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"Zeichne, was du siehst"
Ausstellung der Künstlerin und Zeitzeugin Helga Weissová-Hosková

Zur Eröffnung der Ausstellung mit Kinderzeichnungen aus Theresienstadt sprach am Dienstag, 26.Januar 1999 die Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs.

Terezin

jeremia.gif (1992 Byte)
Jirmijahu 8.23

. "Sei doch mein Kopf ein Wasser
und meine Augen ein Tränenquell,
daß ich weinen könnte Tag und Nacht
um die Erschlagenen der Tochter meines Volkes".

Morgen, am 27. Januar, gedenkt der Deutsche Bundestags eines millionenfachen Mordes, der in deutschem Namen begangen wurde.

Auch mehr als 50 Jahre nach dem Untergang des nationalsozialistischen Terrorregimes bleibt das Geschehene für uns Nachgeborene immer noch unfaßbar.

Auch die zahlreichen Reden, die morgen aus Anlaß des Holocaust-Gedenktages gehalten werden, werden diese Unfaßbarkeit unterstreichen. Die Ratio versagt. Die systematische Vernichtung der deutschen und europäischen Juden und anderer Bevölkerungsgruppen durch die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie kann in ihren erschütternden Dimensionen mit rationalen Kategorien nicht erfaßt werden. Um so wichtiger bleibt es, das politische Umfeld, das Verhalten der Menschen immer wieder zu durchleuchten.

Jede Konfrontation mit den Geschehnissen unserer jüngeren Vergangenheit ruft unweigerlich auch Schmerz, Scham und Ratlosigkeit hervor. Denn wir sprechen nicht nur über Geschichte, über Ursachen und Geschehnisse, sondern wir sprechen von Menschen, die umgebracht wurden. Kinder, Frauen, Männer, die ermordet wurden, weil sie Juden waren.

Die Unfähigkeit, die entsetzlichen Greueltaten der nationalsozialistischen Machthaber zu begreifen und einzuordnen, schlagen sich auch heute noch - über ein halbes Jahrhundert danach - im Streit über eine angemessene Form des öffentlichen Gedenken nieder. Vieles, was an öffentlicher Trauer- und Erinnernungsarbeit geschieht, ist geprägt von Rat- und Hilflosigkeit.

Wie kann man der Tragödie gedenken, das Grauen erinnern, die Schuld begreifen? Die Diskussion über die angemessene Gestaltung einer zentralen Gedenkstätte zum Gedenken an die Millionen ermordeter europäischer Juden in Berlin hat uns allen diese Schwierigkeiten im Umgang mit der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft deutlich vor Augen geführt. Diese Diskussion ist gut und wichtig - und sie wird und muß schmerzlich und schwierig bleiben.

Das Gedenken an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte soll uns aber auch jetzt und in Zukunft für neue Gefahren wachsam machen, die unserem demokratischen Rechtsstaat von totalitären und inhumanen Strömungen jeglicher Art immer wieder drohen. Es muß gelingen, die Schrecknisse der Vergangenheit  in unser kollektives Bewußtsein dauerhaft zu verankern. Dann gibt es die Chance, daß sich historische Irrwege und Fehler in Zukunft nicht wiederholen.

Die Möglichkeiten des Erinnerns sind vielfältig und nicht auf eine bestimmte vorgegebene Form festgelegt. Mehr noch: um die historische Wirklichkeit in all ihren Facetten nachvollziehen zu können und ein Gespür dafür zu erhalten, wie die betroffenen Menschen wirklich lebten, Tag für Tag, müssen wir uns in unterschiedlichster Weise erinnern.

Die Ausstellung der tschechischen Malerin Helga Weissová-Hosková "Zeichne, was Du siehst" kann uns einen unmittelbaren und nachhaltigen Eindruck vom Alltag im Terror vermitteln.

Diese Ausstellung leistet etwas ganz Wesentliches: sie kann jedem, der sich auf eine Auseinandersetzung mit den hier präsentierten Bildern einläßt, einen unvermittelten Einblick in das Leben der Betroffenen, ihre Erfahrungen und Gefühle im alltäglichen Leben geben.

