antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info
haGalil onLine - http://www.hagalil.com

  

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 
Archivierte Meldungen aus den Jahren 1995 - 1999

Süddeutsche Zeitung

Wiener Festwochen:
Es herrscht Trauer im Land

Selbstüberredung zum Glück:
'Kohelet' - David Maayans Theaterprojekt aus Akko

In Erinnerung an ''Arbeit macht frei in Toidtland Europa'' begab man sich, gefaßt auf stärksten Tobak und gnadenlose Konfrontation mit unliebsamen Tatsachen, voll ängstlicher Neugier in die Halle 6 der Filmstudios am Wiener Rosenhügel. Herzl, Buber, Rabin; Frauen, Sex und Schlager – was sich der israelische Regisseur David Maayan vom Theaterzentrum Akko anläßlich des 50. Staatsgründungsjubiläums hat einfallen lassen, könnte disparater nicht sein. Vielversprechend legte er dem ersten Teil seines jüngsten Projektes das ''Buch der Versammler / Kohelet / Der Prediger Salomo'' zugrunde und verpaßte ihm den lapidar-fordernden Titel ''Man muß glücklich sein''. Oh ja, man hatte die Texte noch kurz überfliegen können, nach einer gespielten Sicherheitsüberprüfung wie sonst nur auf dem Ben-Gurion-Flughafen zu erleben; ließ die Augen also flugs fliegen über den herrlichen Psalm von der Frist, die es für jedes und alles gebe, fürs Lieben etwa und fürs Töten; und über die Predigtauszüge aus der Bibel, welche Glück, Hoffnung und Weisheit zu Geboten machen.

Dann hinein in diesen etwas anderen Ort der Versammlung: Der Vorhang vor dem Portal, der riesige Davidstern an der Decke suggerieren eine Synagoge, aber es ist natürlich ein Theater, verspiegelte Räume, angeordnet um ein freies Carré in der Mitte, und in diesen Räumen sitzen, liegen, stehen Frauen, monologisierend oder singend. Der wandernde Zuschauer wird unwillkürlich zum Peeping Tom und kriegt auch irgendwann den Hardcore-Porno vors Gesicht. Nur zwei Männer bewegen sich frei und ohne Spiegelglas in einem Aufnahmestudio. Die Sermone und wütenden Tiraden des einen, Moni Yosef, werden in die Kabinen der Frauen übertragen: Quer hängt sein Kopf im Videomonitor, palavernd, salbadernd, ein Chauvi-Big-Brother, der man-weiß-nicht-was-und-wen-alles unter Kontrolle hat.

''Sechs häßliche Frauen reden über die Schönheit'' hätte das Stück ursprünglich heißen sollen; jetzt sind’s fünf (und natürlich gar nicht häßliche), weil Smadar Yaaron, die Prima inter pares der Gruppe, nicht mehr dabei ist. Sie plaudern aus, was sie bewegt, reden und singen sich um Kopf und Kragen. Das ist manchmal so privat, daß man’s in den Gesamtzusammenhang der Szenen- und Fetzen-Collage kaum einfügen kann, und dann wieder verblüffend allgemeingültig, ein kollektives Bekenntnis, individuell formuliert. Was machen mit dieser Frau im grasgrünen Bademantel, die hingestreckt auf einen gynäkologischen Stuhl schaumsprühend, stöhnend mit einer Zahnbürste masturbiert? Auch sie in ihrer Vereinsamung ein Exempel für den neuen Juden, die leibhaftige Verwirklichung des zionistischen Traums, von dem auch und immer wieder die Rede ist.

Das Militär – nurmehr gut für eine Lachnummer, entleerte symbolträchtige Rituale und verblaßte Mythen: Angelika Kisser, mit Stahlhelm und Shorts als Soldatin verkleidet, pflanzt die Fahne mit dem Davidstern auf, an den Mythos Masada gemahnend, und singt die israelische Nationalhymne ''Hatikva'', was Hoffnung heißt, wo doch alle Hoffnung dahin scheint und längst schon kein Soldat mehr auf der legendären Festung vereidigt wird. Die anrührendste von allen, Netta Plotzki, versucht verzweifelt zu rekonstruieren, was chronologisch vor sich ging nach der Friedensfeier auf dem Dizengoff-Platz, als Rabin erschossen wurde; die ihr Gedächtnis im Stich läßt, obgleich sie sich doch unbedingt erinnern will, weil es lebenswichtig ist für sie und für ein ganzes Volk, das seine Existenz den Gedanken eines einzigen, Herzls, verdankt. Denn auch das wird gesagt: Ein Volk ist müde; man hat ihm einen Premierminister erschossen. Und in all diesen Monologen, den zionistischen Liedern, den hämmernden Schlagern klingt leise beschwörend der Satz durch, daß man doch kein anderes, kein besseres Land habe. Aber die Trauer, die darin steckt, kann man nicht mitempfinden.

Es ist die Crux von ''Kohelet'', daß hier ein Regisseur und sein Theaterkollektiv das Schwierigste versuchen, nämlich einen Ausdruck für Müdigkeit und Überdruß, für Lähmung und Resignation zu finden. Die biblischen Begriffe von Glück, Hoffnung und Weisheit im Visier als verlorengegangene, wollen Maayan und die Seinen zeigen: Wie durch eine demonstrativ lautstarke Fröhlichkeit die innere Ödnis überdröhnt werden soll. Sie sind dabei bis auf wenige Ausnahmen selbst nur laut und dröhnend und bringen so fast drei Stunden lang die redundante Variation der immergleichen Erkenntnis von Verlust und Niedergang und einer abgrundtiefen Desillusionierung. Der skandierte Wunsch ''Chag Sameach!'' (fröhlichen Feiertag!), den ein Einpeitscher von heftigem Applaus begleitet haben will, und die im Stroboskop-Gewitter flatternde israelische Fahne beenden schlicht und gar nicht ergreifend ein reichlich manipulatives Spektakel.

''Man muß glücklich sein'' bleibt so eindimensional wie sein Titel lakonisch. Die kritische, wütende Wucht, mit der Maayan vor drei Jahren in ''Arbeit macht frei'' seine Mitbürger beäugte und entlarvte, erscheint diesmal weitgehend als probater, gerade deshalb hohler und wirkungsloser Theater-Effekt. Hat David Maayan vielleicht mit einem Auge auf seine Koproduzenten geschielt, auf seine Zuschauer bei den Wiener Festwochen, beim Weimarer Kunstfest und in München, wo ''Kohelet'' gastieren wird? Glaubte er, den Holzhammer schwingen zu müssen, auf Wirkung spekulierend und in der Überzeugung, daß einem nicht-israelischen, zumal historisch belasteten Publikum Subtileres und Vielschichtigeres über die heutige Stimmung im Land notgedrungen verschlossen bliebe? ''Kohelet'', Teil I, sieht leider ganz danach aus.

EVA-ELISABETH FISCHER / SZ 0698

haGalil onLine: Samstag, 14 Dezember 2013

Gal hadash baResheth

  • Wenn Sie Ihre Meinung äußern möchten: Bitte melden Sie sich im Offenen Forum zu Wort!

A Jewish Sign from Germany: www.hagalil.com

Freie Rundschau Mitteleuropa

Die hier archivierten Artikel stammen aus den "Anfangsjahren" der breiten Nutzung des Internet. Damals waren die gestalterischen Möglichkeiten noch etwas ursprünglicher als heute. Wir haben die Artikel jedoch weiterhin archiviert, da die Informationen durchaus noch interessant sein können, u..a. auch zu Dokumentationszwecken.


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!
haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved