Erinnern - aber bitte richtig
dosiert!
Die
hitzige Auseinandersetzung um die Rede Martin Walsers markiert eine
Wegscheide in der deutschen Holocaust-Debatte.
Von Andreas Brenner
"Ist das wirklich die "Frankfurter Allgemeine
Zeitung", jenes Weltblatt mit Niveau und klugen Köpfen davor und dahinter?"
mag mancher ausländische Besucher fragen, der die Aufregung, die in der FAZ
derzeit täglich dokumentiert wird, sich zu Gemüte führt. Im Stile
drastischer Kriegsberichterstattung werden dort jeden Morgen neue
Einschusslöcher vorgeführt. Angesehene Persönlichkeiten, von denen man vor
zwei Wochen noch annehmen durfte, dass sie sich untereinander für ebensolche
halten, werfen sich nun Grobheiten an den Kopf, die weh tun müssen und die
auch verletzen sollen. Ort der Kampfhandlung ist das so vornehme Feuilleton
des Frankfurter Blattes. Dort wird allem Anschein nach jeden Tag bis kurz
vor Redaktionsschluss ein Kasten freigehalten, in dem dann die neuesten
Angriffe plaziert werden können. Die Hauptkombattanten wechseln selbst
schnell die Position, die Frankfurter Abschussbasis bleibt. Ignatz Bubis
(Frankfurt) schiesst auf Klaus von Dohnanyi (Hamburg) das Urteil der
Bösartigkeit, der fühlt sich schwer getroffen, findet gleichwohl Kraft, den
Vorwurf der Brutalität zurückzufeuern ("Sie sollten etwas behutsamer mit uns
umgehen, auch wir sind verletzbar."), und Bubis, der inzwischen räumlich
Abstand zur Sache genommen hat, knallt von Amman aus nochmals das Wort
"bösartig" herüber.
Wie bei anderen
heissen Konflikten auch, so wird man, wenn es so weitergeht, bald gar
nicht mehr wissen, was eigentlich der Anlass des Streites war. Dies
droht um so eher, als der, um den so heftig gestritten wird, sich
bislang aus dem Gefecht heraushält, womit der Kampf den Charakter eines
Stellvertreterkrieges annimmt.
Doch bevor man sich fragt, was hier für wen
stellvertretend ausgefochten wird, sei der Stein des Anstosses in
Erinnerung gebracht, und der trägt den so passenden Namen Friedenspreis.
Genauer gesagt geht es um die Rede, die Martin Walser zum Dank für die
Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der
Frankfurter Paulskirche gehalten hat. Die Rede, Walser nannte sie
bescheiden "Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede", beschäftigt
sich nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte, mit etwaigen
Schreibhemmungen eines Redenschreibers, sondern vielmehr mit den
Hemmungen des Autors im Umgang mit der Geschichte, konkret derjenigen
des Nationalsozialismus.
Die Banalität des Guten
Mit, wie Walser einräumte, "vor Kühnheit zitternder"
Stimme, sagte er, "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu
werden". Im folgenden verwahrte sich Walser gegen die in der deutschen
Öffentlichkeit allgegenwärtige "Moralkeule", verwarf das für Berlin
geplante Holocaust-Mahnmal (er nannte es Holocaust-Denkmal) und
bezeichnete solche Formen des Erinnerns schlicht als "Banalität des
Guten".
Für Ignatz Bubis, den Präsidenten des Zentralrates
der Juden in Deutschland, war nach der Rede die Sache klar. Walser ist
ein "Brandstifter". Der ehemalige Hamburger Bürgermeister von Dohnanyi,
der das nicht auf des Dichters Schultern sitzen lassen wollte, bemühte
sich in der FAZ um eine umfangreiche Interpretation der Walser-Rede.
Dabei schoss der Walser-Exeget übers Ziel hinaus, als er anregte,
"jüdische Bürger in Deutschland" müssten sich fragen, ob sie "sich so
sehr viel tapferer als die meisten anderen Deutschen verhalten hätten,
wenn nach 1933 "nur" die Behinderten, die Homosexuellen oder die Roma in
die Vernichtungslager geschleppt worden wären". Diese Frage löste dann
die Bubis-Reaktionen aus.
Der Streit um die Worte ist inzwischen längst
eskaliert. Neben dem anhaltenden Schlagabtausch Bubis-Dohnanyi haben
sich in der FAZ auch die Leserbriefschreiber zu Wort gemeldet. Von
dieser Seite wird das Lager der Walser-Befürworter sowohl verstärkt wie
auch verjüngt. Das Alter scheint auf einmal zum Argument zu werden. Wer
für Walser und zugleich auch jung ist, lässt das in seinem Brief an die
Herausgeber der FAZ mit einfliessen. So erfährt man, dass der Leser aus
Karlsruhe, der dem bedrängten Autor eine Bresche schlagen will, 30 Jahre
jung und schon Doktor ist. Noch beeindruckender aber die Leserin aus
Köln. Gerade 15 Jahre alt, springt sie dem Schriftsteller und auch Roman
Herzog bei. Der Bundespräsident hatte sich mit der Absicht hinter Walser
gestellt, auch beim Erinnern komme es auf die richtige Dosierung an.
Fanfare des erleichterten Gewissens
Und damit sind wir auch bei der eigentlichen Ursache
der Auseinandersetzung angelangt. Ignatz Bubis geht es nicht darum,
irgend jemandem, und sei er auch ein bekannter Schriftsteller, seine
Privatmeinung zu verbieten. Wohl aber wehrt sich Bubis dagegen,
Argumente im politischen Raum zu verankern, mit denen die öffentliche
Erinnerung an den Holocaust in naher Zukunft beerdigt werden könnte. An
diesem Projekt aber, zu dem die Walser-Rede einen wichtigen Stützbalken
liefert, wird derzeit eifrig gebaut. Den Anfang machte der Berliner
Bürgermeister Diepgen, als er gegen den Willen des damaligen
Bundeskanzlers Kohl einem Holocaust-Mahnmal in der Mitte Berlins seine
Zustimmung entzog. Sowohl Kohls Nachfolger Schröder wie auch dessen
Kulturbeauftragter Naumann blasen nun die gleiche Fanfare: Ins neue
Jahrhundert soll Berlin, soll Deutschland ohne die mahnende Schande der
eigenen Geschichte gehen. In der neuen Zeit soll Erinnern keine Pflicht
mehr sein. Die Devise lautet dann: erinnere sich, wer will.
Tages-Anzeiger - Kultur
http://www.tages-anzeiger.ch/981123/23100.HTM
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