MEMRI Special Dispatch – 29.
November 2005
Kritik an saudischen Kassetten:
Mit Sex für den Jihad werben
In der saudischen Tageszeitung
Al-Iqtisadiyya kritisierte der saudische Wissenschaftler und Kolumnist
Sa’ad Al-Sowayan das große Angebot religiöser Audio-Kassetten in Saudi
Arabien, mit denen insbesondere junge Menschen zum Jihad aufgerufen
werden sollen. Dabei würde vor allem die Verheißung sexueller
Belohnungen im Paradies Teenager ansprechen, weil diese ihre sexuellen
Bedürfnisse in den konservativen arabischen Gesellschaften nicht
ausleben könnten.
Im folgenden dokumentieren wir Auszüge aus
dem Artikel vom 15. November 2005 [1]:
Religiöse Kassetten werben für den Jihad
"Die Zahl der Geschäfte, in denen man
religiöse Kassetten kaufen kann, ist so groß, dass sie nur von der der
Lebensmittelgeschäfte übertroffen wird. [...] Der Großteil der Tapes,
die man in diesen Geschäften kaufen kann, ist interessant. Wenn man
allerdings genau hinschaut, stellt man fest, dass sie sich darauf
konzentrieren, Jugendliche dahin zu bringen, ihre Ideen und ihr
Jihadprogramm zu übernehmen.
Diese Kassetten drängen meist zum
bewaffneten Jihad, ohne genauer zu sagen, wann oder wo. Sie treten für
einen Jihad um des Jihads Willen ein. Es handelt sich um eine
Mobilisierungskampagne, in der der Jihad zu einer Art Geisteszustand und
Lebenshaltung wird. Sie verlangen von Dir, das miese und erbärmliche
irdische Leben aufzugeben, den weltlichen Freuden abzuschwören und
stattdessen Dein Leben dem Jihad zu widmen und als Märtyrer auf seinen
Schlachtfeldern zu sterben."
'Das spirituelle Märtyrertum wird auf
einen 'Jihad der Lust' reduziert'
"Die grundlegenden Anliegen des Islam –
die Verbreitung des Islam [da’wa], die Menschen zu Gott zu rufen, der
Monotheismus [tawheed] und ein Islam, der den Menschen Sicherheit,
Gerechtigkeit und Gleichbehandlung bringt – all das wird marginal im
Vergleich zu den Freuden, die ein Märtyrer im Jenseits gewinnen kann:
Freuden, die an die Stelle weltlicher Freuden treten und sie überflüssig
machen."
"Der moderne Märtyrer reduziert auf diese
Weise das spirituelle Martyrium [im Namen Gottes] auf einen Jihad, dem
es um Lust, äußerstes Vergnügen und einen Nirwana-artigen Rauschzustand
geht."
"Die Jihad-Kassetten beschreiben einen
Weg, dem man folgen muss, um zum Märtyrer zu werden und als Belohnung
die paradiesischen Jungfrauen mit ihren schönen großen Augen zu
erhalten. Das reduziert das erhabene Ziel des spirituellen Märtyrertums
auf einen bloßen Akt der Lust, auf eine egoistische Suche nach sexueller
Befriedigung, die vollkommen davon absieht, worauf das Märtyrertum
eigentlich im Dienste der Allgemeinheit und für die Erhaltung von Gottes
Wort abzielt.
Mit den Aufforderungen, das irdische Leben
aufzugeben und sich auf ein Jenseits vorzubereiten, in dem der Märtyrer
belohnt wird, sollen die Kassetten den Verstand so programmieren, dass
das Konzept vom Selbstmord und Sich-in-die-Luft-jagen als [islamisches]
Prinzip anerkannt wird. Wer davon überzeugt ist, dass sexuelle Lust als
Belohnung auf ihn wartet, wird nicht zögern, Selbstmord zu begehen: In
Erwartung der Freuden des Jenseits als Kompensation für die aufgegebenen
diesseitigen Freuden sucht er ohne Furcht den Tod.
Das Verführerischste für Teenager ist nun
einmal Sex. Das gilt besonders in konservativen Gesellschaften wie den
unseren. Und genau an diese Jugendlichen, für die der Sex eine so
wichtige Rolle spielt, richtet sich der Diskurs der religiösen
Kassetten. Sie sprechen die Jugendliche auf dem Weg über die
paradiesischen Jungfrauen an, genau wie Jugendliche heutzutage auch
durch Fotos von Schauspielerinnen oder Popsängerinnen angesprochen
werden. Ist es da nicht angebracht, die sexuelle Unterdrückung in
unseren konservativen Gesellschaften als einer der Faktoren zu
betrachten, die zu solchen Verirrungen führen? [...]"
Das magische Rezept für's Paradies
"Niemals hört man sie auf den Kassetten
über die wesentlichen weltlichen Probleme sprechen - das einzige
Reformprojekt, das sie anzubieten haben, liegt im Jenseits. Sie reden
so, als ob nicht unser gnädiger und barmherzige Gott, sondern sie selbst
den Schlüssel zum Paradies in der Hand hätten. Und sie bieten ein
magisches Rezept an, mit dem man an ihrem Projekt im Jenseits teilnehmen
kann: sich selbst in die Luft zu sprengen.
Hören Sie genau zu, was auf diesen
religiösen Kassetten vermittelt wird und Sie werden sehen, dass
mythische an die Stelle von religiösen Zielen getreten sind. Sie
erklären die Welt wird zu einem dreckigen Ort und das Jenseits wird zu
einem mythischen Utopia. [...] Zuerst teilen sie die Welt in zwei Lager:
das eine, zu dem man selbst gehört, ist das Lager Gottes, und das andere
ist das Lager Satans, das man bekämpft. Danach wird man in eine Welt des
mythischen Denkens gezogen, in der das rationale Denken abgeschaltet
wird und der Verstand in Suggestionen und Irrationalität versinkt."
'Die Araber müssen ihr Problem mit dem
anderen Geschlecht lösen'
"Aber vielleicht ist das Phänomen von
Jihadisten, die das Märtyrertum suchen, um zu den paradiesischen
Jungfrauen zu gelangen, ja nur das Symptom einer tief in unserer
Gesellschaft verwurzelten und das ganze kulturelle System verheerenden
Krankheit. Die Krankheit, die ich meine, ist die sexuelle Phobie, unter
der die arabische Kultur leidet. Bevor die Araber ihre Probleme mit
ihren Regierungen und die Regierungen ihre Probleme mit dem Terrorismus
lösen können, müssen sie erst ihre Probleme mit dem anderen Geschlecht
lösen."
[1] Al-Iqtisadiyya (Saudi Arabien), 15.
November 2005. Der Artikel erschien auf Englisch auch in der Saudi
Gazette vom 17. November 2005.
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