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Jüdische Rundschau - Basel

Leon Zelman:
Auf der Suche nach Versöhnung mit der Vergangenheit

Von Anton Legerer, Jr. - anton@hagalil.com

Leon Zelman ist einer der prominentesten und beliebtesten von den Wiener Juden - jedenfalls bei den Nichtjuden, und am meisten bei den österreichischen Politikern. Dabei kommt er ursprünglich gar nicht aus Wien, sondern ist 1928 im polnischen Stetl Szczekociny geboren und aufgewachsen. Und so leicht, wie es für seine nichtjüdischen Gesprächspartner in der Politik, in der Kirche und in den Medien, scheinen mag, ist es nicht, seinen Vorstellungen gerecht zu werden. Trotzdem wird er mit Ehrungen geradezu überhäuft, während er es innerhalb der jüdischen Gemeinde immer wieder schafft zu polarisieren und Teile der Gemeinde gegen sich aufzubringen.

Zuletzt hatte sich Leon Zelman in der Tageszeitung "Die Presse" gegen die Einrichtung der von der IKG geforderten Kommission zur Frage des "arisierten" Vermögens geäussert und sich den Unmut von IKG-Präsident Ariel Muzicant zugezogen, der gegenüber der Jüdischen Rundschau mit merklicher Verärgerung auf den gültigen Beschluss des "gewählten Kultusrates" verwies. "Ich bin nicht prinzipiell gegen eine Kommission", argumentiert Zelman im Gespräch, "ich bin nur dagegen, diese Kommission auf die Aufarbeitung des Vermögens zu begrenzen. Da gibt es schon viel Material: Diplomarbeiten, Dissertationen und Forschungsberichte. Mir geht es darum, ausser Summen und Zahlen zu erheben, wer das gemacht hat, die Geschichte dahinter. So glaube ich, dass zuwenig betont wird, wie das war. Dass von einem Moment zum anderen ein Hausbesorger mit einer Liste gekommen ist, die bereits eine Vermögensauflistung der jüdischen Hausbewohner enthalten hat oder daß ein Nachbar und der Lehrer plötzlich mit einem SS-Zeichen gekommen sind."

Leon Zelman plädiert für eine pädagogische Aufarbeitung dieser Geschichte und Geschichten für die heutige Generation, "die nicht schuldig ist, die aber wissen sollte, was passierte". In seinen Erinnerungen schreibt er, seit Waldheim wäre für ihn klar, dass sich sein Augenmerk auf die nach 1945 Geborenen zu richten hätte. Es gehe ihm nicht um den unmittelbaren, momentanen und oberflächlichen Erfolg, sondern um eine "tiefgehende Auseinandersetzung". Am liebsten in einem eigenen "Haus der Geschichte". Der Jugend von heute solle auch das Bewusstsein vermittelt werden, "dass wir jetzt schon 53 Jahre ohne Krieg leben." Wien solle damit "Hauptstadt der Geschichte Europas" werden und als solche Stellung nehmen zur Geschichte.

Zelmans Augen erhalten zusätzlichen Glanz, wenn er von der Jugend spricht, über die sich große Sorgen macht, weil "sie heute keine Visionen hat, keinen Blick für die Zukunft", und er meint sowohl junge Juden als auch Nichtjuden. Juden in Wien, so Zelman wären als "einstige Opfer, die gelitten haben über Jahrhunderte und sich deshalb besonders viele Gedanken gemacht haben und machen", besonders berufen, im vereinten Europa eine entscheidende gestalterische Rolle zu spielen. Bei den nichtjüdischen Österreichern ärgert ihn am meisten, "dass man in diesem Land noch nicht gelernt hat, mit der Vergangenheit ohne Komplexe umzugehen". Österreicher hätten angst, mit ihrer Vergangenheit umzugehen, und das tue ihm weh. Sie würden nicht verstehen, dass die Jugend in aller Welt zur Offenheit erzogen werde, und Jugendliche möglichst viel herumreisen - und dass Jugendliche Visionen brauchen. Deshalb seine Idee - wie er nicht müde wird, zu wiederholen - ein ganzes Haus einzurichten, in dem Geschichte erforscht und erzählt wird: die Geschichte Europas, der Weg, der zum Holocaust und zur Ausrottung von Menschen geführt hat, und dazu zähle auch "die Forschung über arisiertes Vermögen, Wohnungen und Häuser, und auch die Geschichte nach dem Krieg, wie man umgegangen ist, mit den Emigranten und Vertriebenen".

