Die Aufarbeitung der Verbrechen kroatischer Nazi-Kollaborateure dürfte
länger dauern
Direkt aus Kroatien berichtet für haGalil onLine SLW
Die stellvertretende Justizministerin Bogic
verkündete mit fester Stimme: "Dinko Sakic wird im Herbst der Prozess
gemacht". Der neuernannte Justizminister wird gemäß kroatischer Verfassung
erst am 15. Juli seinen Posten einnehmen können. Der 76-jährige, der bereits
lange Jahre unbehelligt in Argentinien lebte, wurde am 18.Juni nach Kroatien
ausgeliefert. Dr. Efraim Zuroff vom Wiesenthal Center Jerusalem übergab dem
Justizministerium Dokumente, die eindeutig Sakic konkrete Tötungen
nachweisen sollen. Der Pflichtverteidiger von Sakic Kern, stellte dies
bereits in Abrede.
Mindestens 11 Personen sind nach Angaben, die dem
STANDARD vorliegen bereit, als Zeugen auszusagen. Davon sind einige in
Belgrad zu Hause, wenige auch in Kroatien. Die Zeugen, die im heutigen
Kroatien leben, fürchten um ihre Gesundheit. Mehrere Personen ersuchten
um speziellen Schutz für die Zeugen im Prozeß gegen Sakic. Der Leiter
des ehemaligen KZ Jasenovac Sakic dürfte eine solide Anzahl von
Anhängern in Kroatien haben. Zumindest läßt die Furcht der Zeugen auf
eine gewisse Aktionsbereitschaft dieser Gruppe schließen.
Der Außenminister und auch die stellvertretende
Justizministerin versprachen alles zu tun, ein internationalen
Rechtsnormen entsprechendes Verfahren durchzuführen.
Der Prozess gegen den Kommandanten von KZ Jasenovac wäre eine einmalige
Chance für Präsident Tudjman, die Verbindungen zu den Kollaborateuren zu
kappen. Die Exilkroaten bildeten allerdings eine nicht zu übersehende
Machtclique in der HDZ. Die Sammelbewegung, die noch immer eine solide
absolute Mehrheit hat, dürfte von einer Integrationsfigur
zusammengehalten werden - Franjo Tudjman.
Der Historiker Tudjman , der schon früher durch
relativ anzweifelbaren Umgang mit Opferzahlen Aufsehen erregte, möchte
nun wieder seine Auffassung von Geschichte durchdrücken. Eine spezielle
staatliche Kommission, die dem Präsidenten direkt unterstellt ist, wurde
gegründet. Der Leiter der Kommission formulierte deren Ziel damit, die
"wahren" Opferzahlen herauszufinden. Die Zahl wurde praktischerweise
auch gleich genannt. In seinem Buch, dessen englischer Text (nicht der
kroatische!!) inzwischen geändert wurde, wollte Tudjman die Opferzahlen
des "Auschwitz des Balkans" auf 30.000 Ermordete limitieren.
Während Nationalisten wie Vuk Draskovic in Belgrad
Zahlen zwischen 700.000 und 1.2 Millionen nennen, dürfte neuesten
Erkenntnissen zufolge die Opferzahl bei etwa 85.000 liegen. Davon
dürften nach Angaben des Historikers Slavko Goldstein etwa 30.000
Serben, 15.000 Juden , 20.000 Roma, sowie 20.000 kroatische
Oppositionelle sein.
Die Ereignisse, bei denen Serben von Kroaten gleich
in der Nachbarschaft niedergemetzelt wurden, sollten in der offiziellen
kroatischen Version keinen Platz haben.
Während Historiker und Politiker streiten, darbt
Jasenovac, etwa eine Autostunde von Belgrad gelegen, dahin. Das etwa 250
km2 große Areal liegt im Grenzgebiet zwischen Kroatien und
der Republika Srpska. Im letzten Jahr verirrten sich gerade 510 Besucher
zur Gedenkstätte, in deren Zentrum eine etwa 20 Meter Große Betonblume
hervorragt. Ein Großteil der Akten, die im Archiv der Gedenkstätte sein
sollten, liegen in serbischer Hand. Die meisten Serben betrachten aber
die Bemühungen Kroatiens , sich seiner Nazi-Vergangenheit zu stellen,
mit ziemlicher Skepsis.
Diese Akten könnten auch die Schuld von Nada Sakic
beweisen, die ihrem Mann in punkto Grausamkeit nicht nachgestanden haben
soll. Die Auslieferung der Frau, die sich nun Esperanza nennt und
ebenfalls in Argentinien lebt, wird derzeit vom Wiesenthal Center nicht
forciert. Allerdings wurde Viktor Ramos, der Leiter der neuen
argentinischen Behörde INADI, bei seiner Reise nach Israel, auf N. Sakic
angesprochen. Der Fall Sakic wäre für die neugeschaffene Behörde der
erste Versuch Argentiniens, das Kapitel als Fluchthafen für Nazi-Größen
zu beenden.
