London (dpa) - Unfaire
Gerichtsverfahren in vielen Ländern im Nahen Osten und in Nordafrika hat
Amnesty International angeprangert. In der gesamten Region «müssen
politische Gefangene oder Gefangene aus Gewissensgründen nach
Scheinverfahren und -urteilen in Gefängnissen dahinsiechen oder auf
Hinrichtungen warten», kritisiert die Menschenrechtsorganisation in
einem am Donnerstag in London veröffentlichten Bericht.
Oft sähen Staaten entgegen ihrer Verpflichtung in
internationalen Menschenrechtsverträgen untätig zu oder ermutigten
unfaire Verfahren sogar. Nach Einschätzung von Amnesty wird dadurch auch
außerhalb der Gerichtssäle anderen Menschenrechtsverstößen wie
willkürlichen Verhaftungen und Folter Vorschub geleistet. «Wenn das
Justizsystem nicht seine kontrollierende Rolle gegen Mißbrauch von
Autorität ausübt, wissen Polizisten und Gefängnisaufseher, daß sie ihre
Macht ungestraft mißbrauchen können», heißt es in dem Bericht.
«In Saudi-Arabien und
Libyen
werden Hunderte von Menschen, die vor Jahren willkürlich verhaftet wurden,
immer noch ohne Prozeß festgehalten - in einigen Fällen in Libyen bis zu
15 Jahren», kritisiert die Organisation an. In Saudi-Arabien werde
jenen, die ein Verfahren bekommen, jeglicher Zugang zu Anwälten
verweigert.
In Algerien klagt Amnesty das
«Verschwinden» von Tausenden von Menschen an, die von den
Sicherheitskräften festgenommen und an geheimen Orten eingesperrt worden
seien. In Tunesien seien mehr als 270 bei Massenprozessen von
Militärgerichten verurteilte Menschen gefoltert worden. In
Ägypten sei im Mai 1996 das Komitee gegen Folter zu dem
Ergebnis gekommen, daß Folter eine alltägliche Erscheinung sei.
In Ländern wie Bahrain, Libanon, Syrien
und Tunesien
wurden Frauen laut Amnesty durch Drohungen, sexuelle Belästigungen und
andere Qualen zu Aussagen gegen ihre politisch aktiven Ehemänner oder
Brüder gezwungen. Sonder- oder Militärgerichte beständen seit Jahren und
Jahrzehnten in Iran, Irak und
Israel mit den besetzten Gebieten, obwohl sie im
Völkerrecht nur in Ausnahmefällen und für kurze Zeiträume zugelassen
seien.
In Israel und den besetzten Gebieten hebt Amnesty
das Schicksal des Palästinensers Ahmed
Qatamesh hervor, der seit 1993 ohne Anklage und Prozeß
hinter Gittern gesessen und auf richterliche Anordnung erst jetzt, am
Tag vor Veröffentlichung des Berichts, auf freien Fuß gesetzt worden
sei.