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Freie Jüdische Umschau

«Gelitten, aber überlebt!»
Das Ghetto von Schanghai

Schanghai (dpa) - Die Nummer 159 in der Haimen-Straße in Schanghais Stadtteil Hongkou ist ein unscheinbares, einstöckiges Haus. Auf der schmutzig-grünen Fassade breiten sich feuchte Flecken aus, Schimmel kriecht in Mauervorsprünge, kein seltener Anblick in diesem ärmeren Viertel nördlich der Biegung des Huangpu-Flusses. Nur ein paar fast schon verblichene Schriftzüge über der Eingangstür unterscheiden die Nummer 159 von den Nachbarhäusern: «Imbiß-Stube» und «Delikatessen» steht dort.

Zwei Wörter, die an eine Zeit erinnern, als im Februar 1943 die japanische Besatzungsmacht in Hongkou ein «bestimmtes Gebiet» für «alle nach 1937 angekommenen staatenlosen Flüchtlinge» einrichtete - Der 'jüdische Wohnbezirk' von Schanghai. Hier lebten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges rund 20 000 europäische Juden, die vor den deutschen Nationalsozialisten nach China geflohen waren.

Erlkönigs Reich

Wenn Wang Faliang durch seine Heimat Hongkou geht, hat er die Bilder dieser Vergangheit immer vor Augen. «Sehen Sie die öffentliche Toilette da vorne. Früher war dort das Wiener Schuhhaus», deutet der 78jährige auf ein weißgekacheltes Gebäude an der Huoshan-Straße hin. Der Alte Wang hat zusammen mit den Juden in Hongkou gelebt. «Das Haus, in dem ich heute wohne, habe ich 1946 von einem Flüchtling gekauft, von Herrn Stein», erzählt er.

Herr Stein war ein Kollege von Wang. Gemeinsam arbeiteten sie in DD's Cafe, südlich von Hongkou. Bis zu seinem heutigen Arbeitsplatz hat es der Alte Wang nicht weit. Er ist der einzige Museumsführer in der früheren Ohel Moshè Synagoge, die mitten im ehemaligen Ghetto steht. Im zweiten Stock des Gebäudes an der Changyang-Straße 62 dokumentiert seit ein paar Jahren eine noch bescheidene Fotosammlung das Schicksal der vor allem aus Deutschland, Österreich, Italien oder der Schweiz geflohenen Juden.

Als Ende der 30er Jahre viele Staaten ihre Einreisebestimmungen verschärften, war Schanghai fast der einzige Ausweg für die Vertriebenen. Denn in der Metropole mit ihren damals 6,5 Millionen Einwohnern, mit mondänen internationalen Niederlassungen und von Chinesen übervölkerten Slums, verlangte keine Behörde ein Einreisevisum oder eine Aufenthaltserlaubnis.

Wem es gelang, nach einer vierwöchigen Passage auf einem italienischen Schiff oder einer Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn in der von Japan besetzten «Stadt über dem Meer» zu landen, der war zunächst gerettet.

Vergeblich versuchte Deutschland, das verbündete Japan von einer »Endlösung der Judenfrage» auch in Schanghai zu überzeugen. Die Besatzungsmacht war lediglich bereit, in Hongkou ein Sperrgebiet für die Flüchtlinge einzurichten.

Nur mit einer Ausnahmegenehmigung durften die Juden in anderen Teilen Schanghais arbeiten. Wer bei den japanischen Militärbehörden eine solche Erlaubnis beantragen wollte, mußte stundenlang Schlangestehen und war den Launen von General Ghoya ausgesetzt, der sich «König der Juden» nannte. Folterungen oder Ermordungen aber gab es nicht.

Das Leben im Ghetto war dennoch elend für die Emigranten, die ihr Hab und Gut auf der Flucht zurückgelassen hatten. «Wir Chinesen waren an Armut gewöhnt, wir konnten leiden. Aber für die Flüchtlinge war das sehr schwierig», sagt Wang Faliang. Mit großzügiger Hilfe alteingesessener Juden Schanghais sowie mit Unterstützung aus dem Ausland wurden in Hongkou, das bei den Angriffen der Japaner stark zerstört worden war, notdürftige Heime eingerichtet, Häuser repariert und neue gebaut.

Es fehlte an sanitären Anlagen, heißes Wasser mußte auf der Straße gekauft werden. Viele starben an Malaria oder anderen Krankheiten. Hilfskomitees verteilten warme Mahlzeiten. Wer eine Chance bekam, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, nahm jede Arbeit an. Lehrer, Professoren oder Künstler wurden zu Tellerwäschern, Kellnern oder Wachleuten. Andere hatten den Mut, eine eigene Existenz zu gründen. Friseursalons, Lebensmittelgeschäfte, Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder Buchläden wurden eröffnet, dazu viele Cafehäuser und Restaurants.

Inmitten der Not blühte ein kulturelles Leben. Es gab Theateraufführungen, Konzerte oder Lesungen, Zeitungen und Zeitschriften wurden herausgegeben. Hongkou bekam einen europäischen Charakter. «Wir nannten es damals Klein-Wien oder Klein-Berlin», erinnert sich Wang.

Auf engstem Raum lebten Chinesen und jüdische Flüchtlinge zusammen. Vor allem die Sprachbarriere trennte die beiden Gruppen. Doch Verfolgung und Not ließen sie zusammenwachsen. «Wir beiden Völker wurden damals entweder von Hitler oder von den Japanern getötet. Und beide Völker litten unter der Armut», meint der Alte Wang.

Als im Juli 1945 amerikanische Bomben beim Angriff auf einen japanischen Radiosender ihr Ziel verfehlten und in Hongkou zahlreiche Todesopfer und Verletzte  forderten, waren Chinesen und Emigranten gleichermassen betroffen.

Kurz nach der Kapitulation Japans und dem Ende des Krieges wurde das Ghetto Anfang September 1945 aufgelöst. «Die Flüchtlinge hatten Glück. Sie haben viel gelitten, aber überlebt», sagt Wang. Die Juden verließen Schanghai, wanderten weiter in die USA, nach Israel, Australien oder nach Europa.

Herr Stein verkaufte dem chinesischen Kollegen sein Haus und ging ebenfalls fort. Wohin, das weiß der Alte Wang nicht. Getroffen haben sich die beiden nie mehr.

haGalil onLine: Samstag, 14 Dezember 2013

Gal hadash baResheth

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