Die schwierige Suche nach einer Identität
Zur 9. Internationalen Frühjahrs-Buchwoche in München: Thema
"Literatur aus Israel"
Israel, 1948 gegründet, feiert in diesem Jahr
sein 50. Jubiläum. Die Medien bringen täglich die dramatischen Ereignisse
ins Haus, die die Geschichte des Landes begleiten – was aber wissen wir
wirklich über diesen jüdischen Staat, dessen Entstehung auf tragische Weise
auch mit der deutschen Vergangenheit verknüpft ist? Jetzt bietet sich in
München die Gelegenheit, vieles aus der Innenperspektive kennenzulernen.
Heute beginnt die Internationale Buchwoche zum Thema „Literatur aus Israel“:
Bis zum 17. März lesen eine eindrucksvolle Reihe von Dichtern und
Schriftstellern aus ihren Werken und werden von deutschen Moderatoren
vorgestellt.
Das Hebräische ist lange eine Sakralsprache
gewesen. Es wurde nur im rabbinischen Schrifttum und in den Synagogen
verwendet. Erst Ende des 19. Jahrhunderts holte der Zionismus die alte
Sprache in den Alltag jüdischer Pioniere zurück, die sich zunächst aus
Osteuropa und dann auch aus anderen Ländern auf den Weg nach Palästina
zu machen begannen. Die neuhebräische Literatur entstand noch vor der
Gesellschaft, die sie lesen konnte, und schon ein halbes Jahrhundert vor
der Staatsgründung galt der aus Rußland stammende Chaim Nachman Bialik
als Israels Nationaldichter.
In einem Staat, dessen Bevölkerung aus
aller Welt zusammenströmte, mußten auch die Schriftsteller zunächst
Einwanderer sein. So war es bei Samuel Joseph Agnon, der aus Galizien
kam, und so war es bei dem Ungarn Ephraim Kischon. Im Werk Agnons – des
großen alten Mannes dieser Literatur, der 1966 gemeinsam mit Nelly Sachs
den Nobelpreis erhielt – findet ihr doppelter Boden den tiefsten
Ausdruck: Seine Prosa, zum großen Teil noch vor dem Zweiten Weltkrieg
entstanden, beschreibt kein neues Land, sondern den Untergang des
europäischen Judentums.
Doch die Gäste, die jetzt nach München
kommen, sind mit wenigen Ausnahmen schon im Lande geboren und begannen
erst nach der Staatsgründung zu schreiben. Das ist die große
Wasserscheide dieser Literatur. Als der Staat 1948 ausgerufen wurde,
begann nicht nur ein neues Kapitel in der Geschichte des jüdischen
Volkes, sondern auch die harte Wirklichkeit des Zionismus, der nun am
Ziel war und wie aus einem Traum erwachte. Israel, seit seiner
Geburtsstunde in einen Überlebenskampf verwickelt, konnte in seiner
Machtausübung nicht sehr wählerisch sein, und schon unter David Ben
Gurion entwickelten sich die Schriftsteller des Landes zur politischen
Opposition.
Nach dem Sechstagekrieg und seinen
Gebietseroberungen hat sich diese Tendenz noch verschärft. Mit dem
Jerusalemer Tempelbezirk und Städten wie Sichem und Hebron kam erst
jetzt das biblische Kernland unter israelische Kontrolle, und seit 1967
hat das eine fundamentalistische Rückläufigkeit ausgelöst, die der
Botschaft der modernen hebräischen Literatur deutlich entgegengesetzt
ist. Diese Literatur hat die Fesseln der Orthodoxie immer abzuwerfen
versucht, sie ist in ihrem Wesen säkular und antiklerikal und mußte
daher mit den Machthabern des jungen Staates in Kollision geraten.
Jehuda Amichai (73) ist der älteste und in
Deutschland wohl bekannteste Gast der Buchwoche. Er stammt aus Würzburg,
ist als Kind nach Palästina gekommen, und in seinem Werk bricht er schon
seit den fünfziger Jahren mit der Tradition. Er kommt aus orthodoxem
Hause, aber seine Lyrik verweigert sich allem „Höheren“, mit dem man die
Menschen beglücken und zugleich unterwerfen will.
Abraham B. Jehoschua (61), neben Amos Oz
der bedeutendste israelische Erzähler der mittleren Generation, legt in
seinem Werk das schwierige Verhältnis von israelischer Gegenwart und
jüdischer Vergangenheit bloß. Yoram Kaniuk (67), in Deutschland schon
sehr bekannt, greift das Thema noch radikaler auf: In oft grotesker
Satire beschreibt er die jüdische Identität des Israeli als seinen
wunden Punkt. Und Yehoshua Kenaz (60) schildert das unglückliche Leben
von Neueinwanderern, die sich nicht integrieren können und denen Israel
immer eine fremde Heimat geblieben ist.
Von anderer Art ist die Vergangenheit, die
Sami Michael (71) in sein Werk einbringt. In Bagdad geboren, gehört er
zur Minderheit israelischer Autoren, die in arabischen Ländern
aufgewachsen sind. Vor seiner Flucht im Jahre 1948 schloß er sich den
jungen Kommunisten im Irak an, und sein Werk zeichnet ein eindringliches
Bild von Juden und Arabern in Israel.
Zahlreicher noch als die ältere und
mittlere Generation ist die junge Literatur vertreten. Auf der Grenze
steht Meir Shalev (50), neben David Grossman der in Deutschland
bekannteste Erzähler dieser Altersgruppe. Er ist mit sehr erfolgreichen
Romanen hervorgetreten, die das zionistische Siedlungswerk ohne
biblischen Augenaufschlag als eine irdische, oft allzu menschliche
Familiensaga darstellen.
Die israelische Literatur, selbst noch
jung, hat für den internationalen Durchbruch zunächst einige Anlaufzeit
gebraucht. In Deutschland ist sie erst während der achtziger Jahre
bekannt geworden, und es ist ein Gütezeichen, daß nun auch ihre
Nachwuchsautoren gefragt sind. Aus der Zahl der jüngeren Gäste seien
hier stellvertretend drei genannt: Benny Barbasch (46) und Etgar Keret
(30) sind nicht nur als Erzähler, sondern auch als Drehbuchautoren
hervorgetreten; und Dorit Rabinyan (25) hat schon bald nach Beendigung
ihres Militärdienstes mit ihrem Romandebut Furore gemacht.
Die weltliche Öffnung der hebräischen
Literatur in Israel hat es mit sich gebracht, daß sie heute nicht nur
von Juden geschrieben wird. Auch eine kleine Gruppe arabischer Autoren
verwendet das Hebräische. Der Dichter Naim Araidi (47), ein Druse aus
Galiläa, ist einer von ihnen. Den Ängsten und Aggressionen im Nahen
Osten will er durch einen rationalistischen Humanismus begegnen, und er
ist sicher einer der interessantesten Teilnehmer an der Buchwoche.
Es ist zu hoffen, daß das reiche Angebot
ein großes Publikum findet. Abgerundet wird es durch ein Symposium und
Podiumsdiskussionen, an denen neben Publizisten, Kulturkritikern und
Filmemachern auch die Übersetzerinnen Ruth Achlama und Anne Birkenhauer
beteiligt sind. Ihnen verdankt der deutsche Leser einige der schönsten
Versionen, in denen die israelische Literatur heute zugänglich ist.
JAKOB HESSING - SZ vom 05.03.1998
Der Autor lebt als Übersetzer und Journalist in
Jerusalem.
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