Prag (dpa) - «Heute ist ein
historischer Tag für unser Land», faßte Tomas Kafka am Mittwoch die
Gefühle vieler Tschechen zusammen. Soeben hatte das tschechische
Verwaltungsratsmitglied des deutsch- tschechischen Zukunftsfonds in Prag
die erste Rate in Höhe von 11,65 Millionen Mark zur Entschädigung der
etwa 7 000 tschechischen Holocaust-Opfer freigegeben.
Je nach Länge ihres Aufenthalts in deutschen Lagern
erhalten sie in den nächsten Wochen zwischen 30 000 und 50 000 Kronen.
Das Wort «Entschädigung» gebrauche er nur ungern, denn das klinge ihm zu
sehr nach Vergangenheit, sagte Kafka. «Und der Zukunftsfond will ja
genau das Gegenteil - die Menschen mitnehmen auf dem Weg Tschechiens
nach Europa», erklärte der Diplomat.
Zur gleichen Zeit hatte das Abgeordnetenhaus in Prag
mit großer Mehrheit für den Beitritt das Landes zur NATO gestimmt. Als
die Anzeigetafel im Plenarsaal das Ergebnis «154 zu 38 Stimmen» zeigte,
jubelte Außenminister Jaroslav Sedivy: «Wir haben eine historische
Chance genutzt.» Und auch der deutsche Außenminister Klaus Kinkel
würdigte in Bonn das Ergebnis: «Deutsche und Tschechen teilen heute eine
gemeinsame Zukunftsvision.»
Der 15. April 1998 sei der bedeutendste Tag
Tschechiens seit der «Sanften Revolution» 1989, urteilte eine Hörerin am
Mittwoch im tschechischen Rundfunk. Sie sei über 70 Jahre alt, und immer
habe ihr die jeweilige Regierung in Prag eine Bedrohung eingeredet.
«Seit dem 'Münchener Abkommen' 1938 war die Tschechoslowakei ständig im
Krieg gegen irgend jemanden und irgendetwas. Seit heute haben wir - nach
60 Jahren - endlich Frieden.»
Ausdrücklich dankte die Frau dem tschechischen
Präsidenten Vaclav Havel für seinen Einsatz. Seine Popularität und
Glaubwürdigkeit habe Tschechien in die erste NATO-Beitrittswelle kommen
lassen. Und auch im Parlament würdigte man die gelungene Abstimmung als
Ergebnis von Havels innenpolitischen Versöhnungsbemühungen zwischen
Gegnern und Befürwortern des Beitritts.
Der 61jährige war am Mittwoch trotz der Folgen einer
mehr als dreistündigen Notoperation am Dickdarm in der Lage, den
historischen Moment seines Landes kurz zu erfassen. «Das Parlament hat
sich ins Geschichtsbuch unseres Landes eingeschrieben», sagte Havel im
Universitätskrankenhaus Innsbruck. Gerade sein Gesundheitszustand werfe
jedoch einen Schatten auf diesen Tag, kommentierte ein Sprecher im
Radio.
Denn es sei an der Zeit, die Frage nach einem
Nachfolger für Havel zu stellen. Zu lange schon habe die politische
Szene Tschechiens alle Entscheidungen ihm überlassen und ihn
anschließend kritisiert. «Als das Wort vom 'kritischen Zustand' des
Präsidenten fiel, kam wohl jedem in den Sinn: Was wäre, wenn...,»
zitierte er einen Kommentar der Tageszeitung «Lidove noviny» vom
Mittwoch.
Mit der Entschädigung der Holocaust-Opfer und der
Zustimmung zur NATO habe Havel seinem Land zu einer neuen Zukunft
verholfen. Nun müsse Tschechien sich revanchieren, sagte der
Rundfunksprecher. «Unser System war 1989 krank, und Vaclav Havel hat
sich stets darum gekümmert. Seit heute sind wir auf dem Weg der
Besserung, und wir können einiges dafür tun, daß es auch Vaclav Havel
besser geht - zum Beispiel, selbst mehr zu tun.»
Hierzu sei uns eine Anmerkung gestattet:
Zum
Zukunftsfond im besonderen und zur 'Wiedergutmachung' im allgemeinen
Bisher hat die BRD keinen Schadensersatz
für die in der Tschechischen Republik verübten Verbrechen geleistet. 53
Jahre nach Kriegsende soll nun zügig und grosszügig den - noch lebenden
- Opfern eine Erleichterung zukommen. Nach zähen Verhandlungen einigten
sich Bonn und Prag auf den sogenannten Deutsch-Tschechischen
Zukunftsfond.