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Süddeutsche Zeitung

Streit um das „Schwarzbuch“
Klassengenozid oder Rassengenozid – egal?

Vor den Fakten steht ein Wort

Hamburg – Die vier Diskutanten sitzen hinter Bistrotischen, die mit weißen Tüchern bedeckt sind. Die Tücher verleihen der Gruppe auf der Bühne etwas Geheimnisvolles, als würde gleich ein Zauberer erscheinen, um die Tücher in weiße Tauben zu verwandeln. Doch am Montagabend gibt es im Hamburger „Theater in der Kunsthalle“ keine Magie, sondern nur die Vorstellung eines neuen Buches in alten Kulissen.

Es ist die erste von vier Diskussionen über das „Schwarzbuch des Kommunismus“, das in Frankreich zum Bestseller wurde. Jetzt hofft der Piper-Verlag, daß es in Deutschland genauso ein Erfolg werden möge wie vor zwei Jahren Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ für den Siedler-Verlag. 100.000 ist die Startauflage des Buchses in Deutschland. Eine eingängige und auch mißverständliche Botschaft soll das breite Publikum packen und ihm zeigen, „wie aufregend und spannend Politik sein kann“. Ging es bei Goldhagen um den „speziellen Antisemitismus der Deutschen“, der den Holocaust erst möglich gemacht habe, wird jetzt in einem Vorwort des Historikers Stephane Courtois und auch in der Verlagswerbung die grausige Bilanz des Kommunismus mit der des Nationalsozialismus verglichen. So stehen auch in der Hamburger Diskussion nicht die erschütternden Fakten im Mittelpunkt, sondern die Kontroverse über den Vergleich.

Und wie in der Goldhagen-Debatte wundern sich deutsche Historiker, wie das, worüber sie jahrzehntelang geforscht haben, plötzlich von außen „als geballte Ladung“ auf den Markt kommt, als seien die Erkenntnisse „taufrisch und neu“. In Hamburg sagt der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler: „Auch wir haben doch geschrieben, daß Lenin ein Schurke war.“ Als Wehler findet, das „Schwarzbuch“-Vorwort knüpfe an die „abstrusen Thesen“ des deutschen Historikers Ernst Nolte an, der den Rassenmord der Nazis als Reaktion auf den Klassenmord der Kommunisten definiert habe, zischt es aus dem Publikum: „Ein 68er, wie er leibt und lebt!“

Der Franzose Courtois und zehn Kollegen haben das „Schwarzbuch“ geschrieben. „Die Autoren rechnen vor, daß die Vision der klassenlosen Gesellschaft 80 Millionen Tote gekostet hat, mehr als der Nationalsozialismus zu verantworten hat“, heißt es im Werbetext. Stephane Courtois ist ein freundlicher, eloquenter Mann. In der Diskussion rechnet er nichts auf, er sagt: „Es kann keine Hierarchie des Unmenschlichen geben.“

Als Courtois etwas über sein Leben erzählt, wird verständlich, warum er sich mit solcher Leidenschaft für makaber klingende Thesen schlägt wie: „Der jüdische Genozid ist nicht einzigartig. Ein Großteil der Juden wurde mit einer Kugel und nicht in den Gaskammern von Auschwitz umgebracht.“ Courtois arbeitet sich an der eigenen kommunistischen Vergangenheit ab. „Ich bin ein Mensch von links und war lange militant. Ich habe die kleine rote Mao-Bibel verkauft und Molotow-Cocktails auf eine Polizeiwache geworfen.“ In den französischen Universitäten, sagt Courtois, seien die Verbrechen der Kommunisten ein Tabu gewesen. „Was haben Sie 1968 darüber gewußt?“ fragt ihn der Publizist Jürg Altwegg. Courtois antwortet: „Nichts.“

Für Courtois sind die Kommunisten schuld daran, daß das „Schwarzbuch“ in Frankreich und nicht in Deutschland geschrieben wurde. Die Kommunisten hätten die Deutschen „manipuliert“ und ihnen wegen des Holocaust „dieses Schuldbewußtsein“ auferlegt. Das gefällt einigen im Publikum. Den meisten Applaus bekommt der Stasi-Beauftragte Joachim Gauck. Er hat für die deutsche Ausgabe des „Schwarzbuch“ einen Text über die DDR geschrieben und sagt nun, die Schicksale der Opfer bildeten die „starke Gemeinsamkeit“ aller totalitären Regime. „Honecker war weiß Gott nicht so schlimm wie Ulbricht oder Stalin. Und doch haben wir 65 gute Gründe, sein Regime abzuwählen“. Dankbar beklatschen 250 Menschen im Theater solche Sätze.