Mangelndes Verständnis beklagt er aber auch seitens der Nachkriegsgeneration in der Gemeinde - einer der Konfliktpunkte mit IKG-Funktionären. "Die Generation, die nach dem Krieg hier befreit worden ist, die hat nichts anderes zu tun gehabt, als ein Leben aufzubauen", so Zelman mit persönlicher Betroffenheit, "die sind nackt aus dem Lager herausgekommen, und die haben einfach dafür gesorgt, dass die heutige Generation umsorgt aufwachsen kann".

Zelman weiß, wovon er spricht. Er verbrachte viereinhalb Jahre im Ghetto Lodz, wohin seine Mutter mit ihm und seinem Bruder Schajek zu Verwandten geflüchtet war, um der Ermordung durch die deutschen Besatzer zu entkommen. Nach und nach verlor er Onkel und Tanten, Cousins und schliesslich auch die Mutter, deren Aufforderung auf der Flucht "Aufstehen, weitergehen!" er wohl zu seinem Lebensmotto machte. Die Räumung des Ghettos, das er und Schajek überleben konnten, brachte die Deportation für das Brüderpaar nach Auschwitz, wo sie der Vernichtung entkommen kommen - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich um zwei Jahre älter und damit für den Arbeitsdienst geeigneter erscheinend machten. Im September 1944 wurden Leon und Schajek nach Falkenberg gebracht, ein weiterer Todesmarsch endete in Wolfsberg, von wo - wie Leon Zelman später erfahren musste - sein Bruder wieder zurück nach Auschwitz deportiert und dort ermordert worden war. Leon Zelman wurde weiter in das Arbeitslager Ebensee, einem Nebenlager von Mauthausen, verbracht und dort schliesslich von US-Streitkräften befreit und ärztlich versorgt.

Mahnmal - WienAus dieser Zeit ruht seine Bekanntschaft und wohl auch seine Gegnerschaft mit Simon Wiesenthal, die in späteren Jahren immer heftiger und immer öffentlicher ausgetragen wurde. Der von Wiesenthal gegenüber Angriffen des mit Zelman kooperierenden World Jewish Congress in Schutz genommene Kurt Waldheim und das von Simon Wiesenthal forcierte Holocaust-Mahnmal in Wien waren die letzten grossen Konfliktpunkte. Wiesenthals Verhalten während der Waldheim-Affäre umschreibt er mit Bewahren des "Heiligenscheins", während das Mahnmal "mir speziell etwas geraubt hat". Nachdem Wiederentdecken der Überreste der im Mittelalter nach einem Progrom zerstörten Synagoge plädierte Zelman - erfolglos - dafür, auf die Errichtung des Holocaust-Mahnmals zu verzichten und "die Ausgrabungen dort als die Aussage stehen lassen, als Mahnung und als Denkmal."

Trotz seines beharrlichen Eintretens für Versöhnung und Kontakten zur dominierenden römisch-katholischen Kirche halte er "nichts" vom christlich-jüdischen Dialog. Es gehe ihm darum, dass die Kirche "ihre Stellung bezieht und sich bekennt" und ihrer pädagogischen Funktion gerecht werde. Als einen vielversprechenden Schritt sieht Zelman die geplante Anbringung einer Informationstafel über christlichen Antisemitismus durch den Wiener Erzbischof Schönborn auf dem Wiener Judenplatz an, nachem im Zuge der Bauarbeiten für das Holocaust-Mahnmal nicht nur die Überreste der mittelalterlichen Synagoge gefunden worden waren, sondern auch eine lateinische Inschrift an einem angrenzenden Gebäude, die das Geschehen rechtfertigte.

