Mit den Wahlen zum sachsen-anhaltinischen Landtag
ist zugleich die schöne neue Welt der Individualisierungstheoretiker,
Zivilgesellschaftler und Globalisierungsfreunde zusammengebrochen. Die
13% für die DVU lassen sie als die Ideologen sichtbar werden, die sie
immer schon waren. Die soziale Wirklichkeit hat sich zurückgemeldet und
trägt die häßliche Fratze des Rassismus. Das Menetekel an der Wand
leuchtet auf, wird es die politische Klasse Deutschlands richtig
entziffern?
Am wenigsten dramatisch ist das Ergebnis noch für
Bündnis 90/ Die Grünen. Es hat lediglich beglaubigt, was in den anderen
Ostländern seit Jahren der Fall war. Bündnis 90/Die Grünen waren und
sind die einzige bundesrepublikanische Partei ohne Wurzeln in der
Weimarer Republik - wie sollte sie in der ehemaligen DDR Fuß fassen?
Einiger Bürgerrechtler wegen, von denen jede andere Partei,
einschließlich der PDS, genug aufzuweisen hat? Es war Charles de Gaulle,
der 1958 die Algerienfranzosen mit seinem berühmten "Ich verstehe euch"
für sich gewann. Der Magdeburger Beschluß zum Benzinpreis indes war -
bezogen auf die kleinen Leute nicht nur im Osten - die genaue Umkehrung
dieser Botschaft: "Wir verstehen euch nicht und haben das auch in
Zukunft nicht vor." Mit Magdeburg haben sich die Bündnisgrünen, allen
noch so brillanten Konzepten zum Trotz, aus einer Sozialpolitik
abgemeldet, die auch auf den Gängen von Arbeitsämtern verstanden wird.
Im übrigen sind die Bündnisgrünen auch nicht im gleichen Maße
Regionalpartei des Westens, wie die PDS Regionalpartei des Ostens ist.
Hätten die Bündnisgrünen in Westdeutschland 20 Prozent der Stimmen -
dies Land sähe wahrlich anders aus.
Die PDS freilich steht vor einer Bewährungsprobe.
Auf sie kommt - der hochtrabende Ausdruck trifft diesmal zu - eine
erhebliche staatspolitische Verantwortung zu. Da der bisher erstaunlich
standhafte Reinhard Höppner schließlich dem Druck aus Bonn erliegen und
von einer Minderheitsregierung absehen wird, kommt auf die PDS die Rolle
von "Her majesties opposition" zu. Die PDS, deren Kurs von den Wählern
bestätigt wurde, hat das Kunststück zu vollbringen, einerseits loyal und
konstruktiv zu opponieren sowie andererseits aus der Opposition heraus
die DVU kompromißlos zu bekämpfen und mindestens einen Teil ihrer Wähler
zu sich herüberzuziehen. Sie wird diese schwierige Aufgabe unter den
argwöhnischen Augen von Journalisten zu lösen haben, die zu Recht den
hohen Anteil ehemaliger Kader der despotischen SED kritisieren, aber zu
Unrecht mit den Begriffen einer noch nie überzeugenden
Totalitarismustheorie hantieren. Sollte die PDS diese Aufgabe
erfolgreich bewältigen, dürfte ihr das demokratische Gütesiegel nicht
mehr verweigert werden. Reinhard Höppner jedenfalls denkt in dieser
Richtung, wenn er gestern im Morgenmagazin des Fernsehens sagte, daß es
"diesmal mit der PDS keine schriftliche Abmachung geben" werde.
Sachsen-Anhalt ist alles andere als repräsentativ
für die Bundesrepublik im ganzen, aber vielleicht typisch für ganz
Ostdeutschland. Dann aber gilt, daß mindestens im Osten für einen
liberalen Kapitalismus keine strukturelle Mehrheit existiert und auch
eine sich als "sozial" gerierende Marktwirtschaft erheblichen Zweifeln
ausgesetzt ist. Die vorerst nur im Osten bestehende, flächendeckende
antikapitalistische Stimmung beschert der an die Regierung drängenden
SPD im Bund ein Problem. Wenn die älteste Partei der Arbeiterbewegung -
so Gerhard Schröder voller Stolz - derzeit mit dem
"marktwirtschaftlichsten" Programm ihrer Geschichte antritt, wird sie
die Hoffnungen in kürzester Zeit enttäuschen. In Sachsen-Anhalt ist klar
geworden, daß die Demokratie dann gefährdet ist, wenn der demokratische
Sozialstaat seine Verheißungen mittelfristig nicht einlösen kann. Mit
Mittelstandsförderung, Steuerentlastung und Lob der "Leistungsbereiten"
werden sich die dringend benötigten Arbeitsplätze nicht schaffen lassen.
Das weit bis in die Linke verbreitete Gerede vom Tod des Keynesianismus
sollte daher noch einmal überdacht werden, der Blick sich eher auf
Frankreich denn auf die angelsächsischen Länder richten.
Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Faschismus
in Westeuropa stehen mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs mit Jörg Haider in Österreich, Gianfranco Fini in Italien und
Jean-Marie Le Pen in Frankreich alles in allem nicht schlecht da und
haben die mit EU und Euro einhergehenden, sie begünstigenden Krisen noch
vor sich.
Sachsen-Anhalt hat erstmals an den Wahlurnen, nicht
nur in Umfragen bewiesen, daß das entsprechend große Wählerpotential
auch in Deutschland bereitsteht und erschreckend einfach abgerufen
werden kann. Daß es vor allem junge Männer waren, die entsprechend
votiert haben, verweist auf das Zukunftspotential dieser Kräfte. Die
umfassende Verbreitung von aggressiver Fremdenfeindlichkeit als normaler
Jugendkultur in ganz Ostdeutschland sowie der erstaunliche
Wiederaufstieg der NPD zeigen zudem, daß es sich nicht um beliebig
auswechselbare Stimmungen, sondern um im Alltagsleben tief verankerte
Mentalität handelt. Mit kurzfristigen Finanzspritzen wird nichts zu
erreichen sein.
Derzeit ist der deutsche Rechtsextremismus zerrissen
und in sich gespalten. Die Geschichtsrevisionisten des Gerhard Frey, die
Wohlstandschauvinisten der baden- württembergischen "Republikaner", die
jungen Faschisten der ostdeutschen NPD und die nationalliberalen
Grüppchen um Ernst Kappel oder Manfred Brunner sind einander zwar in
Fremdenfeindlichkeit verbunden, aber in Eifersüchteleien und heftiger
Rivalität voneinander getrennt. Darauf zu vertrauen, daß das immer so
bleibt, ist mehr als fahrlässig.
Micha Brumlik / Gastkommentar in der TAZ vom
28.04.1998