Rafael Seligmann
Schalom meine Liebe
Roman
dtv 20173
Oktober 1998
272 Seiten
DM 16,90
Inhalt
Neue Bücher
Seligmann »kommt der Wirklichkeit
jüdischen Lebens in Deutschland weit näher als die vielen gutgemeinten
Dokumentationen.«
›Die Zeit‹
Leseprobe
Sie hörte den Schlüssel in der Wohnungstür.
Ron trat ins Zimmer. Er überreichte Ingrid einen Strauß Rosen, den er im Bahnhof
besorgt hatte. Sie wollte etwas sagen, doch Ron hielt ihr mit seiner kalten Hand
sanft den Mund zu. Langsam löste er seinen Griff – um sogleich ihre Lippen mit
einem Kuß erneut zu versiegeln. Ingrid wollte sich losmachen, dem Burschen
gehörig die Leviten lesen. Doch sie spürte, wie Ron sich an sie klammerte. Er
brauchte sie. Ingrid strich über seine widerspenstigen Haare, fuhr über seine
fledermausartig abstehenden Ohren ujnd drückte den Unruhigen an sich.
Ingrid merkte, wie Rons Anspannung nachließ. Sie genoß seinen Kuß, seine
Zärtlichkeiten. Ron wurde sicherer. Er spielte mit ihren Brüsten. Ingrid spürte
wie ihr Leib heiß und feucht wurde. Rons Zunge tanzte in ihrem Mund. Er bog
ihren Kopf zurück. Mit einem Ruck machte sich Ingrid los
»Erst läßt du mich kochen, dann hängen.«
Rons Gesicht war gerötet, die Frisur zerzaust. Doch plötzlich blitzte der Schalk
in seinen Augen auf. Er blickte mit gespielt vorwurfsvoller Mine an sich
herunter. »Genau wie du!«
Ingrid lacht auf. Sie bemühte sich, wieder eine ernste Mine aufzusetzen. Sie
durfte Ron nicht alles durchgehen lassen: »Wo bist du bis jetzt rumgehangen?«
»Arbeit! Nichts als Arbeit!«.
»Jobs du seit neuestem als Diskjockey?«
Ron schüttelte grinsend den Kopf. »Nein, nein ich mußte meine Mischpoche kurz zu
einer Hochzeit begleiten...«
»Warum hast Du mich nicht mitgenommen?«
»Weil ich so schnell wie möglich wieder verschwinden wollte.«
Ingrid ahnte, daß Ron ihr etwas verschwieg, deshalb beharrte sie auf ihrer
Frage. »Warum?«
»Was willst du hören?«
»Die Wahrheit!«
»Es war eine jüdische Hochzeit...«
»Und da habe ich als Schickse nichts zu suchen?!«
Das Schimpfwort brachte Ron erneut in Harnisch! »Scheiße! Unsinn! Natürlich
hättest du mitkommen können!«
»Ohne davon zu wissen.«
»Meine Mutter ist Schuld!«
»Nein, du!«
Ron ließ sich von Ingrids Einwurf nicht beirren. Er lief schreiend auf und ab.
»Edith war Christin! Sie selbst ist zum Judentum übergetreten. Jetzt führt sie
sich als Oberjüdin auf! Als Großinquisitatorin! Ich hab die Schnauze voll
davon!«
»Warum hast du mich dann nicht mitgenommen!«
»Weil ich ein Feigling bin.«
Rons augenblickliche Ehrlichkeit ließ Ingrids Zorn verfliegen. Zärtlichkeit für
den Geliebten erfüllte sie. Sie umarmte Ron.
|