Nachrichten
Garbáty - Villa:
Massive Proteste gegen den Einzug der Rechtsextremen
Berlin-Pankow, 15.12. 98, EB - Die
Jüdische Gemeinde Berlin und die SPD hatten zu öffentlichen Protesten gegen
den Einzug der Bundesleitung der rechtsextremen "Republikaner" in die 1939
von Nazi-Deutschland zwangsarisierte Villa der jüdischen Fabrikantenfamilie
Garbáty in Berlin-Pankow aufgerufen.
Diesem
Aufruf folgten heute in den Morgenstunden mehrere hundert Berlinerinnen und
Berliner. Ebenso hatten ganze Schulklassen sich dem Protest angeschlossen.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Andreas Nachama, nahm an den
Protestaktionen teil. Für die bereits angekündigte Verbringung von Umzugsgut
der "Republikaner" war ein Durchkommen unmöglich.
In einem Interview vor Beginn der
Protestaktionen im ZDF-Morgenmagazin betonte Nachama, daß der derzeitige
Eigentümer zwar die Immobilie rechtens erworben habe es ginge aber nicht an,
daß er sich der historischen Verantwortung, die sich aus der Geschichte der
Garbáty-Villa ergäbe, entzöge. Nachama bezeichnete die Vermietung der
Garbáty Villa an die "Republikaner" als eine Verhöhnung der Opfer des
Nazi-Regimes.
Presseerklärung:
Jüdische Gemeinde Berlins protestiert
Die Jüdische Gemeinde protestiert aufs
Schärfste gegen die Absicht der "Republikaner", auf dem Gelände der "Villa
Garbáty" in Pankow ihren Bundeshauptsitz einzurichten. Der Ort könnte nicht
unangemessener sein. Für die in Berlin lebenden Juden manifestiert sich in
der Präsenz einer rechtsradikalen, fremdenfeindlichen Vereinigung, deren
Programm einzig auf die Ausgrenzung von als nicht-deutsch deklarierten
Bürgern abzielt, ein unerträglicher Zynismus und eine Verhöhnung all derer,
die von den Nazis verjagt und ermordet wurden.
In der Villa lebte bis kurz nach dem
Novemberpogrom die Familie des jüdischen Philantropen Moritz Garbáty, dessen
Fabrik wegen ihrer vorbildlichen sozialen Einrichtungen noch 1936 als eine
"Zierde Pankows" bezeichnet wurde. Moritz Garbáty trat auf vielen Gebieten
als Wohltäter für die Stadt Berlin auf, unter anderem schenkte er Pankow
eine gemeinnützige interkonfessionelle Stiftung und finanzierte einen
Lehrstuhl an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Nach der
Zwangsarisierung des gesamten Familienbesitzes wurde die Familie Garbáty
1939 in die Emigration getrieben.
Zu den Orten Berlins, die vom untergegangenen
jüdischen Leben in dieser Stadt zeugen, gehört in jedem Fall die "Villa
Garbáty". Wir rufen die Bürger Pankows dazu auf, den Einzug der
"Republikaner" auf das Gelände der "Villa Garbáty" mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln nicht zuzulassen, damit der Ort nicht zu einer "Schande
Pankows" verkommt. Weiter fordern wir den Eigentümer auf, die Vermietung des
Gebäudes an die "Republikaner" noch einmal zu überdenken und sich dabei auch
seiner historischen Verantwortung zu stellen.
Dr. Andreas Nachama,
Vorsitzender
Eigentum verpflichtet:
Aus der Firmengeschichte
1896 erfolgte die Eintragung "Cigaretten
Fabrik J. Garbáty" ins Handelsregister. 1906 übersiedelte diese in ein
Fabrikgebäude in der Pankower Hadlichstraße zur Herstellung von Zigaretten
sowie von Verpackungsmaterial. Es entstanden Lehrlingswerkstatt und
Werkskantine. 1910: Gewinn mehrerer Auszeichnungen auf der Brüsseler
Weltausstellung. 1911 entsteht ein zweites Fabrikgebäude in der Berliner
Straße für 1.000 Mitarbeiter. Es folgen ein neungeschossiges Lagergebäude,
eine Verkaufsorganisation, ein eigener Fuhrpark. 1929 zieht sich Josef
Garbáty-Rosenthal aus der Firma zurück. Unter Leitung seiner Söhne Moritz
und Eugen entwickelt sich die "Garbáty Cigaretten Fabrik GmbH". 1930 kommt
ein drittes Fabrikgebäude hinzu, mit elektrisch belüfteten Arbeitsräumen für
inzwischen fast 1.600 Beschäftigte.
Der sehr sozial eingestellte Seniorchef Josef
Garbáty-Rosenthal war Mitinitiator des "Vereins zur Förderung der sozialen
Lage der Arbeiter der Zigaretten-Industrie". Dieser sah u.a. eine
Arbeitslosenfürsorge vor, die gesetzlich erst 1927 in Deutschland eingeführt
wurde; sie kümmerte sich auch um fachgerechte Ausbildung. 1931 entstand der
Garbáty Sportclub; es existierten Betriebsbücherei und Betriebschor. Für die
jüdische Gemeinde finanzierten die Garbátys unter anderem
Krankenhaus-Freibetten. Für Pankow setzten sie eine Stiftung "für
interkonfessionelle, kulturpolitische gemeinsame Zwecke" aus. Die Zinsen
erhielt die 1920 gegründete "Volksbühne Norden e.V.", die jeweils 50
Theaterkarten für Zigarettenarbeiter zur Verfügung stellte.
Mit der Nazigesetzgebung zur "Ausschaltung der
Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben", der "Zwangsarisierung" jüdischen
Eigentums, verlor die Familie ihren Besitz auf 45.784 Quadratmeter Fläche.
Dazu Wohnhaus mit Grundstück in der Berliner Straße 126/127. Eugen und
Moritz wanderten 1939 mit Familien nach den USA aus. Der Firmengründer starb
im selben Jahr 89jährig in Berlin.
haGalil onLine -
Dienstag 15-12-98
Bitte informieren Sie sich im 'Offenen
Forum'
Protest am Dienstag,
15.Dezember 1998, Pankow, 8:00h
-
REP - Prof. h.c. F.-W. Schmidt 10.12.98
haGalil onLine - Montag
14-12-98