So viele Fälle, so wenig
Zeit
Verteidigungsausschuß berät das Thema
Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Angesichts der Fülle an Hinweisen
beschränken sich die Abgeordneten auf den Fall Roeder. Neue Einzelheiten
bekanntgeworden
Aus Bonn Bettina Gaus
Die Nerven liegen bloß im vorweihnachtlichen Bonn.
Erregt und wütend hält Karsten Voigt (SPD) ein Dokument in die laufenden
Kameras. Plötzlich wird es auf der anderen Seite des Flurs unruhig. "Das
ist empörend, das macht man nicht", schimpft Otto Hauser (CDU). Eine
"Ungehörigkeit" begehe Karsten Voigt, wenn er jetzt mit Informationen an
die Öffentlichkeit gehe, die der Auswärtige Ausschuß gerade erst
erhalten habe. Schließlich seien Ausschußsitzungen vertraulich. "Schlimm
genug, daß wir das erst jetzt erfahren haben", gibt Karsten Voigt
zurück. Ausschußunterbrechung, kurze Sitzung der Obleute. Dann haben
sich die Gemüter wieder beruhigt.
Die Brisanz des Dokuments bleibt bestehen. Auf der
Absenderkennung eines Fax, mit der das "Deutsch-Russische
Gemeinschaftswerk" die kostenlose Abgabe von Fahrzeugen und Werkzeugen
der Bundeswehr beantragt hatte, steht gut lesbar der Name "Roeder".
Entgegen dem, was Verteidigungsministerium und Auswärtiges Amt noch am
Vortag gesagt hatten, hätten aufmerksame Beamte also durchaus erkennen
können, daß zwischen der Organisation und dem Rechtsextremisten Manfred
Roeder eine enge Verbindung bestand. Viel Zeit blieb der Hardthöhe dafür
allerdings nicht: Sensationell schnell, nämlich innerhalb von weniger
als einer Stunde, leitete das Verteidigungsministerium den Antrag ans
Auswärtige Amt weiter, wie am Rande der Ausschußsitzung zu erfahren war.
Dabei fehlte es nicht an Warnsignalen, die auf die
politische Ausrichtung hindeuteten. Im Briefkopf bezeichnet sich die
Organisation als "Förderverein Nord-Ostpreußen". Daneben prangt ein
Wappen mit dem preußischen Adler. "Bei all diesen Voraussetzungen hätten
die Alarmglocken klingeln müssen", meint Karsten Voigt. Nur drei
Erklärungen kann es aus seiner Sicht dafür geben, daß dies nicht
geschehen sei: "Entweder grobe Fahrlässigkeit, schuldhaftes Verhalten
oder - was wir nicht wissen können - indirekte Übereinstimmung."
Die Alarmglocken haben mindestens im
Verteidigungsministerium oft versagt in den letzten Jahren. In der
Schriftenreihe "Information für die Truppe" findet sich in Heft 6 des
Jahres 1993 offen revanchistisches Gedankengut. Unter der Überschrift
"Ungewisse Zukunft für das nördliche Ostpreußen" wird die Lage in der
"derzeit Kaliningrad benannten Stadt" geschildert. Wörtlich heißt es in
dem Artikel: "Kaliningrad soll bald wieder in Königsberg oder Kantstadt
umgetauft werden". Angedeutet werden russische Befürchtungen, daß "gar
der Verlust auch noch dieses Territoriums" drohe, und daraus die
Folgerung abgeleitet: "Rußlandkenner meinen, man solle die
Empfindlichkeiten berücksichtigen und in den nächsten Jahren deshalb
nicht an den Zuständigkeiten rütteln."
Dem Verteidigungsausschuß lagen gestern so viele
Informationen über weitere Zwischenfälle mit revanchistischem oder
extremistischem Hintergrund bei der Bundeswehr vor, daß sie gar nicht
alle behandelt werden konnten. Die Abgeordneten beschränkten sich bei
ihren Beratungen weitgehend auf die Umstände, die zu dem Roeder-Vortrag
an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr geführt hatten.
Nach wie vor sind in diesem Zusammenhang viele Fragen
ungeklärt. Fest steht allerdings mittlerweile, daß ein schriftlicher
Befehl vom Stabschef, in dem das Thema des Vortrags und der Name des
Referenten aufgeführt waren, an 31 Mitglieder der Führungsakademie
verteilt wurde - darunter zahlreiche Offiziere. Die weiteren
Ermittlungen soll jetzt der Chefjurist der Hardthöhe,
Ministerialdirektor Dau, leiten. Mit dem Ergebnis wird in etwa einem
Monat gerechnet.
Das Ansehen der Bundeswehr hat inzwischen auch bei denen
gelitten, die sich immer für die Streitkräfte eingesetzt haben. Michael
Fürst ist beim Zentralrat der Juden in Deutschland für Bundeswehrfragen
zuständig, war nach eigenen Angaben der erste jüdische Freiwillige bei
der Bundeswehr und gilt wegen seines starken Einsatzes zugunsten der
Streitkräfte in der jüdischen Gemeinschaft als umstritten. Jetzt
schreibt Fürst in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung in
einem offenen Brief an Rühe, der Minister müsse "personelle
Konsequenzen" ziehen, ohne diese Forderung allerdings näher zu
erläutern. Nachdem die Bundeswehr durch vorangegangene Skandale
angeschlagen gewesen sei, bedeute die Affäre um Manfred Roeder ein
glattes K.o.
In rechtsradikalen Kreisen wird unterdessen offene
Genugtuung über die Affäre Roeder gezeigt. Die Jungen Nationaldemokraten
haben gestern in einer Pressemitteilung behauptet, Funktionäre ihrer
Organisation befänden sich in den Reihen der Bundeswehr. Diese "freuen
sich schon jetzt auf weitere Vorträge und Schulungen bedeutender
nationaler Oppositionspolitiker, wie zum Beispiel von dem Rchtsanwalt
Manfred Roeder".
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TAZ
Nr. 5405 vom 11.12.1997
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