Wer vor den hier präsentierten Bildern verweilt, wird gefangen genommen und ergriffen. Die Bilder erzählen von der Alltagswirklichkeit eines heranwachsenden Kindes im Lager Theresienstadt. Anders als in den über das abstrakte Medium der Sprache vermittelten Zeitzeugen-Berichten werden in den Bildern reale historische Erfahrungen von Schmerz, Verzweiflung und Leid, aber auch scheinbar banale Alltagssituationen unvermittelt und authentisch wiedergegeben.

Den Betrachter lassen diese Bilder nicht ungerührt: die Zeichnungen, die die Ängste und Leiden in Theresienstadt aus dem Blickwinkel eines Kindes widerspiegeln, lassen etwas von der tiefen Verzweiflung und der Ausweglosigkeit derjenigen erahnen, die  in die Fänge der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie geraten waren. Auf diese Weise tragen die Bilder von Helga Weissová-Hosková vielleicht mehr als andere Kommunikationsmedien dazu bei, unser emotionales Bewußtsein zu schärfen und unser Mitgefühl für die Leiden der Betroffenen zu stärken.

Die Ausstellung, die zu eröffnen ich heute die Ehre habe, stellt zweifellos eine Bereicherung in unserem Bemühen dar, die Erinnerung an die Zeit der Naziherrschaft und die damit verbundenen schrecklichen Geschehnisse wach zu halten. Gerade Kindern und Jugendlichen, die heute in etwa im Alter der Künstlerin zur Zeit ihrer Inhaftierung in Theresienstadt sind, kann über die Auseinandersetzung mit den Bildern von Frau Weissowá ein Zugang zur NS-Zeit eröffnet werden.

Frau Weissowá hat mit ihren Bildern das Unfassbare lebendig gemacht. Sie zeigen, wie die Betroffenen sich in der abgeschlossenen Welt des Gettos so gut es ging einzurichten versuchten und dennoch ständig um ihr eigenes und das Leben ihrer Angehörigen fürchten mußten. Die Darstellung alltäglicher Szenen wie die morgendliche Wäsche im Gemeinschaftswaschraum, die Essensausgabe, die bedrückende Bilder von alten Menschen, die in tragischer Verkennung ihrer tatsächlichen Situation glaubten, daß sie in einen Kurort geschickt würden, dokumentieren eine furchtbare historische Erfahrung, wie sie eindringlicher und ergreifender kaum sein könnte - so auch die Zeichnungen über die Ankunft in Theresienstadt oder den Abtransport in die Vernichtsungslager.

Beklommen stehen wir vor dem Geburtstagsbild für Fränzi. Fränzi erhält zu ihrem 14. Geburtstag von ihrer Freundin Helga einen gemalten Traum, den Traum von einer Rückkehr in die Geborgenheit des früheren Lebens. Wir wissen, daß Fränzi niemals einen Kinderwagen durch Prag schieben sollte, sie erstickte im Gas von Auschwitz, wenige Monate später. Das Jahr 1957, von dem die beiden Mädchen damals träumten, haben andere erlebt, Fränzi nicht mehr, weil es niemanden gab, der ihren Mördern Einhalt geboten hätte.

Helga Weissowá wurde mit gerade zwölf Jahren aus ihrer Kindheit gerissen und zusammen mit ihren Eltern nach Theresienstadt deportiert. Hier verbrachte sie drei Jahre, bevor sie 1943 mit ihrer Mutter nach Auschwitz gebracht wurde.  "Zeichne, was Du siehst!" hatte der Vater gleich zu Beginn ihrer Internierung in Theresienstadt dem künstlerisch begabten Kind geraten und so machte sich Helga Weissowá daran, die traurige Wirklichkeit im Getto zeichnerisch zu erfassen.

Wer die Bilder betrachtet, wird verstehen, wenn Frau Weissowá die Eindrücke und Wahrnehmungen, die ihren Werken zugrunde gelegen haben, das Ende ihrer Kindheit markierten: Das Leben im Getto war ein Leben auf Abruf, ein armseliges und trostloses Leben unter der Gewaltherrschaft, daß insbesondere Kindern jede Chance auf eine "normale" und angemessene Entwicklung raubte. Es wird berichtet, daß Kinder aus Theresienstadt ihr Alter so angaben: "12 Jahre, 7 Monate, 4 Tage." Es waren Kinder, die wußten, daß ihre Tage gezählt waren.

