Die Zäsur und die Re-Islamisierung Libyens
als Doppelstrategie beginnt aus Sicht der libyschen Auslands-Opposition
in Kairo im Juni 1995 mit den ersten Auseinandersetzungen zwischen
libyschen Sicherheitskräften und militanten Moslems in der zweitgrößten
Stadt Bengasi. Nach den folgenden Septemberunruhen wurden Hunderte von
verdächtigen Islamisten festgenommen und die Staatskontrolle über die
Moscheen verschärft. Gaddafi beschimpfte die Moslemfanatiker als
«räudige Hunde», die ohne Prozeß getötet werden sollten.
«Mit dem harten Vorgehen gegen radikale
Moslems hat Gaddafi vor allem Sympathien im Westen sammeln wollen und
sich als Hort der Stabilität und der besseren Alternative zu einem
militanten islamischen Staat präsentieren wollen», sagt ein Mitglied der
in Kairo ansässigen oppositionellen Nationalen Rettungsfront Libyens.
«Zugleich will Gaddafi seinen Leuten mit den neuen Massenpredigten
zeigen: Ich biete Euch eine freie Religion an. Ihr braucht nicht zu den
Militanten zu gehen», sagt ein Diplomat in Tripolis, der nicht genannt
werden möchte. «Zuviel Religion kann da nie schaden.»
Auch außenpolitisch will der «Achi Akid»,
(Bruder Oberst), wie sich Gaddafi gern nennen läßt, mit der religiösen
Karte seine Stiche machen. «Massenpredigten rufen Bewunderung bei allen
Moslems hervor», sagt ein anderer Diplomat. Andererseits sollen
religiöse Feste offensichtlich immer öfter zum organisierten und
folgenlosen Bruch des seit sechs Jahren geltenden
UNO-Luftverkehrsembargos herhalten.
Nach einer Massenpredigt in Nigeria trat
Gaddafi am 1. Mai dieses Jahres vor mehr als zehntausend Gläubigen und
acht afrikanischen Staatschefs in N'Dschamena auf, der Hauptstadt
Tschads. Mit einem Autokonvoi von 315 Fahrzeugen war er ins Nachbarland
zu einer Charme- Offensive gestartet, zu der er auch Geschenke wie
Autos, Geld und Dieselgeneratoren mitbrachte. Tschads Präsident Idriss
Deby, den Gaddafi vor dessen Machtübernahme im Dezember 1990 mit Waffen
und Ausrüstung unterstützt hatte, revanchierte sich. Gemeinsam mit
Nigers Staatschef Ibrahim Barre verletzte er am 6. Juli das
UNO-Luftverkehrsembargo und flog direkt in die libysche Stadt Beida.
Gaddafi hatte mehr als 1 100 Gäste aus der
arabisch-islamischen Welt zum Geburtstag des Propheten Mohammed und
einer Massenpredigt eingeladen. Neben einer militärischen Ehrenformation
empfingen auch Hunderte von Sufis, Mitglieder islamischer
Mystiker-Orden, die Gäste auf dem Flughafen.