Dokumente, die eindeutig die Verwicklung der Gattin
von Sakic in Tötungen belegt, wurden von Zuroff nach eigenen Angaben an
die kroatischen Behörden übergeben. Die Anklage gegen einen weiteren
mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ivo Rojnica kam ebenfalls zur Sprache.
Vizeministerin Bogic sagte dies dem STANDARD nach einem Treffen mit Dr.
Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal Centers in Jerusalem.
Sechs Tage lang bereiste Dr. Zuroff Kroatien. Er
besuchte Dubrovnik und Split, hielt mehrere vielbeachtete Vorträge,
wurde unter anderem von Außenminister Mate Granic empfangen und traf
Repräsentanten der kleinen Jüdischen Gemeinde (in ganz Kroatien leben
ca. 1100 Juden, im gesamten Ex-Jugoslawien waren es 8000).
In Split verlangte Zuroff die Änderung der nach
einem der Führer der Nazi-Kollaborateure benannten Mila Buda Straße. Dem
Wiesenthal Center ist bekannt, daß dieser die Rassengesetze der Ustasha
mitunterzeichnete. Die Erklärung, Buda wäre ein bedeutender
Schriftsteller gewesen, veranlasste Zuroff zur Frage, ob eine
Hitler-Strasse geplant wäre. Schließlich hat dieser ja auch ein Buch
geschrieben.
Die Darstellung der NHD, des Ustasha Regimes
zwischen 1941-1945, in kroatischen Schulbüchern, läßt die jetzige
Auseinandersetzung der Behörden mit diesem Teil der Vergangenheit als
eine hohle PR-Aktion aussehen. Von der Rechtmäßigkeit des Regimes ist
die Rede, sogar Tötungen erfahren eine späte Legitimierung.
Der Besuch des kroatischen Präsidenten in Israel
scheint unter den gegebenen Umständen auf unbestimmte Zeit verschoben zu
sein. Aussenminister Franic besuchte vor einigen Wochen Israel und
verlas in YAD Vashem, der zentralen Holocaust Gedenkstätte in Jerusalem
eine vielbeachtete Erklärung, in der Verantwortung des heutigen Kroatien
für die Untaten der Ustascha erkennbar war. Diese Erklärung wird von
israelischen Beobachtern als Versuchsballon für eine noch ausstehende
Rede Tudjmans gewertet. In vielen neuen Demokratien Ost-und
Mitteleuropas wird der Kontakt mit Israel als eine Brüccke zu den
US-Repräsentantenhäusern gesehen.
Gerade die Staaten, die erst mit der Aufarbeitung
der dunklen Punkte ihrer Vergangenheit bemüht sind, werden bei jüdischen
US-Organisationen gerne vorstellig. Lettland, Estland und Litauen geben
in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel ab. Kroatien wird in dieser
Hinsicht differenzierter gesehen, da demokratiepolitische Defizite im
State Department sehr genau verfolgt werden.
Das Intersse von US-Justizministerin Janet Reno am
Prozess gegen Sakic ist genauso groß wie am Fall von
Aleksandras Lileikis. Der ehemalige Leiter von SAUGUMAS, der
litauischen Sicherheitspolizei von Wilna im 2. Weltkrieg wird nach
mehreren Verschiebungen am 1.9 der Prozess gemacht. Dies wäre der erste
Nazi-Kriegsverbrecherprozess in der ehemligen Sowjetsphäre nach dem Fall
des eisernen Vorhanges.
Inzwischen gibt Kroatien Geld für eine PR-Agentur
aus, die israelischen Journalisten die Vorteile für die israelische
Wirtschaft weismachen sollte, die Waffengeschäfte mit Kroatien brächte.
So sollten z.B MIG 21 von Israel Aircraft Industries überholt werden.
Dieses Geld wäre bei der Neufassung der Schulbücher und der Herstellung
von Jasenovac als Mahnung für die Jugend vermutlich besser angelegt.
"Ich habe sehr positive Dinge gehört und bin nunmehr
überzeugt, daß die Auslieferung von Sakic für die Gesellschaft in
Kroatien wichtig war und ist. Sollte Dinko Sakic ein ordentlicher
Prozess gemacht werden, wäre dies wichtig für die Auseinandersetzung mit
der Vergangenheit, und als Warnung für die Zukunft" sagte der Nazijäger
Zuroff dem STANDARD. "Sollte dies nicht gelingen, wäre dies gleichsam
ein weiterer Sieg der Nazis in Kroatien " schloss er.