Dies mag uns, die wir all dies nicht erleben mußten, eine Ahnung davon geben, wie sehr Haß, Gewalt und Tod das Leben der den Nazi-Schergen schutzlos ausgelieferten Kinder prägte. Noch schwerer mag den Betrachter die Tatsache bedrücken, daß die Kinder von Theresienstadt so gut wie keine Überlebenschance hatten. Von den 15.000 Kindern, die in Theresienstadt interniert waren, überlebten nur etwa einhundert. Es kommt einem Wunder gleich, daß Helga Weissova überlebt hat. Ihre Bilder sind mahnende Zeitzeugnisse.

Die Bilder von Frau Weissowá zeigen Menschen in einer Welt von Haß und Ohnmacht. Die Welt der Ordnung und des Rechtes hat sich in eine Welt der Menschenverachtung und des Todes gewandelt. Die Bilder bringen das Unverständnis der Menschen über diese Welt anschaulich zum Ausdruck.

Liebe Frau Weissova-Hoskova, Sie sind heute bei uns, und wir sind sehr dankbar dafür, daß Sie hier mit Ihrem Werk und mit Ihren Erinnerungen Zeugnis ablegen. Sie haben der Verzweiflung Ihre künstlerische Arbeit entgegengesetzt.

Heute sind Sie hier, um gemeinsam mit uns wider das Vergessen und die Ignoranz ein Zeichen der Erinnerung und für Humanität zu setzen.

Extremismus, Diktatur und Totalitarismus sind bei uns in Deutschland nach vielen Jahren der Unterdrückung und des Leids endlich überwunden. Zum Ende dieses so tragischen und grausamen Jahrhunderts leben alle Deutschen in Frieden, Freiheit und sozialer Sicherheit. Ausstellungen wie diese erinnern uns daran, daß wir immer verpflichtet sind, stets wachsam zu sein und den Feinden der Humanität und der Freiheit frühzeitig und kraftvoll entgegen zu treten.

Denn auch heute noch gibt es Menschen, die aus ideologischen Gründen oder aufgrund materieller Interessen das elementare Recht auf Leben nicht respektieren. Daß Menschen zur Barbarei fähig sind, wissen wir. Wichtig ist, daß wir uns immer bewußt bleiben, wie hemmungslos menschliche Boshaftigkeit und Niedertracht wüten können, wenn die Grenzen der Humanität und des Rechts erst einmal überschritten sind.

Auch wenn es uns lästig und mühsam erscheint, uns mit dem deutschen Rückfall in die Barbarei auseinanderzusetzen, sind wir Deutsche auch heute und in Zukunft verpflichtet, dies zu tun. Denn nur so können wir auch ermessen, wie wertvoll und schützenswert unsere freiheitlich-demokratische Ordnung ist, die jedermann gleichermaßen unter den Schutz des Gesetzes stellt. Und diese humane Ordnung stellt sich nicht von selbst ein, sondern bedarf des bürgerlichen Engagements. Wenn es Gefährdungen gibt, bedarf es des Mutes, nicht wegzuschauen, nicht zu verdrängen, nicht zu verniedlichen.

Ich danke darum dem niedersächsischen Verein zur Förderung von Theresienstadt für die Bemühungen, nach so vielen Jahren, diese Zeichnungen nun auch einem größeren Publikum bekannt zu machen. Ausstellung und Katalog geben uns die Möglichkeit, aus einer sehr persönlichen Perspektive nachzuempfinden, was Totalitarismus und politischer Extremismus für die betroffenen Opfer bedeutet.

Frau Weissowá, ich danke Ihnen ganz besonders herzlich dafür, daß sie diese Ausstellung möglich gemacht haben, obwohl die Konfrontation mit der Vergangenheit Ihnen persönlich sehr schwer gefallen ist.

Ich wünsche der Ausstellung viele Besucher, damit viele Menschen erfahren, was Menschen Menschen angetan haben. Ganz besonders wünsche ich mir, daß  viele junge Menschen die Ausstellung besuchen werden, also diejenigen, die immer seltener Gelegenheit haben, mit Menschen zu sprechen, die die Zeit der Nazi-Diktatur noch erlebt und durchlitten haben. Denn diese Bilder sprechen und erwecken Mitgefühl. In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung und Ihnen Frau Weissowá persönlich alles Gute und viel Erfolg.

Quelle der Abb.: Terezín 1941-1945, Prague 1965
Veröffentlicht vom Rat der jüdischen Gemeinden der Tschechosslowakei

haGalil onLine - Donnerstag 28-01-99

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