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Süddeutsche Zeitung

Erster Prozeß gegen Kriegsverbrecher:
Litauen scheut den Blick zurück

Israel wirft dem baltischen Staat vor, er drücke sich vor einer Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit und verzögere die Verfahren

Von Frank Nienhuysen

Der Auftritt dauerte nur zehn Minuten. Für den 91 Jahre alten Angeklagten blieb gerade genügend Zeit, um seinen Namen zu bestätigen und seine Unschuld zu beteuern; dann begannen seine Hände zu zittern, er sprach das Vaterunser und rang nach Luft. Aleksandras Lileikis erlitt eine Herzattacke. In seinem Rollstuhl wurde er vom Gerichtssaal aus in ein Krankenhaus in der litauischen Hauptstadt Vilnius gebracht, und niemand weiß, ob er jemals wieder zurückkehren wird an diesen Ort, wo über ihn gerichtet werden soll.

Viele Beobachter hatten aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes von Lileikis ohnehin nicht damit gerechnet, daß er tatsächlich der Anhörung in Vilnius folgen würde, um sich persönlich gegen die Beweislast zu stemmen, die so drückend auf ihm liegt. Lileikis war von 1941 bis 1944 während der deutschen Besatzungszeit Chef der litauischen Sicherheitspolizei in Vilnius, der sogenannten Saugumas. Damals soll er litauische Juden zur Deportation nach Auschwitz an die deutschen Behörden ausgeliefert haben, Hunderte, Tausende vielleicht.

Lileikis Lileikis wird von seiner Tochter Aldona
zum Gericht begleitet. Die Tochter kam
zum Prozess eigens aus Chicago gereist.

 

Etwa 50 Jahre hatte Lileikis nach dem Krieg unbehelligt im US-Städtchen Norwood, Massachusetts, gelebt, ehe die Anschuldigungen gegen ihn ans Licht kamen und die USA dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher 1995 die Staatsbürgerschaft aberkannten. Noch bevor die Vereinigten Staaten ihn ausweisen konnten, setzte Lileikis sich in seine Heimat Litauen ab. Dort tut man sich mit dem neuen Staatsbürger äußerst schwer.

Zwei Jahre lang dauerten die Untersuchungen der litauischen Behörden, bis schließlich im März Anklage gegen Lileikis erhoben wurde. Immer wieder aber wurden die Verhandlungen verschoben, weil der Gesundheitszustand Lileikis‘ dessen Teilnahme nicht zuließ. Lileikis bestreitet die Vorwürfe. Im Gerichtssaal, unmittelbar vor seinem Anfall, sagte er noch: „Ich habe keine Kraft mehr, aber ich hoffe, daß meine vollständige Unschuld anerkannt wird.“ Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf Dokumente, die belegen sollen, daß Lileikis die Übergabe von Juden an die Exekutionskommandos der Nazis verfügt habe. Die Verteidiger des Angeklagten dagegen behaupten, die Papiere seien vom Geheimdienst KGB gefälscht worden. Tatsächlich habe Lileikis im Untergrund gegen die deutschen Besatzer gekämpft.

Ein ganzes Land in der Kritik

Doch in dem Prozeß, dem ersten gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher in den baltischen Staaten, geht es um mehr als um die persönliche Schuld des kranken Greises. Ein ganzes Land steht in der Kritik; eines, von dem viele behaupten, es schaue seit Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit 1991 ausschließlich nach vorn und scheue den Blick zurück in die eigene Geschichte . Israel, die USA sowie mehrere jüdische Organisationen haben Litauen mehrmals vorgeworfen, an der Aufarbeitung von Verbrechen während der deutschen Besatzungszeit wenig interessiert zu sein. „Litauen behandelt den Fall sehr zögerlich“, sagt Efraim Zuroff, Direktor des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums der SZ. „Es ist ein typisches postkommunistisches Land, das sehr viel mehr mit der kommunistischen Vergangenheit beschäftigt ist als mit der Kollaboration während der Nazi-Zeit. Nur sehr wenige Litauer wollen sehen, wie ein Litauer wegen Mordes an Juden verurteilt wird.“ Mehr als 95 Prozent der 220.000 Juden, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Litauen lebten, sind bis 1945 getötet worden, „und die meisten durch Litauer“, sagt Zuroff.

Im März 1995 bat der damalige litauische Präsident Algirdas Brazauskas in der israelischen Knesset um Vergebung für die von Litauern während des Zweiten Weltkrieges begangenen Verbrechen, und versprach, daß er gegen die in Litauen lebenden Kriegsverbrecher konsequent vorgehen werde. Zwei Jahre später wurde Brazauskas in einem Schreiben von 92 Knesset-Abgeordneten an sein Versprechen erinnert. Auch etwa 30 Mitglieder des US-Repräsentantenhauses erhöhten mit Petitionen den Druck auf den Baltenstaat, eine Anklage gegen Lileikis zu erheben.

Dies zeigte Wirkung. Durch eine Gesetzesänderung wurde das Verfahren auch bei Abwesenheit des Angeklagten ermöglicht. Dennoch sind die Verhandlungen mehrmals verschoben worden, zuletzt an diesem Montag. Lileikis‘ Anwälten zufolge muß der Prozeß mindestens um ein halbes Jahr unterbrochen werden, falls sich die Gesundheit des Greises zwischenzeitlich nicht bessere. Der litauischen Führung ist die Diskussion über die wiederholte Verschiebung des Gerichtsverfahrens sichtlich unangenehm, doch Präsident Valdas Adamkus wehrt sich gegen den Vorwurf, der Prozeß werde von den Behörden gezielt verschleppt.

Hoffen auf die „natürliche Lösung“

Zuroff sieht seine These hingegen bestätigt, daß dem Staat eher an einer natürlichen Lösung des Falles gelegen ist. „Jeder Tag, der vergeht, bringt Lileikis dem Tod näher“, sagt Zuroff. Vielleicht aber kommt es noch zur Verurteilung in einem ähnlichen Prozeß. Vor zwei Wochen erhob die Staatsanwaltschaft in Vilnius Anklage gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Kazys Gimzauskas. Er gehörte während des Zweiten Weltkrieges der Geheimpolizei in der litauischen Hauptstadt an, als Stellvertreter Lileikis‘. Auch Gimzauskas soll in den vierziger Jahren an der Deportation litauischer Juden mitgewirkt haben, auch er bestreitet dies, und auch er ist bereits 91 Jahre alt.

12.11.98 Politik
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