Dann hinein in diesen etwas anderen Ort der
Versammlung: Der Vorhang vor dem Portal, der riesige Davidstern an der
Decke suggerieren eine Synagoge, aber es ist natürlich ein Theater,
verspiegelte Räume, angeordnet um ein freies Carré in der Mitte, und in
diesen Räumen sitzen, liegen, stehen Frauen, monologisierend oder
singend. Der wandernde Zuschauer wird unwillkürlich zum Peeping Tom und
kriegt auch irgendwann den Hardcore-Porno vors Gesicht. Nur zwei Männer
bewegen sich frei und ohne Spiegelglas in einem Aufnahmestudio. Die
Sermone und wütenden Tiraden des einen, Moni Yosef, werden in die
Kabinen der Frauen übertragen: Quer hängt sein Kopf im Videomonitor,
palavernd, salbadernd, ein Chauvi-Big-Brother, der
man-weiß-nicht-was-und-wen-alles unter Kontrolle hat.
''Sechs häßliche Frauen reden über die Schönheit''
hätte das Stück ursprünglich heißen sollen; jetzt sind’s fünf (und
natürlich gar nicht häßliche), weil Smadar Yaaron, die Prima inter pares
der Gruppe, nicht mehr dabei ist. Sie plaudern aus, was sie bewegt,
reden und singen sich um Kopf und Kragen. Das ist manchmal so privat,
daß man’s in den Gesamtzusammenhang der Szenen- und Fetzen-Collage kaum
einfügen kann, und dann wieder verblüffend allgemeingültig, ein
kollektives Bekenntnis, individuell formuliert. Was machen mit dieser
Frau im grasgrünen Bademantel, die hingestreckt auf einen
gynäkologischen Stuhl schaumsprühend, stöhnend mit einer Zahnbürste
masturbiert? Auch sie in ihrer Vereinsamung ein Exempel für den neuen
Juden, die leibhaftige Verwirklichung des zionistischen Traums, von dem
auch und immer wieder die Rede ist.
Das Militär – nurmehr gut für eine Lachnummer,
entleerte symbolträchtige Rituale und verblaßte Mythen: Angelika Kisser,
mit Stahlhelm und Shorts als Soldatin verkleidet, pflanzt die Fahne mit
dem Davidstern auf, an den Mythos Masada gemahnend, und singt die
israelische Nationalhymne ''Hatikva'', was Hoffnung heißt, wo doch alle
Hoffnung dahin scheint und längst schon kein Soldat mehr auf der
legendären Festung vereidigt wird. Die anrührendste von allen, Netta
Plotzki, versucht verzweifelt zu rekonstruieren, was chronologisch vor
sich ging nach der Friedensfeier auf dem Dizengoff-Platz, als Rabin
erschossen wurde; die ihr Gedächtnis im Stich läßt, obgleich sie sich
doch unbedingt erinnern will, weil es lebenswichtig ist für sie und für
ein ganzes Volk, das seine Existenz den Gedanken eines einzigen, Herzls,
verdankt. Denn auch das wird gesagt: Ein Volk ist müde; man hat ihm
einen Premierminister erschossen. Und in all diesen Monologen, den
zionistischen Liedern, den hämmernden Schlagern klingt leise beschwörend
der Satz durch, daß man doch kein anderes, kein besseres Land habe. Aber
die Trauer, die darin steckt, kann man nicht mitempfinden.
Es ist die Crux von ''Kohelet'', daß hier ein
Regisseur und sein Theaterkollektiv das Schwierigste versuchen, nämlich
einen Ausdruck für Müdigkeit und Überdruß, für Lähmung und Resignation
zu finden. Die biblischen Begriffe von Glück, Hoffnung und Weisheit im
Visier als verlorengegangene, wollen Maayan und die Seinen zeigen: Wie
durch eine demonstrativ lautstarke Fröhlichkeit die innere Ödnis
überdröhnt werden soll. Sie sind dabei bis auf wenige Ausnahmen selbst
nur laut und dröhnend und bringen so fast drei Stunden lang die
redundante Variation der immergleichen Erkenntnis von Verlust und
Niedergang und einer abgrundtiefen Desillusionierung. Der skandierte
Wunsch ''Chag Sameach!'' (fröhlichen Feiertag!), den ein Einpeitscher
von heftigem Applaus begleitet haben will, und die im
Stroboskop-Gewitter flatternde israelische Fahne beenden schlicht und
gar nicht ergreifend ein reichlich manipulatives Spektakel.
''Man muß glücklich sein'' bleibt so eindimensional
wie sein Titel lakonisch. Die kritische, wütende Wucht, mit der Maayan
vor drei Jahren in ''Arbeit macht frei'' seine Mitbürger beäugte und
entlarvte, erscheint diesmal weitgehend als probater, gerade deshalb
hohler und wirkungsloser Theater-Effekt. Hat David Maayan vielleicht mit
einem Auge auf seine Koproduzenten geschielt, auf seine Zuschauer bei
den Wiener Festwochen, beim Weimarer Kunstfest und in München, wo
''Kohelet'' gastieren wird? Glaubte er, den Holzhammer schwingen zu
müssen, auf Wirkung spekulierend und in der Überzeugung, daß einem
nicht-israelischen, zumal historisch belasteten Publikum Subtileres und
Vielschichtigeres über die heutige Stimmung im Land notgedrungen
verschlossen bliebe? ''Kohelet'', Teil I, sieht leider ganz danach aus.
EVA-ELISABETH FISCHER / SZ 0698