Israel und Deutschland:
Vorsichtige Annäherung an die Normalität
Bonn (dpa) - Für den israelischen Botschafter in Bonn, Avi
Primor, steht fest: «Deutschland ist neben den USA für uns der wichtigste
Partner.» Denn Israels wirtschaftliche Zukunft liege in Europa, und dort
hätten die Deutschen ein entscheidendes Wort. Im Herbst vergangenen Jahres
hatte Primor seinen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gewarnt, Israel
sei dabei, wegen seines Verhaltens in den palästinensischen Gebieten seinen
letzten Freund zu verlieren.
Der Premier eilte zweimal nach Bonn, um sich Bundeskanzler
Helmut Kohls weitere Unterstützung zu sichern. Da hatte Bonn schon ein
Warnsignal gesetzt: Im Gegensatz zu vorangegangenen Stimmenthaltungen
votierte Deutschland in der UNO-Vollversammlung erstmals für die
Verurteilung Israels wegen des Siedlungsbaus in Ost-Jerusalem.
50 Jahre nach Gründung des jüdischen Staates und 33 Jahre
nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen nähert sich das schwierige
deutsch-israelische Verhältnis äußerlich der Normalität. Eine vollständige
Normalität, vergleichbar dem Umgang mit Großbritannien oder Frankreich, ist
nach dem millionenfachen Judenmord der Nazis eine Frage von Generationen -
darin sind sich Politiker und Wissenschaftler beider Länder einig. Das wurde
auch in der neuen «Holocaust»-Diskussion in beiden Ländern deutlich: «Es
gibt keine offene Wunde mehr, aber die Narbe schmerzt noch immer», sagt Avi
Primor, der als erster Botschafter seines Landes einen Sohn auf eine
deutsche Schule schickt. Israel fühlt sich berechtigt, von Bonn besondere
Solidarität einzufordern.
Für die Regierung und das Parlament haben die Pflege der
Beziehungen, die Sicherheit Israels, das Eintreten für seine berechtigten
Interessen den Rang eines ungeschriebenen Verfassungsartikels. Der deutsche
Außenminister Klaus Kinkel hat mehrfach verhindert, daß die EU im
Zusammenhang mit Israels Vorgehen gegen die Palästinenser und dem
völkerrechtswidrigen Siedlungsbau Sanktionen verhängte. In der UNO gab er
lange der Unterstützung Israels den Vorrang vor der Demonstration
außenpolitischer Gemeinsamkeit der EU. Bei seinem vergangenen Israel-Besuch
«krachte» es nach Angaben von Teilnehmern hinter verschlossenen Türen, aber
nach außen enthielt sich Kinkel jeder Kritik: «Wir sind die letzten, die
hier Ratschläge geben könnten.»
Es war ein langer und steiniger Weg von der Aufnahme
deutscher Wiedergutmachungsleistungen 1952 über das Anlaufen deutscher
Waffenlieferungen 1960 und dem Austausch von Botschaftern 1965 bis zur
relativen Normalität der Gegenwart: Nachdem die USA Deutschland 1952, mit
der Auflage einen Ausgleich mit Israel zu suchen, einen großen Schuldenerlaß
gewährt hatten, entschloß sich die Regierung Adenauer zu einer ersten
Zahlung von ca. 3 Milliarden Mark. Die Rückzahlungen belaufen sich
inzwischen auf über hundert Milliarden Mark.
Am Anfang standen als «Gründerväter» eines neuen Umgangs
zwischen Deutschen und Juden David Ben Gurion und Konrad Adenauer. Die
folgende Entwicklung war gekennzeichnet durch Fortschritte - wie etwa den
langsam anlaufenden gegenseitigen Besuchen von Regierungschefs und
Präsidenten - und Rückschläge. Likud-Premier Menachem Begin sorgte mit
harten Tönen gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt für eine Phase
der Sprachlosigkeit.
Der Gedanke an die Wiedervereinigung Deutschlands löste in
Israel massive Befürchtungen und Ängste aus. Israels Konflikt mit den
Arabern und die deutsch-jüdische Vergangenheit stellten die Beziehungen
immer wieder auf die Probe. Fremdenfeindliche und anti-jüdische
Ausschreitungen in Deutschland weckten in Israel Empörung und Unruhe. Doch
unterhalb der politischen Ebene gingen Deutsche und Israels kontinuierlich
aufeinander zu. Millionen von Touristen machten sich ein eigenes Bild beim
jeweils anderen schwierigen Partner. Seit 1970 nahmen mehr als zwei
Millionen junge Deutsche und Israelis an dem von beiden Regierungen
gepflegten Jugendaustausch teil. Fast 80 Städte unterhalten Partnerschaften.
In Wissenschaft und Forschung gibt es eine ebenso privilegierte
Zusammenarbeit wie etwa im Militärischen. Der Handel hat ein Volumen von
mehr als sechs Milliarden Mark. Jährlich fließen noch 80 Millionen Mark
Entwicklungshilfe in die einzige nahöstliche Demokratie.
In jüngster Zeit erhellten zwei Äußerungen israelischer
Politiker die Zwiespältigkeit des Verhältnisses. Am 16. Januar 1996 empfahl
Präsident Eser Weizman in einer bewegenden Rede vor dem deutschen Parlament,
in der das Wort «Normalität» nicht fiel, den 60 000 Juden in Deutschland die
Auswanderung nach Israel. Sechs Tage später sagte der damalige
Ministerpräsident Schimon Peres zur Überraschung Bonns, deutsche Soldaten
wären als Teil einer UNO-Friedentruppe auf den Golanhöhen willkommen.
Lesen Sie zum Deutsch-Israelischen Verhältnis:
'...mit Ausnahme Deutschlands!' von
Botschafter Avi Primor.
03-98 |