Als die Diskussion wegen der Fußballweltmeisterschaft zu Ende geht, greift eine Frau, die einer russischen Emigrantenfamilie entstammt, den Historiker Wehler an: „Sie haben die Diskussion manipuliert. Keiner erkennt in Deutschland, wie schrecklich der Kommunismus war. Daran sind die Medien schuld.“ Und da sind noch zwei Studenten, die sich gar ein neues Schwarzbuch wünschen: „Was ist mit dem Kapitalismus?“

Von Cornelia Bolesch - SZ 0698

Eine wenig befriedigende Podiumsdiskussion über „Das Schwarzbuch des Kommunismus“

Anfangs wirkte Jean-Pierre Courtois nur nett. Allenfalls wie Füchslein im Schafspelz. Als Füchslein sich selber jedoch langweilig wurde, richtete es sich kurz auf und wurde Wolf. Da aber Schafe im Publikum protestierten, zog sich Wolf gleich ängstlich zurück. Und wedelte staatstragend mit dem Schwanz: „Die Demokratie“, sagte Courtois zum Schluß der Podiumsdiskussion über „Das Schwarzbuch des Kommunismus“, die Demokratie müsse geschützt werden, dabei komme es auf die „Eigenverantwortung jedes Bürgers“ an. Wie wahr, wie richtig, wie wunderschön! Und das Publikum trottete gemütlich und nur noch ein wenig in seiner Seelenruhe belästigt nach Haus.

Gegen den Hauptteil des fast 1000 Seiten starken Schwarzbuchs des Kommunismus, der eine zahlenorientierte Erfassung der Opfer versucht, hat es bisher wenig Einwände gegeben. Es war das Vorwort von Jean-Pierre Courtois, von dem sich selbst zwei seiner Mitherausgeber distanzierten. Courtois hatte die Opfer von Kommunismus und Nationalsozialismus verglichen. Er hat die sechs Millionen anfangs der dreißiger Jahre ausgehungerten „kleinbürgerlichen“ Kulaken mit den sechs Millionen ermordeten Juden aufgerechnet. Und in Begriffen von Hannah Arendt geschlossen, daß hier der „Klassengenozid“ dem „Rassengenozid“ gleichkomme.

Noch nie, sagte Courtois jetzt im vollbesetzten Saal des Literaturhauses, habe er öffentlich gesagt, „und das wird hier in Deutschland wohl überraschen“, daß er den Nationalsozialismus, abgesehen vom Verhalten gegenüber den Juden, nur für „semi-totalitär“ halte. Es sei den Nazis, zum Beispiel, nur um „Deutschland“ gegangen, während der Kommunismus die „Weltrevolution“ gewollt habe.

Ach ja? Die angestrebte „Endlösung“ der „Judenfrage“ und die Vernichtung von sechs Millionen Juden ist ein nicht gerade nebensächlicher Vorwurf an die Nazis. Und der nicht unbedingt an Landesgrenzen orientierte Deutschland-Begriff Hitlers hat natürlich überhaupt nichts Totalitäres.

Seltsamer noch wurde Courtois, als er eine geheime Rede Himmlers, gehalten 1943 in Posen, erwähnte. Himmler sagte dort, daß die deutsche Bevölkerung die „notwendige“ Vernichtung der Juden nicht verstünde. Für Courtois ein Indiz, für den Rest eines „Bewußtseins für Moral“ bei den Nazis – während die Kulaken-Aushungerung in der Ukraine von anderen Teilen der dortigen Bevölkerung mitgetragen worden sei. Die Deutschen hingegen, wir hatten es fast schon verdrängt, hatten mit der Juden-Vernichtung natürlich nie etwas zu tun. Das waren die andern!

Als sich beim unaufgeregten Rest der Podiumsdiskutanten (Philosophie-Professor Hans Maier, BR-Journalist Johannes Grotzky, Ex-SZ-Journalist Josef Riedmiller) und im laut murrenden Publikum nun doch Widerstand regte, krebste Courtois sofort rückwärts. Man müsse „differenzieren“, sagte er. Er habe Himmler kein „moralisches Empfinden“ zugesprochen, nur eine Aufmerksamkeit für die Moral in der Bevölkerung. Womit Courtois überhaupt nichts von dem Nebensinn seiner plaudernden Oberflächlichkeit wegdifferenzierte.

Und dann noch dieses Bekenntnis zur Demokratie. Das deutlich machte, wie leicht Diskussionen über die Verbrechen des Kommunismus und des Nationalsozialismus heute zu Ausweichmanövern werden können. Sie haben etwas wunderbar Historisches. Daß die Demokratie als Staatsform schnell abgeschafft wird, glaubt keiner so leicht. Ihre zunehmende Unterhöhlung aber, durch die Dominanz „wirtschaftlicher Sachzwänge“, läßt sich beim Plaudern über das „Wesen“ des Kommunismus, wie der Historiker und Podiumsleiter Horst Möller immer wieder schön schwammig formulierte, einen Moment lang prächtig vergessen.

HANS-PETER KUNISCH - SZ 0698

haGalil onLine: Samstag, 14 Dezember 2013

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