Erst nach harten Kämpfen und schwersten
Verlusten auf beiden Seiten konnte Israels Armee die Angreifer
zurückdrängen. Ein Waffenstillstand erfolgte zwei Wochen nach Beginn der
Kämpfe. Nicht zuletzt die Unterstützung der USA, durch Luftaufnahmen und
neue Waffen bewahrten Israel vor einer noch größeren Katastrophe. Danach
war in Israel nichts mehr wie in der Zeit vor 1973. «Seitdem haben wir
alle 'heiligen Kühe' der israelischen Politik und Kultur eine nach der
anderen geschlachtet», meint der israelische Reserveoffzier Jossi
Laufmann. Das blinde Vertrauen vieler Israelis in ihre politische und
militärische Führung vor 1973 war nachhaltig getrübt. Die damalige
Regierungschefin
Golda Meir
und Israels Militär, allen voran der Held des Sechstage-Kriegs von 1967,
Verteidigungsminister Mosche Dajan, hatten unzählige Warnungen vor einem
bevorstehenden Krieg einfach in den Wind geschlagen und verharrten in
einem leichtsinnigen und trügerischen Gefühl der Sicherheit und
Überlegenheit.
Vom Hochgefühl der Unschlagbarkeit nach der
Eroberung von Westjordanland, Golan-Höhen und Sinai-Halbinsel im
Sechstage-Krieg fielen die Israelis dann in ein tiefes psychologisches
Loch. Viele haben sich davon bis heute nicht erholt. Die israelischen
Zeitungen sind in diesen Tagen voll persönlicher Berichten von Soldaten,
die damals eine Kriegsneurose erlitten und bis heute unter schweren
psychischen Störungen leiden.
In der arabischen Welt ist der Überfall der
Syrer und Ägypter heute ein Mythos. Der Stolz der Araber sei nach der
Erniedrigung von 1967 wiederhergestellt worden, so der damalige
ägyptische Stabschef Abdel Ghani el Gamasi. Die Unverwundbarkeit der
israelischen Armee und deren Sicherheitskonzept seien widerlegt worden.
Bis heute streiten in Ägypten Historiker und
Militärs erbittert, warum die Truppen «ihren Vormarsch stoppten». Viele
meinen, Sadat, der bereits am 7. Oktober in einem Schreiben an die
US-Führung «von einer neuen Situation in der Region» gesprochen und
einen «umfassenden Frieden in Nahost» gefordert hatte, habe sein
Kriegsziel als erfüllt angesehen: Der Krieg ebnete den Weg zum ersten
Friedensschluß zwischen Israel und Ägypten als erstem arabischen
Nachbarstaat. Das Abkommen über die Truppen-Entflechtung wurde zum
Beginn des Nahost-Friedensprozesses, der 1978 zunächst zum Abkommen von
Camp David führte. Geopolitisch entstand mit den Friedensverhandlungen
ein neues Sicherheitssystem, das den USA fortan im Nahen Osten die
wichtigste Rolle zuspielte.
Heute malen allerdings in Israel angesichts
der gefährlichen Stagnation des Nahost-Friedensprozesses viele
Kommentatoren wieder Kriegsszenarien, die dem Jom Kippur-Krieg sehr
ähneln. Daniel Bloch von der «Jerusalem Post» meint: «Wir haben keine
Lektion aus Jom Kippur gelernt und die Geschichte könnte sich durchaus
wiederholen.» Regierungschef Bibi Netanjahu erinnere fatal an Golda
Meir. «Auch sie wollte einfach nicht einsehen, daß die Zeit nicht auf
unserer Seite ist und daß wir nicht alle eroberten Gebiete für immer
behalten können, ohne einen neuen Krieg zu riskieren.»