Kulturförderung in Gutsherrenmanier:
Vom Zensor ersatzos gestrichen
Die vom Verein 'ART & weise' für den Katalog zur Ausstellung
"Nashorn macht Schule - Künstlerische Arbeiten anders begabter
SchülerInnen"
in der vom Abgeordnetenhaus unterhaltenen 'galerie im parlament'
vorgeschlagenen Texte. (Anlage-3)
Vom Kunstwert
Dem Berliner Abgeordnetenhaus ist zu
danken und zu gratulieren. Nach den auffällig gut konzipierten Ausstellungen
"Vertraute Fremde" und "Berlin - Stadt der Frauen" bringt seine "Galerie im
Parlament" abermals bildende Kunst von Belang und Qualität vor die
seh-süchtigen Augen der regierten und regierenden Berliner Öffentlichkeit.
Selbst flüchtigen und eiligen
Besucherinnen und Besuchern des Hauses wird mensch demnächst nicht
vorhalten können, daß sie irren, wenn sie sich zu erinnern meinen,
gerade eben und hier Arbeiten von Lüpertz, Immendorf oder zumindest
Rainer gesehen zu haben. Denn die Bilder und Skulpturen von Charmaine,
Jenny, Mandy, David, Luisa, Beatrice, Juliane, Jessica u. a. berühren
und faszinieren nicht minder: durch existenzielle Dreingabe,
Gegenwärtigkeit im Stilistischen, Beherztheit in der Abstraktion,
formale Souveränität, gestalterische Intelligenz und große Leichtigkeit
in der ironischen und selbstironischen Verkürzung. Manches mutet - durch
den präzis getimten Abbruch vor der Vollendung - meisterlich an...
Es spricht eben nicht gegen,
sondern für - beispielsweise - Immendorf, Rainer, Lüpertz, Kerma,
Caturelli, Fretwurst, Pohl, Aus dem Kahmen, Feistel, Sgonina, Woisnitza,
Lazeanu, Faller, Sabelus, Mields-Kratochwil, Emric u.a., daß sowohl
Intention als auch Form, Farbe und Duktus ihrer Arbeiten im Blick auf
die hier versammelten Kreationen scharf assoziiert und erinnert werden
können. Jede künstlerische Wahrheit zielt - bei aller Singularität -
letztlich geradewegs aufs Allgemeine, aus dem sie unbehebbar herkommt.
(Exklusivität - die Crux des Kunstbetriebes - ist weder ihr Kriterium,
noch ihr Problem.) So liegt der Reiz dieser Ausstellung nicht zuletzt
darin, daß sie auf eine didaktisch noble und plausible Art und Weise
auch Seh- und Erkenntnishilfe leistet: für die auf dem
gesellschaftlichen Olymp zwar hochgepriesene, in der gesellschaftlichen
Breite jedoch zumeist schon um ihre bloßen Entstehungskosten betrogene
Kunst der Gegenwärtigen.
Der Titel "Nashorn macht Schule"
ist keine hinterfotzige Metapher für die Gewalten der gegenwärtigen
Berliner Kultur- oder Schulpolitik. Er verweist vielmehr auf Bleibendes:
auf das segensreiche Wirken der Helene Haeusler, die lebenslang aus
Nessel und Leder wunderbar robuste Dinge herstellte: z. B. Nashörner,
dickhäutiges Getier zur Ertüchtigung und Bewahrung des allzeit
empfindsamen Hand-, Herz- und Sitzfleisches zarter Gemüter.
Jürgen Rennert
Von der Gleichwertigkeit
Arthur Schnitzlers provokante Sentenz
"Mitleid ist das Alibi der Hartherzigen" benennt auch die Misere unseres
Umgangs mit Menschen, die wir in gnadeloser Barmherzigkeit durch die groben
Raster tradierter Normierungen fallen lassen, um sie erst sehr viel weiter
unten wieder aufzufangen. Mehr und mehr verkommt der Begriff "geistig
behindert" zum Pejorativ. Richterliche Urteile in Sachen "Unzumutbarkeit"
trugen in jüngerer Zeit ihr Scherflein dazu bei. Dabei wissen wir alle um
die Erklärungs- und Beschreibungsnot, in die wir geraten, wenn wir die Art
der geistigen Behinderung unserer Tochter, unseres Sohnes, unserer Freundin,
unseres Freundes deutlich beschreiben und benennen sollen. Fast alles, was
uns da spontan einfällt, läßt sich mit einem beherzten "Na und?" entkräften
und hinterfragen: "Sie sagt immer alles, was sie denkt", "Er hat einfach
kein Gespür dafür, wann Schluß sein muß", "Sie giert nach Erfolg und
Anerkennung", "Er nimmt sich alles, was er braucht..." (Aussagen wie diese
läsen sich im Fragebogen mancher Führungskraft in Industrie und Wirtschaft
wie eine Empfehlung.)
Die kurz vorm Impressum verzeichneten
bildenden Künstlerinnen und Künstler des Berliner "ART und weise e.V."
erübrigen schon seit langem kein Mitleid mehr. Nur noch Freundschaft und
Liebe, Kraft, Geld und Zeit. Um halbwegs verläßlich mit Mädchen und
Jungen, jungen Frauen und Männern künstlerisch zu arbeiten. Seitdem
wissen sie auch, daß sie sich nicht auf geistig behinderte, sondern auf
geistig anders begabte Menschen eingelassen haben. Das macht die Sache
im Kern um keinen Deut leichter. Denn die Arbeit des Teams von "ART und
weise e.V." zielt auf gleichberechtigtes Miteinander, auf Kollegialität
und Kooperation. So läßt sich beispielsweise im Blick auf die
präsentierten Arbeiten kaum mehr entzwirnen, wer hier gegeben und wer
genommen hat. Dennoch bleibt das kreative Geschäft - wie gelungen auch
immer - seltsam unbeachtet. Es trägt das Stigma des Karitativen und
Therapeutischen...
Auch unter den Schützlingen des "ART und
weise e.V." bilden Pragmatiker und Opportunisten die knappe Mehrheit.
Mit ihr ist - wie überall - relativ schwer Kunst und Staat zu machen.
Hingegen eröffnen sich in der Konzentration auf die Unangepaßten,
Uneinpaßbaren immer wieder verblüffende Perspektiven: Der späte Klee
erwacht unübersehbar auf Seite 18 unten, wo Kanne, Tasse und Elefant -
aufs Wesentlichste reduziert - von ihm grüßen. Ein vermutlich bislang
unentdeckter Kandinsky abstrahiert auf Seite 19 die nämlichen Vorgaben.
Das schrill versungene und verklungene Alphabet der Moderne wird hier
postmodern durchbuchstabiert. Von hochsensiblen Zeitgenossinnen und
-genossen zwischen sechs und zwanzig, Hoffnungsträgern hinter den
Gittern deiner und meiner Resignation und Verstiegenheit.
Jürgen Rennert
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Samstag, 14. Dezember 2013 |