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Elendsrente für Juden zweiter Klasse

Jüdische NS-Opfer in Polen wehren sich gegen geringe Entschädigungen aus Bonn

Gabriele Lesser

"Wir fahren nach Berlin! Direkt zum Denkmalsplatz für die ermordeten Juden Europas. Und da demonstrieren wir dann! Wir müssen zeigen, daß wir noch leben!" Im Warschauer Jüdischen Gemeindehaus bricht fast ein Tumult aus.

Die Stimmen überschlagen sich: "Nach Berlin? Niemals! Ins Land der Mörder fahre ich nicht." Stühlerücken, einige wollen gehen. "Ruhe!", Arnold Mostowicz, der Vorsitzende des Verbandes der jüdischen Kriegsveteranen und Verfolgten des Naziregimes, beruhigt die aufgebrachte Runde. "Wir müssen ja nicht alle fahren. Nur die, die sich trauen."

Eine kleine Frau mit stark zerfurchtem Gesicht ironisiert: "Und dann müssen uns die Polizisten vom Platz tragen, weil wir den Baubeginn stören. Und im Fernsehen werden die Deutschen die toten Juden vor den lebenden Juden verteidigen. Das Bild geht sicher um die Welt."

Füßescharren. Einige atmen tief durch. Der Gedanke, als ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter nach Berlin zu fahren, um dort für eine Entschädigung zu demonstrieren, läßt in den meisten ein Gefühl von Angst, ja Entsetzen aufsteigen. "Wie sollen wir denn da hinfahren? Im Viehwaggon vielleicht? Wie damals? Das kann ich nicht. Nicht noch einmal!" Ein Hüne von einem Mann legt der zitternden Greisin einen Mantel um die Schultern. Seine Stimme klingt, als käme sie bereits aus einer anderen Welt, brüchig und erschöpft: "Wir sind nicht mehr zwanzig," gibt er zu bedenken. "Ein solches Abenteuer wäre für manch einen von uns zuviel." Arnold Mostowicz sieht von einem zum anderen. Dann senkt er den Blick: "Es ist unsere letzte Chance.", murmelt er leise, fast schon resigniert.

Ein quirliges Männchen drängt sich nach vorne: "Jesus, Maria!", ruft er wie im heiligen Zorne. Die eben noch so Aufgebrachten lächeln verhalten amüsiert. "Ihr müßt euch das ganz anders vorstellen! Wir wollen eine Rente haben. Eine Entschädigung, die diesen Namen auch verdient. Wenn wir in Deutschland alle tot aus dem Zug fallen, brauchen wir erst gar nicht hinzufahren." Er holt tief Luft. In seinen Augen blitzt so etwas wie Lust an der Provokation: "Wir müssen einen richtigen Medienspektakel inszenieren. Stellt euch doch mal vor: Wir stehen auf dem Denkmalsplatz für die ermordeten Juden Europas und halten Plakate und Transparente hoch: "Wir leben noch!". Oder "Ihr habt uns vergessen". Da müssen die Deutschen einfach reagieren.!"

Die Diskussion dauert zwei Stunden. In dem kleinen Raum wird die Luft stickig. Jemand öffnet das Fenster. Der Wind trägt den verhangenen Klang eines Schabbatliedes in die sich ausbreitende Stille. Einen Stock tiefer, im Kindergarten, üben die jüngsten Juden Polens ein neues Lied ein.

Seit Jahren beobachten die in Osteuropa lebenden Juden, wie die Deutschen immer mehr Geld für "künstlerische Wettbewerbe" zum "richtigen" Gedenken an den Holocaust ausgeben. Von den Denkmälern und auch von dem Berliner "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" haben sie jedoch nichts. Die kleinen Summen, die sie in den letzten Jahren über sogenannte Versöhnungsstiftungen erhalten haben, sind beschämend gering. Im Durchschnitt sind es einmalige Zahlungen in Höhe von 500 bis 1.000 Mark. Damit sind drei bis vier Jahre Zwangsarbeit abgegolten, oder auch ein zerstörtes Leben im Ghetto oder Konzentrationslager.

Die Bundesregierung nennt diese Minimalzahlungen eine "Geste des guten Willens". Erst auf politischen Druck aus Amerika hin will sie nun auch den noch lebenden Opfern in Osteuropa die Hand reichen. Doch keineswegs allen. Die Politiker, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit bekennen, die "Lektion aus Auschwitz" gelernt zu haben, wollen auch über 50 Jahre nach dem Holocaust am Prinzip der Selektion festhalten. Das System ist nach wie vor raffiniert: Die Bundesregierung unterscheidet zwischen Juden der A- und B-Klasse, die A-Juden leben im Westen und bekommen seit Jahren eine kleine Rente, die B-Juden leben im Osten Europas und konnten bislang mit lächerlich niedrigen Einmalzahlungen abgespeist werden.

Ein Anspruch auf Entschädigung bestand nicht, da die kommunistischen Regierungen im Namen ihrer Staatsbürger darauf verzichtet hatten. Lediglich die sogenannten "Mengele-Opfer", die pseudo-medizinische Versuche über sich ergehen lassen mußten, erhielten eine individuelle Entschädigung. Noch in diesem Monat soll es nun zwischen der Jewish Claims Conference, die die Interessen der Juden in Osteuropa vertritt, und der Bundesregierung zu einer Einigung kommen. Auch die B-Juden sollen nun eine Entschädigung bekommen, allerdings in niedrigerer Höhe als im Westen. Die in Polen lebenden Juden sehen dem Ergebnis der Verhandlungen mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn wieder einmal sind sie an den Verhandlungen nicht beteiligt. Wie hoch am Ende die Rente ausfallen wird, entscheiden andere für sie.

Weder Kanzleramtsminister Friedrich Bohl noch die Jewish Claims Conference hielten es für nötig, die polnischen Juden auch nur über das "Angebot" der Bundesregierung zu informieren. Dennoch sickerten die Zahlen in Polen durch: anders als im Westen soll es nicht 500 Mark im Monat geben, sondern nur 250 Mark. Die ohnehin schon kleinere Rente soll nicht bis ans Lebensende, sondern nur vier Jahre lang ausgezahlt werden. Und auch die Einmalzahlung von 5.000 Mark soll es nicht geben. Arnold Mostowicz, der das Ghetto "Litzmannstadt" (polnisch Lodz) und das Konzentrationslager Auschwitz überlebte, stellt sarkastisch fest: "Das ist ganz klar eine Diskriminierung der polnischen Juden. Polacken mochten die Deutschen noch nie. Und wir sind eben Juden und Polacken." Jakub Gutenbaum, der die Gesellschaft der Kinder des Holocaust leitet, und Arnold Mostowicz als Bevollmächtiger aller Juden Polens für Entschädigungsfragen, hatten an den Verhandlungen teilnehmen wollen. Doch aus dem Kanzleramt kam nicht einmal eine Antwort.

Der 84jährige regt sich nicht nur über die niedrigeren Renten auf, sondern überhaupt über die deutsche Definition der Opfer: "Wenn die Bundesregierung und die Claims Conference dieselben Kriterien für jüdische NS-Opfer in Polen wie im Westen zugrundelegen", so Mostowicz, "dann können in ganz Polen gerade mal eintausendundsechzig Personen auf eine Entschädigung hoffen. Juden, die vor den Nazis aus Polen in die Sowjetunion geflohen sind, sind laut deutscher Definition keine Opfer. Dabei haben viele von ihnen ihre Familien und oft auch ihr ganzes Vermögen verloren. Von der Verschleppung nach Sibirien ganz zu schweigen!"

Nicht nur die Juden in Polen klagen über die Ungleichbehandlung. Leer gingen bislang auch die Zwangsarbeiter aus, die polnischen Roma, die sterilisierten Frauen, die zwangsgermanisierten Kinder.

Roman Kwiatkowski ist weniger pessimistisch als Arnold Mostowicz. Der Vorsitzende der polnischen Roma hofft, daß die Bundesregierung jetzt nicht nur die jüdischen Holocaust-Opfer, sondern auch die Roma in Osteuropa entschädigen wird. Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Nationalsozialisten über 50.000 polnische Roma, fast Dreiviertel aller vor 1939 in Polen lebenden Roma, ermordet. Darüber hinaus hatten sie weitere 23.000 Sinti und Roma aus den besetzten europäischen Ländern nach Auschwitz verschleppt und umgebracht. "Wir sind nicht mehr viele. Im Roma-Verband der polnischen Holocaust-Überlebenden sind nur noch 2.000 Mitglieder registriert." Kwiatkowski hat der Bundesregierung schon eine erste Liste mit 137 Namen und vollständiger Dokumentation zukommen lassen. Er ist sich sicher: "Wenn die Claims Conference und die Bundesregierung jetzt für die in Polen lebenden Juden eine Rente aushandeln, werden auch wir eine Entschädigung erhalten."

Auch Emilia Kamiszczak (69) hofft, daß sie vielleicht noch eine Entschädigung erhalten wird. Mitte 1940 war die damals Zwölfjährige in eine Straßenrazzia geraten, eine Menschenjagd auf künftige Zwangsarbeiter. Sie wurde aus ihrem ostpolnischen Dorf nach Hamburg verschleppt und arbeitete dort vier Jahre lang bei einer gutbürgerlichen Familie als Kindermädchen und Haushaltshilfe. Als Emila Anfang 1945 in ihr Dorf nach Ostpolen zurückkehrte, stand dort keine Stein mehr auf dem anderen. Nach den Nazis hatten hier die Sowjets gewütet. Niemand wußte, wo die Eltern waren, die Geschwister, die Nachbarn. "Das Leben ist nie mehr normal geworden. Ich kannte niemanden, und nach vier Jahren in Deutschland sprach ich kaum noch polnisch. Überall streunten Kinder herum. Wir wurden wie Hunde behandelt." Es dauerte fast dreißig Jahre, bis sie erfuhr, daß Ihre Familie ins Innere der Sowjetunion verschleppt worden war. Die Eltern lebten bereits nicht mehr, und auch den Bruder, der heute irgendwo in Kasachstan wohnt, hat sie nie mehr wiedergesehen. Vor fünf Jahren bekam sie eine "humanitäre Hilfe" aus der Stiftung "Deutsch-polnische Aussöhnung": 500 Mark. Emilia Kamiszczak hat noch einen einzigen Traum: Sie würde gerne nach Hamburg fahren und noch einmal die alten Straßen entlanggehen: "Wie es da wohl heute aussehen mag?"

Doch die Chancen für die polnischen Zwangsarbeiter stehen schlecht. Für die Bundesregierung ist das ein einfaches Rechenexempel: es gibt zu viele. Von den ehemals drei Millionen polnischen Zwangsarbeitern leben noch rund 700.000. Nur eine einzige Firma, die Hamburgischen Elektrizitätswerke, hat auf das Konto der Stiftung "Deutsch-Polnische Aussöhnung" eine nennenswerten Summe überwiesen. Angeblich hat Kanzler Kohl nun dem polnischen Ministerpräsidenten Buzek versprochen, Druck auf die Unternehmen auszuüben, die in der Zeit des Dritten Reiches Umsatz und Gewinn steigern konnten. Auch sie sollen sich nun endlich der Vergangenheit stellen und den ehemaligen Zwangsarbeitern gegenüber wenigstens einen Teil der Schuld abtragen.

Im Warschauer Gemeindehaus direkt gegenüber der Synagoge ist es ruhig geworden. Die kleine Versammlung hat sich aufgelöst. Nur Arnold Mostowicz und Jakub Gutenbaum sitzen noch zusammen. Gutenbaum sieht aus dem Fenster und denkt nach. Mostowicz klopft vor Ungeduld auf die Tischplatte: "Die gönnen sich in Berlin ein Holocaust-Mahnmal! Und uns lassen sie hier vergammeln. Wenn sie die Millionen wenigstens für einen echten Friedhof ausgeben würden! Aber nein, es muß ja Kunst sein. Oh, die Deutschen haben schon immer viel übrig gehabt für das Wahre, Gute und Schöne!" Er lacht bitter auf, hält plötzlich inne in seinem Monolog: "Jakub, ich hab´s. Ich werde nach Berlin fahren. Da lasse ich mich mit Gips übergießen. Und dann stehe ich als Mahnmal mitten in Berlin. Kostenlos! Und das gesparte Geld geben wir den Juden im Osten."

Erschienen in der taz vom 24.02.1998

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