Heute in Gaza:
Palästinensischer Nationalrat bestätigt Änderung der PLO-Charta
14. Dezember 1998 - Durch Handheben bekräftigte heute
Nachmittag, im Beisein von Clinton, eine große Mehrheit der rund 1000
Delegierten des Palästinensischen Nationalrates und weiterer
palästinensischer Institutionen die
Entscheidung des Zentralrats zur Streichung israel-negierender Passagen
aus der PLO-Charta.
US-Präsident Clinton sprach sich für das
Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser aus: "Zum ersten Mal in der
palästinensischen Geschichte haben das palästinensische Volk und seine
Vertreter die Möglichkeit, über ihr Geschick in ihrem eigenen Land zu
bestimmen", sagte Clinton bei einem Toast auf Palästinenserpräsident Jassir
Arafat.
Clinton reagierte auf die formelle Entscheidung erfreut
und unterstrich, "daß die Zukunft offen ist, weil Sie sich entschieden
haben, in Frieden mit ihren Nachbarn zu leben." Die Palästinenser hätten
keine andere Wahl, als den Weg der friedlichen Verständigung weiterzugehen,
auch wenn dieser Weg Ungewißheiten und Schwierigkeiten mit sich bringe.
Jasir Arafath verurteilte in seiner Antwort die
Fortsetzung der Siedlungsaktivität: "Es wird nicht nur verstärkt weiter-,
sondern auch neugebaut", Premier Netanyahu versuche den Friedensprozeß zu
behindern wo immer es ihm möglich erscheine, alle bisher getroffenen
Vereinbarungen seien entweder überhaupt nicht erfüllt oder hinausgezögert
worden. Die "unrechtmäßige Enteignung" von Land für die Siedlung am Har
Homa, sei nur ein eklatantes Beispiel. Er betonte erneut, das mit Israels
ermordetem Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin vereinbarte Motto sei "Land
gegen Frieden".
Arafath verdeutlichte noch einmal seine Vorstellung eines
unabhängigen Palästina-Staates innerhalb der Grenzen von 1967. Von
besonderem Beifall unterbrochen wurden seine Anspielungen auf den Ostteil
der israelischen Hauptstadt Jerusalem, in der Arafat seinen Regierungssitz
erreichten möchte.
Benjamin Netanjahu hatte bereits klargemacht, daß es
niemals Verhandlungen über Jerusalem, die "ewige und niemals teilbare
Hauptstadt des Staates Israel" geben werde. Die Aussetzung des vereinbarten
Abzugs israelischer Truppen aus dem Westjordanland hatte Netanjahu unter
anderem mit Passagen in der PLO-Charta begründet, die direkt oder indirekt
zur Vernichtung Israels aufriefen (siehe
Blickpunkt
04.98).
Geplant war bisher ein Treffen zwischen Clinton, Arafat
und Netanjahu. Inzwischen meldete der israelische Rundfunk, die Begegnung
sei wegen "Streitigkeiten zwischen Israel und den Palästinensern"
unwahrscheinlich.
Kommentar:
In Nahost geht’s hart auf hart
Clinton vor schwieriger Aufgabe: Israeli und Palästinenser schalten bei
ihren Verhandlungen auf stur
VON CHARLES. A. LANDSMANN / 13.12.98
sonntagszeitung.ch
JERUSALEM - Ohne Konzessionen und deshalb ohne
Rücksicht auf Verluste will der israelische Ministerpräsident Benjamin
Netanyahu den Besuch Bill Clintons hinter sich bringen.
Bill Clinton wollte in Jerusalem, Gaza und Bethlehem als
Friedensstifter und -garant auftreten. Doch der US-Präsident hätte es
aufgrund seiner Erfahrungen mit Netanyahu besser wissen müssen: «Bibi» wird
nicht davor zurückschrecken, seinen Gast, den er am liebsten wieder
ausgeladen hätte, zu brüskieren. Und Clinton wird seine ganze
Überzeugungskunst aufwenden und Druck ausüben müssen, um den widerwilligen
israelischen Premier auf dem Friedensweg voranzustossen.
Die Reise war bei den Wye-Verhandlungen zwischen Israeli
und Palästinensern ausgedacht worden: Clinton sollte bei der von Israel
ultimativ geforderten formellen nochmaligen Streichung aller
antiisraelischen Passagen aus der PLO-Charta durch den Palästinensischen
Nationalrat (PNC) dabeisein und dabei die nächste Rückzugsphase - die
nächsten Freitag erfolgen sollte - auslösen.
Doch weder Palästinenser noch Israeli wollen sich an
diesen Fahrplan halten - denn sie streiten über die Auslegung des
Wye-Abkommens. Wegen des Streits, ob Israel politische oder kriminelle
Häftlinge freilassen solle, gehen die Palästinenser seit Tagen fast wie zu
Intifada-Zeiten auf die Strasse, und bereits sind vier Demonstranten von
israelischen Soldaten erschossen worden.
Streichung aller gegen Israel gerichteter Passagen in PLO-Charta
Mindestens so umstritten ist die Frage der PLO-Charta. Die
Regierung Netanyahu verlangt ultimativ die Annullierung aller gegen Israel
gerichteten Passagen, und zwar in Gaza durch Zweidrittelmehrheit aller 669
Mitglieder des Palästinensischen Nationalrates (PNC), des durch die
Entwicklung der letzten Jahre überflüssig gewordenen Exilparlaments.
Schon in Oslo verpflichteten sich Yassir Arafat und die
PLO, alles, was «die Vernichtung Israels, den bewaffneten Kampf gegen
Zionismus und Judenstaat» betraf, aus der Charta zu streichen. 1996 geschah
dies in Gaza deutlich mit 504 gegen 54 Stimmen. Israels damals regierende
Arbeitspartei strich daraufhin abmachungsgemäss ihren Widerstand gegen die
Gründung eines palästinensischen Staates aus ihrem Parteiprogramm.
Doch die kurz danach gewählte nationalkonservative
Regierung unter Netanyahu wollte die Annullierung nicht anerkennen. Im
Januar 1998 sandte deshalb Arafat dem US-Präsidenten einen Brief, der mit
folgenden Worten schloss: «Die Artikel 6-10, 15, 19-23 und 30 sind
annulliert worden, und die Teile der Artikel 1–5, 11–14, 16–18, 25–27 und
29, welche mit den obgenannten Verpflichtungen nicht übereinstimmen, sind
ebenfalls annulliert worden. Ich kann Ihnen im Namen der PLO und der
Palästinensischen Autorität versichern, dass alle Bestimmungen der Charta,
welche nicht im Einklang sind mit den Verpflichtungen vom 9./10. September
1993 gegenüber Ministerpräsident Rabin, annulliert worden sind.»
Weder dies genügt Netanyahu, noch dass der
Palästinensische Zentralrat letzten Donnerstag den Arafat-Brief formell
bestätigte.
So schalten auch die Palästinenser auf stur. Wenn morgen
Präsident Clinton in Gaza an einer Sitzung der «Grossen Volksversammlung»
teilnimmt, wird Arafat in seiner Rede noch einmal seinen Brief erwähnen.
Applaus der Versammelten soll dann als Bestätigung des Verzichts auf die
umstrittenen Passagen genügen.
haGalil
onLine - Montag 14-12-98 |