihnen
leben muß und will. ''Wegen einer Landtagswahl hätte ich doch nicht so
schnell aufgegeben!'' Özdemir konnte dem nicht viel entgegenhalten.
Daß, wie Friedman es formulierte, das Thema Staatsbürgerschaft für den
Kanzler kein ''Essential'' sei, bestätigte der Grünenpolitiker indirekt.
Es gebe für sein Modell keine Mehrheit, auch nicht an der Basis der SPD.
Jetzt, fügte Özdemir mit offensichtlich schmerzvollem Realismus hinzu,
müsse das Maximum herausgeholt werden.
Das weiß natürlich auch Friedmann. Der Frankfurter Jurist, der selbst
eine Zeitlang im Bundesvorstand der CDU gesessen hat, analysierte die
parteipolitische Gemengelage nach der Unterschriftensammlung und der
Hessen-Wahl durchaus strategisch-nüchtern. ''Das Integrationspapier als
notarielles Bekenntnis der CDU zur Integration hat es bis dahin nicht
gegeben'', stellte er fest, nicht ohne ironisch hinzuzufügen, insofern
habe Stoiber schon etwas bewegt. Dennoch wünscht sich das
Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden eine echte Debatte über
Staatsbürgerschaft und deutsche Identität. Und da schlossen sich für ihn
in der lebhaften Diskussion die Kreise wieder, da waren wieder die
Themen Auschwitz, Nationalsozialismus damals und Rechtsradikalismus
heute: Auch mit diesen anstrengenden Themen müsse sich Deutschland
auseinander setzen, sonst wirkten diese zerstörerisch.
haGalil
onLine - Sonntag 28-02-99 |