19. Jüdische Kulturtage vom 27. November bis 11.
Dezember 2005
„Der heute kommt und morgen bleibt – das jüdische
Berlin der Zwanziger Jahre“
Interview
mit dem künstlerischen Leiter des Festivals, Dominique Horwitz
Interview: Jens Haentzschel
Herr Horwitz, die „Goldenen“ 20er Jahre stehen im
Mittelpunkt der diesjährigen „Jüdischen Kulturtage“. Eine höchst kreative
wie produktive Phase Berliner Kultur. Wie schwer war es, diese Epoche in
einem vierzehntägigen Festival quasi zusammenzufassen?
Dominique Horwitz: Wenn man zehn Jahre nachempfindbar machen will, dann ist
die Aufgabe natürlich schier unlösbar. Mir ging es als künstlerischer Leiter
darum, eher ein Klischee dieser Zeit, das jeder von uns kennt und in sich
trägt, zum Bröckeln zu bringen. Man denkt, dass sind die „goldenen“
Zwanziger und in dem Wort „golden“ ist das Wort „wild“ und „überbordend“
natürlich inbegriffen.
Aber die Not dieser Epoche ist da völlig ausgeblendet, ebenso der Versuch
einer politischen Neuorientierung oder der absolute politische Lebenskampf.
Das ist nicht das, was uns meist bildhaft hängen geblieben ist.
Nach welchen Ansätzen haben Sie das Programm entworfen?
Dominique Horwitz: Unser erster Ansatz war die Frage, was für einen
Stellenwert diese überbordende Epoche damals in Berlin für die Welt hatte.
Berlin war der größte, wichtigste und erotischste Magnet. Keine Metropole
kann es sich vornehmen, solch eine hohe kulturelle Bedeutung in der Welt zu
genießen. Alle sind hierher gekommen, nicht nach New York, Lon-don oder
Paris. Unser anmaßendes Ziel für die „Jüdischen Kulturtage“ war es, ein
Gefühl dieser damaligen Kraft heute zu vermitteln.
Was für einen Stellenwert hat das heutige Berlin für Sie?
Dominique Horwitz: Wir behaupten als Festivalmacher einfach, dass Berlin
heute einen ähnlichen Stellenwert hat. Das ist natürlich eine anmaßende und
ziemlich selbstbewußte Haltung. Aber fest steht, dass Berlin eine aufregende
Metropole ist. Alle wollen nach Berlin. Deswegen haben wir uns mit unserem
Programm entschlossen, nicht an dem Berlin der Zwanziger Jahre kleben zu
bleiben. Wir haben außergewöhnliche Künstler zu den „Jüdischen Kulturtagen“
eingeladen, die sich auf die „Goldenen Zwanziger“ beziehen.
War die Programmvielfalt aus Musik, Theater, Literatur, Film und
Ausstellungen von Anfang an geplant oder hat sie sich langsam entwickelt?
Dominique Horwitz: Wir wollten vielfältig sein – unbedingt, auch wenn es
letztlich immer nur ein kleiner Abriss bleibt. Wichtig für uns war es, die
verschiedenen Themen auf möglichst sinnliche Weise darzubringen.
Mir erscheint das Programm überaus jung...
Dominique Horwitz: Das hat viel mit meiner Lebenseinstellung zu tun. Ich
finde, das Museale interessiert letztlich nur einige Spezialisten. Ich
glaube, dass wäre keine richtige Bereicherung. Wenn Fotos da ausgestellt
sind, wo der Gegenstand früher stand, dann ist das et-was anderes. Das ist
eine andere sinnliche Wahrnehmung.
Der einzig gangbare Weg ist für mich der Offensivere, der behauptet, das was
einmal war, hat Spuren hinterlassen und hat die Kultur des zwanzigsten
Jahrhunderts unglaublich beeinflusst. Dennoch leben wir heute und wenn wir
es genießen wollen, müssen wir einfach gucken, was es heute für uns
bedeutet. Das ist der einzig richtige, künstlerische Angang.
Gab es bei der inhaltlichen Gestaltung Korrekturen oder Überlegungen
etwas anders zu machen?
Dominique Horwitz: Nicht entscheidend. Irgendwann habe ich gemerkt, das
Programm ist doch sehr musikalisch, aber musikalisch auf eine Art, die ein
ganz wichtiges Element missen lässt, nämlich der Überlebenskampf, die
Ausbeutung, die Not. Deshalb sind wir auf das „Ma-hagonny-Songspiel“ von
Bert Brecht und Kurt Weill gekommen. Es ist inhaltlich ein musikalisches
Gegenmoment.
