Freilich hat die CSU noch in einem anderen,
diesmal hochinteressanten Sinne recht. Deutschland ist kein
Einwanderungsland, weil es sich selbst und den Neuen die widrigsten
Hürden bei der Integration in den Weg stellt. Just deswegen können auch
die Gutwilligen hinterher behaupten: Es geht nicht; laßt uns zumachen.
Und das ist, gerade bei kaltem Interessenkalkül, der falsche Schluß.
Einwanderung muß aus vielerlei Gründen sein.
Vergleichen wir Amerika mit seinen zwei Millionen Immigranten (die
Hälfte illegal) mit dem Abschottungssystem Japan. Welche ist die
vitalere, die dynamischere Gesellschaft? Denken wir an das Völkergemisch
namens Deutschland: Was wäre das hochgepriesene alte Berlin ohne die
Hugenotten aus dem Westen und die Juden aus dem Osten? Ein
brandenburgisches Groß-Kaff. Einwanderer sind nicht bloß das Salz in der
Suppe, sondern das Feuer unter dem Topf. Denn es kommen die Ehrgeizigen
und Unzufriedenen, die – weil sie härter arbeiten und schneller denken
müssen – dem trägen Eintopf der Alteingesessenen neuen Dampf und
Geschmack hinzufügen. Davon hat einst Deutschland profitiert, davon
profitieren noch heute Amerika oder Israel.
Wem das zu verklärend klingt, der möge an das
Nächstliegende denken, an den Abstieg der demographischen Kurve und den
Anstieg der Rentenansprüche in Deutschland. Oder an Japan, dessen
Arbeitskräftepotential kraft Geburtenrückgang dahinschmilzt. Wir lügen
uns also in die Tasche, wenn wir wähnen: Macht zu das Tor, und es wird
alles gut.
Jedem Multi sein Kulti?
Nur: Wir tun unser Schlimmstes, um die Neuen
daran zu hindern, ihren klassischen Vorteil auszuspielen – zu unserem
wie zu ihrem Nutzen. Der Koreaner an der New Yorker West Side darf
seinen Laden rund um die Uhr offenhalten; hier muß ein Türke den seinen
spätestens um 20 Uhr schließen. Anders als in Italien, wo nun fast die
totale Gewerbefreiheit herrscht, kann ein Türke in Deutschland von Glück
reden, wenn er die Geschäftsgenehmigung erhält. Er kann seine Arbeit nur
illegal unterhalb des starren Tariflohnes verkaufen. Asylbewerber dürfen
nur im Einzelfall arbeiten – und deshalb „liegen sie uns auf der
Tasche“. Deutschland hat sich so organisiert – mit einer Vielzahl von
antikompetitiven Räumen – , daß die Neuen froh sein können, wenn sie
eine Nische finden – wie jener türkische Taxifahrer, der als
Angestellter bei seiner deutschen Gattin arbeitet, weil die viel
einfacher an den Gewerbeschein kommt.
Wir machen es den Neuen schwer und wundern
uns, daß sie „es nicht schaffen“. Aber die andere Seite, die da predigt:
Tor auf, und jedem Multi sein Kulti, macht es sich auch zu einfach.
Amerika ist hier Modell und Warnung zugleich. Das Modell heißt: Ablösung
des Staatsbürgerrechtes vom Blutsrecht. Das Privileg enthält jedoch
kräftige Pflichten. Es gilt nicht, Tacos und Tandoori aufzugeben,
sondern die „Zivilreligion“ des Landes anzunehmen: das Heiligtum der 211
Jahre alten Verfassung und das Prinzip „one nation, indivisible“, dazu
Englisch und amerikanische Geschichte. Zweit-Pässe sind Ausnahme.
Jedermann kann Amerikaner werden, muß aber feierlich schwören, es auch
zu sein. Das ist der Preis. Früher hieß er „Assimilation“, heute, nicht
ganz so rigoros, „Integration“.
Die Warnung? Die amerikanische
„Willensnation“ bröckelt; sie ist weiter auf dem Weg des
Multikulturalismus (oder gar Separatismus) vorangeschritten als jede
andere westliche Demokratie. Das sollte nicht nur eingefleischte
Nationalisten grämen, sondern auch liberale Demokraten. Denn am Ende
dieses Weges steht die „Dekonstruktion“ der Nation. Wenn jede Gruppe
ihre eigene Sprache spricht, gibt es keinen nationalen Dialog mehr. Wenn
jede nur noch sich selbst hört, gibt es keine überwölbende Verpflichtung
mehr. Schlimmstenfalls wird der Staat zur Beute der Gruppen, wo jedes
rassische, ethnische oder religiöse Kollektiv per Quote ein Maximum für
sich selbst herauszuschlagen versucht. So haben es sich Locke, Kant und
Jefferson nicht vorgestellt, als sie Liberalismus und Pluralismus
predigten.
Kreuz, Käppchen, Kopftuch
Die Amerikaner haben diese Gefahr erkannt;
selbst die „Hispanics“ pochen inzwischen auf Unterricht in Englisch,
damit ihre Kinder am „amerikanischen Traum“ (vom Ghetto ins Grüne)
teilhaben können. Auch hierzulande zeigt sich schon der Preis des
Separatismus: Türken in der zweiten und dritten Generation stehen
inzwischen schlechter da als ihre Väter (siehe den Fall „Mehmet“).
„Ja“ zur notwendigen Immigration heißt also
„Ja“ zur nicht minder notwendigen Akkulturation – nicht, um
Deutschkultur pur zu predigen, sondern um die Neuen wettbewerbsfähig zu
machen. Das impliziert eine Bringschuld für beide Seiten. „Wir“ müssen
unsere Verkrustungen schleifen, damit „Ihr“ euch nicht im Ghetto ducken
müßt. „Ihr“ müßt die Clubregeln lernen – nicht nur damit ihr
vorwärtskommt, sondern um gleichbefähigt und -berechtigt mitzuarbeiten,
auch an der nächsten Satzungsänderung. Wir wollen euch als Bürger, und
werden deshalb auch unser archaisches Nationalitätsrecht ändern, aber
ihr müßt gerade im eigenen Interesse zeigen, daß ihr Bürger werden
wollt. Döner ist wunderbar, Deutschkönnen noch besser.
Dürft „Ihr“ in der Schule auch Kopftuch
tragen? Wenn Kreuz und Käppchen rechtens sind, dann auch das Kopftuch,
sofern es nicht eine verfassungsfeindliche Haltung demonstriert. Noch
besser aber wäre neben Entkrustung von Wirtschaft und Staatsbürgerrecht
eine dritte Modernisierung: die rigorosere Trennung von Kirche und Staat
wie in Amerika und Frankreich. Wenn alle religiösen Symbole aus dem
staatlichen Raum verbannt würden, gäbe es einen unlösbaren Streit
weniger. Denn Glaubensfragen sind nicht Vernunftsfragen. Laßt uns
„unserem“ Gott in Kirche, Synagoge und Moschee huldigen, damit wir uns
um so besser im gemeinsamen Raum der Demokratie verständigen können. Und
dessen Regeln bestimmen nicht Rabbi, Imam oder Pfarrer, sondern
Grundgesetz und Verfassungsgericht.
Wir sind ein Einwanderungsland. Doch lebten
wir glücklicher mit dem Unvermeidbaren, wenn wir die Fremden zu Bürger
machten. Der Eintrittspreis? Der ist in einer liberalen Demokratie nicht
anders als im Tennisclub: Der Neue muß das Spiel beherrschen, die Regeln
respektieren und die Ziele bejahen.