5 Jahre Jüdische
Gemeinde Potsdam:
Neues jüdisches
Leben im märkischen Land?
HEINZ BÜLOW
Potsdam - Ein halbes Jahrzehnt nach
Neugründung einer jüdischen Gemeinde im neuen Bundesland Brandenburg
welche Erfahrungen hat man gemacht? Anlaß. für unseren
Auslandkorrespondenten Heinz Bülow, ,zu einem Gespräch mit dem Mitglied
des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Irina
Knochenhauer, Geschäftsführerin des Landesverbandes.
Mit dem Ende des kalten Krieges und der Einheit kam es
insbesondere auch durch die sogenannten Kontingentflüchtlinge aus der
ehemaligen Sowjetunion zu Gemeinde-Neugründungen in den neuen
Bundesländern. Die so entstandene jüdische Gemeinde in Potsdam zeichnet
sich durch eine Besonderheit aus: sie ist nicht nur Gemeinde, sondern
auch Landesverband für das märkische Bundesland zwischen Oder und Elbe.
Es ist noch nicht das mannigfaltige jüdische Leben,
wie es in den 30er Jahren auch in Brandenburg geblüht hat. Zu rigoros
wurde es ausgelöscht. Der letzte Vorhang fiel im Jahre 1949, als die
jüdische Gemeinde von den Behörden aus dem Vereinsregister gestrichen
wurde.
Inzwischen wächst die neue Gemeinde. Irina
Knochenhauer schätzt, daß durch den Zuzug die Zahl der
Gemeindemitglieder bis zum Jahresende auf mehr als 800 anwachsen wird.
Kleine jüdische Zentren sind - neben Potsdam - in Frankfurt an der Oder,
der Stadt Brandenburg und im Landkreis Potsdam-Mittelmark entstanden.
Die Frage näch der religiösen Ausrichtung der
Gemeinde, traditionell konservativ oder progressiv, wird von Frau
Knochenhauer lächelnd beantwortet: "Unsere Neuankömmlinge haben andere
Sorgen und Alltagsprobleme, als sich darüber groß Gedanken zu machen".
Die Neugründer gehen eigene Wege. Sie sind mit Wohnungs- und
Arbeitsplatzsuche voll ausgelastet.
Immerhin kann der Rabbiner zu jeder Sabbatfeier
zwischen 80 und 100 Personen begrüßen. Da noch keine Synagoge zur
Verfügung steht, drängt sich die Gemeinde in einer überfüllten Potsdamer
3-Zimmerwohnung.
Trotz aller Anfangsschwierigkeiten hat und will man
sich nicht entmutigen lassen. Die Gemeinde arbeitet mit den Kirchen in
Potsdam zusammen, ist Mitbegründerin des Verbands für
christlich-jüdische Zusammenarbeit und im Rundfunkrat des Ostdeutschen
Rundfunks Brandenburg vertreten.
Eine eigene Zeitung:
Orientierungshilfe
Recht stolz ist man auf ein verwirklichtes Projekt:
Die Herausgabe einer eigenen Zeitung: Aleph-Beth, professionell
aufgemacht, erscheint zweimal monatlich in russischer Sprache und ist
ein echtes Bindeglied für die Neueinwanderer geworden. "Die Zeitung ist
sehr populär und über die Landesgrenzen hinaus bekannt", berichtet Frau
Knochenhauer, andere Gemeinden richten bei uns schon eigene Seiten ein".
Eine weniger aufsehenserregende Arbeit ist das
Sich-Erinnern an das jüdische Leben im Land Brandenburg, erzählt Frau
Schumacher, Mitarbeiterin im Gemeindebüro. Vorhanden sind nur noch die
steinernen Zeugen der Friedhöfe. Lebende Zeugen oder deren Nachfahren
sind oft über die ganze Welt verstreut. Die Gemeinde bemüht sich,
Kontakte zu ehemaligen Brandenburgern zu knüpfen, um die Geschichte des
Judentums im märkischen Land nicht vergessen zu lassen. Ein besonderes
Anliegen der aufstrebenden Gemeinde ist ein vernünftiges
Gemeindezentrum. Die vom Land zur Verfügung gestellten Räume in der
Heinrich-Mann-Allee 103 in Potsdam sind in einem baulich schlechten
Zustand und als Treffpunkt wenig geeignet. Durch ein ansprechendes
Zentrum möchte man sich auch nach außen dokumentieren und die Potsdamer
einladen, daß sie uns kennenlernen", erklärt Frau Irina Knochenhauer und
fügt hinzu, "in einem größeren Haus würden wir auch einen Kindergarten
einrichten, der öffentlich genutzt werden könnte".
"Man zeigt sich in der Landesregierung wohl bemüht,
aber es scheint kein Konzept,zu geben", vermutet man in der Gemeinde. Im
ministeriellen Etatplan sind derzeit DM 300.000;- als jährliche
Unterstützumg für den Landesverband vorgesehen.
Für die Pflege der etwa 60 im Land verstreut liegenden
Friedhöfe ist hinsichtlich der Landesbeteiligung nun eine
Kabinettsvorlage in Arbeit. Wie aus dem Kulturministerium zu erfahren
war, bleibt zu hoffen, daß bis dahin auch die Frage "Gemeindezentrum"
zur Zufriedenheit gelöst werden kann.
Neues jüdisches Leben im märkischen Land?
Nach dem Schrecken von Auschwitz hätte diese Frage vor
einigen Jahrzehnten auch ein Optimist nicht bejaht. Ein repräsentatives
Gemeindezentrum in der Landeshauptstadt Brandenburgs - auf Zuwachs
geplant - sollte nun nicht am Landesetat scheitern.
Anfang 1998 sollen nun auch die Verhandlungen für den
Abschluß eines Staatsvertrages zwischen dem Land Brandenburg und der
jüdischen Gemeinde beginnen. Ein ähnlicher Vertrag besteht bereits mit
der evangelischen Kirche, der Vertrag mit der katholischen Kirche steht
kurz vor dem Abschluss.
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