Die Frage, ob er sich von dem immer wieder aufkeimenden Antisemitismus bedroht fühle, verneint Zelman und erklärt: "Ich suche auch nicht danach". Er erzählt von Freunden, "die, wenn sie in der Früh aufstehen, und der Tag ist vernebelt, sagen: 'das ist ein antisemitischer Tag'". Also, Ansichtssage? "Ich weiss, wer hier aller lebt, und für mich ist das eher noch ein Ansporn, wenn ich Antisemitisches höre." Es gehe ihm aber darum - und dazu sehe er "keine Alternative" - für die heutige Jugend als Zeitzeuge zur Verfügung zu stehen. Seine Geschichte hat er schon in "vier- bis fünfhundert Schulen" erzählt.

Dass seine Ideen und seine Arbeit instrumentalisiert werden können, ist Leon Zelman bewußt, obwohl er sich immer sicher gewesen wäre, "keine Kompromisse" eingehen zu wollen. Entschädigt fühlte er sich, als der damalige Bundeskanzler Vranitzky 1991 und 1993 Bekenntnisse zur österreichischen Mitverantwortung an der Schoa abgelegt hatte, jene Reden, "auf die wir alle so lange hatten warten müssen".

Das Bekenntnis zur Mitverantwortung ist es auch, was Leon Zelman bei der Diskussion um die Schweiz abgeht, und er sei "kein begeisterter Anhänger von den Vorwürfen, die man der Schweiz dafür macht, dass sie überlebt hat". Aber: "Man soll jungen Leuten nicht sagen, dass die Schweiz ihres starken Militärs wegen überlebt hat, sondern, weil die Deutschen die Schweiz benutzen konnten. Ich bin dagegen, dass man mit der Schweiz über Milliarden verhandelt, das Bekenntnis ist mir wichtiger."

Zelman war 1951 Mitbegründer der Jahreszeitschrift "Das jüdische Echo", dem er bis heute als Chefredakteur vorsteht. Seit 1978 betreibt er den "Jewish Welcome Service (JWS)", eine Informationsstelle für jüdische wie nichtjüdische Besucher im Zentrum Wiens, aus dem "mehr geworden ist, als ich geglaubt habe". Der JWS biete "die Begegnung mit der Geschichte in der Stadt und damit Aussagen über die Stadt, und darauf bin ich sehr stolz; ebenso auf den Jugendaustausch, die ehemaligen Vertriebenen, die ich nach Wien einladen kann". Leon Zelman schätzt die Zahl der vom JWS eingeladenen aus Österreich vertriebenen Juden auf 3000, rund 1000 erwartet er in den nächsten Jahren.

Als Alternative zum "Besuch auf eigene Faust", finden sich die vom JWS eingeladenen Gruppen schon alleine wegen des Gruppenerlebnisses wohler und können Erlebnisse und Gedanken austauschen, so Zelman. Sein JWS versuche zudem, "unseren Gruppen ein bisschen das Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln und Hilfe bei der Suche nach der Versöhnung mit der Vergangenheit, bei der Suche nach der verlorenen Kindheit, zu geben". Mit dem JWS möchte er ein wenig "das Gefühl der Liebe dieser Menschen, das Österreich ihnen verweigert hat" vermitteln. Leon Zelman beendet das Gespräch, weil "ich noch ins Spital muss" - einer der JWS-Besucher, einer der aus Wien Vertriebenen, musste zur Behandlung ins Krankenhaus, und Leon Zelman möchte ihn unbedingt besuchen. Als Geschenk nimmt er einen Band seiner eben in englischer Übersetzung erschienen Erinnerungen mit.

Jüdische Rundschau Maccabi Nr. 37/98 vom 10. September 1998

haGalil onLine - Samstag, 14. Dezember 2013

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