Der junge Staat Kroatien
wird in Kürze seinen ersten Kriegsverbrecherprozeß gegen Nazischergen
abhalten. Am Dienstag wurde Anklage gegen den früheren KZ-Kommandanten Dinko
Sakic erhoben. Der heute 76jährige leitete während der deutschen Besetzung
im Zweiten Weltkrieg zeitweise das Ustascha-Konzentrationslagers Jasenovac.
Der Anklage zufolge soll Sakic zwischen April
und November 1944 für den Tod von 2.000 Menschen verantwortlich gewesen
sein; ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen
internationales Recht vorgeworfen.
Sakic ist seit Juni in Kroatien in Haft, nachdem er
von Argentinien ausgeliefert worden war. Ein Termin für den Prozeß steht
noch nicht fest, er bleibt vorerst weiter in Haft. Im Fall einer
Verurteilung drohen ihm bis 20 Jahre Gefängnis. Sakics Frau Nada wurde
im November ebenfalls an Kroatien ausgeliefert. Sie soll Wärterin in
einem Konzentrationslager für Frauen gewesen sein. Das Ehepaar floh 1945
aus Kroatien. Es lebte lange Jahre unbehelligt im 300 Kilometer
südöstlich von Buenos Aires gelegenen Santa Teresita. Im April gab Dinko
Sakic dann dem argentinischen Fernsehen ein Interview, in dem er
erklärte, Kommandant in Jasenovac gewesen zu sein. Dort sei aber "nichts
passiert".
Im Konzentrationslager Jasenovac wurden Zehntausende
Serben, Juden, Sinti und Roma und politische Häftlinge umgebracht. Die
Zahlen schwanken zwischen 60.000 und 700.000 Menschen.
Dabei geht es neben Sakic‘ allgemeiner Verantwortung
für die Verbrechen in Jasenovac auch um die Frage, ob der heute
76jährige selbst getötet hat. Dies ist nach Aussage von Efraim Zuroff,
dem Leiter des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, erwiesen. Er übergab
dem kroatischen Justizministerium Dokumente, die Sakic als Mörder
überführen würden. Dessen Pflichtverteidiger Ivan Kern stellte dies in
Abrede.
Mindestens elf Personen - meist aus Belgrad - sind
bereit, als Zeugen gegen Sakic auszusagen. Die Zeugen, die in Kroatien
leben, fürchten allerdings Repressalien von Sakic-Anhängern; einige
haben um Polizeischutz angesucht. Kroatiens Außenminister Mate Granic
hat versprochen, alle internationale Rechtsnormen zu erfüllen.
Eine zentrale Rolle in der Debatte über die
Vergangenheit in Kroatien spielt die Opferzahlen von Jasenovac.
Präsident Franjo Tudjman hat in der Vergangenheit Empörung ausgelöst,
als er die Greuel im "Auschwitz des Balkans" herunterspielte. In einem
Buch, dessen englische (nicht aber die kroatische) Fassung denn auch
geändert wurde, schrieb er von 30.000 Toten. Der Direktor des Zagreber
Staatsarchivs sprach gar vor kurzem von 15.792 Todesopfern in Jasenovac
- und 58.291 Opfer in ganz Kroatien.
Wieviele Menschen?
Unabhängige Historiker weisen dies zurück,
bezweifeln aber auch die in Serbien genannte Zahl von 700.000 bis 1,2
Millionen Todesopfern. Der Historiker Slavko Goldstein in Zagreb hält
85.000 Tote für realistisch - davon 30.000 Serben, 15.000 Juden, 20.000
Roma, und 20.000 kroatische Oppositionelle. Insgesamt dürften 800.000
Menschen dem Ustascha-Terror zum Opfer gefallen sein.
Die meisten Akten, die Jasenovac betreffen, liegen
in Belgrad, werden aber von den Serben nicht zur Verfügung gestellt.
Dabei geht es auch um die Vorwürfe gegen Sakic‘ Frau Nada, die auch
Aufseherin in Jasenovac war und ihren späteren Mann an Grausamkeit nicht
nachgestanden haben soll. Sie lebte unter dem Namen Esperanza
Luburic-Sakic in Argentinien.
Für Kroatiens internationale Reputation ist der
Sakic-Prozeß bedeutsam. Präsident Tudjman bemüht sich seit längerem um
Freundschaft mit Israel und wurde mit der Aufnahme diplomatische
Beziehungen belohnt. Sein geplanter Israel-Besuch scheint angesichts des
Widerstands von Holocaust-Überlebenden jedoch wenig wahrscheinlich.
SLW