haGalil in Schwierigkeiten:
"Wir kriegen haufenweise unappetitliche E-Mails"
Jüdisches Internetportal haGalil ist in
Schwierigkeiten. Bund zahlt keinen Zuschuß mehr. Ein Gespräch mit Andrea
Livnat.
Interview: Andreas Siegmund-Schultze
Junge Welt, 22.03.2005
F: Sie arbeiten für hagalil.com. Was verbirgt sich hinter
dem seit 1995 existierendem Internetauftritt?
haGalil ist heute das größte jüdische Bildungs- und Kommunikationsangebot in
Europa. Wir berichten täglich über jüdisches Leben in Deutschland, Europa
und Israel. Die Leser finden Hintergrundinformationen zur jüdischen
Religion, zu Israel und zum Nahostkonflikt, aber auch koschere
Einkaufstipps, Buchvorstellungen, Kinderseiten und vieles mehr.
F: Ihre Internetseite zielt auch darauf, neofaschistische Propaganda im
Internet zu bekämpfen ...
Auch das ist ein Schwerpunkt. Am wichtigsten ist dabei die
"Schutzwallfunktion", die haGalil in den Suchmaschinen einnimmt. Ziel ist
es, die nazistischen Webseiten von den vorderen Suchmaschinenrängen zu
verdrängen. Als wir unsere Arbeit begannen, führten Suchanfragen wie
"Judentum", "Talmud" und "Schächten" vorrangig zu rechtsextremen
Propagandaseiten.
Unser zweiter Ansatz nutzt die kommunikativen Möglichkeiten des Internets.
Die besten Vorraussetzungen für die Verständigung sind Begegnung und
authentische Information. Wir wissen längst, daß Antisemitismus gerade dort
am meisten verbreitet ist, wo wenig Juden leben. Unsere Internetseite wird
monatlich 300 000mal aufgerufen, jeden Tag erhalten wir Dutzende E-Mails mit
Anfragen von Schülern und Lehrern. Unsere Foren bieten viele Möglichkeiten,
daß Leser miteinander in Kontakt kommen. Auf diesem Wege lernte z. B. eine
Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde in Bayern kennen.
Gemeinsam gestalteten sie Vorträge in Schulen und Jugendzentren.
Außerdem haben wir schon 1997 das erste Meldeformular für
rechtsextremistische und antisemitische Seiten ins Netz gestellt. Wir leiten
die Beobachtungen unserer Leser nicht einfach an die Staatsanwaltschaften
weiter, sondern ermitteln die Täter selbst. Es sind keine neuen Gesetze
notwendig, die Anwendung der bestehenden würde ausreichen.
F: Geht es damit vorwärts?
Es geht voran. haGalil ist heute für viele Multiplikatoren erste
Anlaufstelle für Informationen zu jüdischem Leben. Wer im Internet sucht,
wird bald auf eine Seite von haGalil stoßen. Jährlich gehen über unser
Meldeformular etwa 1 000 Anzeigen ein, fast jede dritte Strafanzeige in
diesem Bereich ist auf unsere Anlaufstelle zurückzuführen.
F: Sie profitieren zur Zeit noch von Geldern, die Bund und Länder im
Sommer 2001 für den sogenannten Aufstand der Anständigen lockergemacht
haben. Warum ist haGalil jetzt in Gefahr?
Wir wurden bis Ende 2004 über das Bundesprogramm "entimon" indirekt
gefördert. Nach einem Wechsel des Trägervereins von hagalil.com hat das
Bundesfamilienministerium eine Weiterfinanzierung abgelehnt.
F: Wie geht das zusammen? Auf der einen Seite gibt es große Aufregung
über die Neonazis – andererseits wird Projekten wie Ihrem die
Existenzgrundlage entzogen.
Das fragen wir uns auch, ebenso die zahlreichen Unterzeichner eines Offenen
Briefes, der die weitere Förderung von haGalil verlangt. Vielleicht sollte
man die unangenehme Frage stellen, warum der »Aufstand« so wenig Erfolg
hatte, welche Projekte gefördert werden und in welchem Ausmaß.
F: Was wollen Sie jetzt unternehmen?
Wir möchten selbstverständlich unsere Arbeit fortsetzen und nicht daran
denken, was passiert, wenn haGalil als Gegengewicht zu rechten Haßseiten
wegfällt. Schon jetzt kriegen wir täglich haufenweise unappetitliche
E-Mails, und in der Jungen Freiheit und anderen rechten Medien wird
gejubelt: Jetzt hätten die Juden von haGalil endlich ihr wahres Gesicht
gezeigt und das Vorurteil bestätigt, daß es ihnen nur ums Geld geht. Ich
hoffe, daß man im Bundesfamilienministerium etwas davon mitbekommt.
Andrea Livnat ist leitende Redakteurin von
hagalil.com, einem
deutschsprachigen Internetforum über jüdisches Leben, Israel und
Antisemitismus.
hagalil.com 22-03-2005 |