Aktiv gegen Rechts im Internet
In der Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus
ist immer wieder die Rede von "Zivilgesellschaft" und "Projekten", die
gefordert und zu fördern sind. Dabei gibt es Initiativen, die seit Jahren
jenseits von Hochglanzbroschüren oder medialer Schaumschlägerei eine
kontinuierliche und vor allem erfolgreiche Arbeit leisten.
Der jüdische Onlinedienst haGalil.com gehört hier sicher dazu.
Das Gespräch führte Mark Querfurth
"antifa"-Gespräch mit Andrea Livnat, Tel Aviv, und Klaus Parker, Berlin
antifa: Was genau ist das Konzept von haGalil?
Andrea Livnat: haGalil ist heute Europas größtes jüdisches Bildungs- und
Kommunikationsangebot, das täglich aktuelle Nachrichten und
Hintergrundinformationen zu jüdischem Leben in Deutschland, Europa und
Israel liefert. Gleichzeitig ist haGalil eine der erfolgreichsten Maßnahmen
gegen Antisemitismus im Internet. Wir sind der Überzeugung, dass
Antisemitismus, Antizionismus und Hetze im Internet auch mit den
Möglichkeiten des Internets bekämpft werden müssen. Seit 1995, dem Beginn
der breiten Nutzung dieses Mediums, hat sich haGalil der immer stärker
werdenden nazistischen und antisemitischen Nutzung des Mediums
entgegengestellt.
Wir setzen dies auf drei strategischen Ebenen um. Am wichtigsten ist uns
dabei die Schaffung eines massiven Gegengewichts durch aufklärende Inhalte.
Nach dem Prinzip 100 Seiten Wahrheit gegen jede Seite Lüge und Hass, konnten
wir die nazistischen Webseiten von den vorderen Suchmaschinenrängen
verdrängen. haGalil steht bildet somit einen Schutzwall vor der Flut
antisemitischer Hetze im Internet. Unser zweiter Ansatz nutzt die
kommunikativen Möglichkeiten des Internets. Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit sind gerade dort am meisten verbreitet, wo die
wenigsten Juden leben. Für einen Jugendlichen in Brandenburg ist haGalil oft
die erste und einzige Möglichkeit, mit Juden in einen Dialog zu treten. Der
dritte Ansatz nutzt schließlich die juristischen Möglichkeiten: Bereits seit
1997 bietet haGalil das erste Online-Meldeformular für NS-Seiten, im Jahr
gehen hier ca. 1.000 Anzeigen ein.
Können Sie uns über einen aktuellen Fall einer Hass-Seite berichten?
Klaus Parker: Schon seit Jahren beobachten wir eine Verlagerung
einschlägiger nazistischer Internetseiten als vermeintlichen Schutz vor
strafrechtlicher Verfolgung ins Ausland. Dies hilft natürlich dann nicht,
wenn der oder die Täter trotz angestrebter Konspirativität breite Spuren im
Internet hinterlassen. Aus naheliegenden Gründen verbietet es sich, hier ein
aktuelles Beispiel anzuführen. Deshalb etwas schon fast Historisches aus
diesem Bereich: Eine norddeutsche "Kameradschaft" besorgte sich über einen
US-Provider höchst konspirativ Speicherplatz und füllte diesen mit ihren
Inhalten. Selbstverständlich - und das war natürlich beabsichtigt - waren
den deutschen Strafverfolgungsbehörden die Log-Dateien (Protokolldateien des
Servers) nicht zugänglich.
Da die Betreiber auch ein Forum einbinden wollten, taten sie dies und ließen
dieses in einem Frame (Rahmen) laufen. Der erste Eintrag kam vom
"Netzmeister" selbst und lautete: "Heil Hitler, das Forum ist eröffnet". Der
kleine, aber entscheidende Fehler dieser norddeutschen "Kameraden" bestand
darin, dass sie sich eines Anbieters kostenloser Foren bedient hatten, der
seinen Sitz im süddeutschen Freiburg (Breisgau) hatte. Und dort auf dem
Server lagen auch die Log-Dateien, zugänglich für die zuständige
Staatsanwaltschaft.
haGalil onLine erhält keine staatliche Förderung?
Andrea Livnat: Nach etwas über zweijähriger Förderung durch "entimon", hat
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Förderung
überraschend gekappt. Der formale Vorgang eines Trägerwechsels, der aufgrund
anhaltender Auseinandersetzungen mit dem bisherigen Trägerverein "Tacheles
reden! e. V." nötig wurde, gab den Anlass. Die Ablehnung wird bürokratisch
formal begründet, es geht um Fristen, Drittmittel und Ausrichtung des
Projektes. Damit ist das seit mittlerweile zehn Jahren aktive
Bildungsangebot massiv in seiner Existenz bedroht. Im Moment wissen wir
nicht, wie wir haGalil weiter erhalten können.
Wie können die Leserinnen und Leser der "antifa" haGalil onLine
unterstützen?
Andrea Livnat: Die Leserinnen und Leser können uns weiterempfehlen, auf
unseren Seiten kann ein Offener Brief unterzeichnet werden, der an die
Bundesfamilienministerin und an Bundeskanzler Schröder zur Weiterförderung
von haGalil aufruft, und selbstverständlich hat haGalil auch einen
Förderverein, für den man spenden kann. Wir freuen uns, dass es in der
vergangenen Zeit eine verstärkte Kooperation mit der "antifa" gab und die
Redaktion uns einige Artikel zum Exklusiv-Abdruck vorab zur Verfügung
gestellt hat. Und die beste Unterstützung ist natürlich, haGalil regelmäßig
zu lesen.
Das Gespräch führte Mark Querfurth
Ca. 30 Prozent aller Verurteilungen in Deutschland wegen
rechtsextremistischer Straftaten, die über das Internet begangen werden,
sind auf Mitteilungen von haGalil-Lesern zurückzuführen.
hagalil.com 06-04-2005 |