Das Songspiel ist zugleich ihre Regiearbeit. Ist der Spagat zwischen
künstlerischer Leitung und eigener Regiearbeit ein Spagat, der Ihnen
gefallen hat, beiden Seiten – der Praxis und der Theorie - ein Profil zu
geben?
Dominique Horwitz: Es ist natürlich eine Möglichkeit, die eigene Handschrift
noch deutlicher herauszuarbeiten für ein Festival. Ich hätte aber auch das
Songspiel in Szene gesetzt, wenn ich nicht Festivalleiter gewesen wäre und
umgekehrt. Ich hatte das Angebot, die „Jüdischen Kulturtage“ zu leiten,
angenommen, ohne überhaupt über eine Regie nachzudenken. Das hat sich
entwickelt.
Was nimmt man als Künstler überhaupt mit, wenn man sich mit dieser Epoche
der „Roaring Twenties“ beschäftigt. Ich kann mir vorstellen, man kennt viele
Namen, kennt Stücke, Lieder, Bücher. Was bleibt?
Dominique Horwitz: Man lebt heutzutage in einer Zeit, die es einem überhaupt
nicht leicht macht, sich zu positionieren. Gleichzeitig ist es auch eine
Zeit, in der vieles möglich ist. Wenn man zurückschaut auf die Zwanziger
Jahre des 19. Jahrhunderts wird einem schwin-delig. Ich muss auch sagen
Angst und Bange. Ich verspüre diese Fiebrigkeit, diese Aufge-regtheit, wenn
wichtige Zeiten anbrechen, aber ich spüre auch diesen immensen Kampf, den es
bedeutete in dieser Zeit zu leben. Aber ich würde mich jetzt nicht beklagen,
dass ich als Künstler nicht in dieser Epoche gelebt habe.
Kunstfestivals im Allgemeinen aber auch die „Jüdischen Kulturtage“ haben
es in Zeiten knapper Kassen nicht einfach. Ist der Reiz größer, ein Festival
zu leiten, wenn das Geld knapp ist?
Dominique Horwitz: Ich beschäftige mich wenig mit kulturpolitischen Fragen.
Ich bin angefragt worden und ich dachte, das ist ja eine aufregende
Herausforderung. Das ist das, was mich ausmacht. Ich weiß, um die
finanziellen Mittel des Festivals, und dass es dadurch nicht einfach wird,
war auch klar.
Was sind in dem Programm ganz persönlich ihre kleinen Favoriten? Worauf
sind Sie besonders stolz?
Dominique Horwitz: Wir haben ganz, ganz viele interessante Programmpunkte.
Für mich ist das Programm mit Anna Kubin eine große Freude: ihre Hommage und
zugleich Reverenz an die großen Kabarettisten und Sänger der Zwanziger
Jahre. Das ist ein Highlight, was niemand bisher hat sehen können. Wir
können neben dem Mahagonny-Songspiel also gleich zwei eigene Produktionen
aufweisen. Das ist ein großes Glück.
Ein
weiterer Reiz: das Spiegelzelt als neuer Spielort.
Dominique Horwitz: Ja, denn zum ersten Mal gibt es einen zentralen Ort, wo
fast alles stattfindet. Wir haben eingeschränkte Mittel, eingeschränkte
Zeit. Ein Zelt ist kein Nationaltheater, es gibt keine Werkstätten. Wir
wussten, wir werden kein ganz großes Stück aufführen können, kein großes
Theaterstück. Wir bleiben jetzt letztlich bei der ästhetischen
Grundentscheidung: alles findet an einem Ort statt.
Gleichzeitig ist es auch ein intimerer Ort?
Dominique Horwitz: Für mich sind die Zwanziger so etwas wie ein Todeszirkus,
das hat was mit dieser Geschwindigkeit zu tun, mit den Gefahren, die
bestanden. Wo kann man das am besten zum Ausdruck bringen als in einem Zelt,
einem Zirkuszelt. Ich kann es mir nicht besser vorstellen als in einem
solchen Zelt. Es ist ein ziemlich extremes, farbenfrohes Zelt. Ja, es ist
wie ein bunter Kreisel dieses Zelt und es hat eine große Entsprechung finde
ich, was die Zeit, die Zwanziger, anbelangt.
Was ist rückblickend zu kurz gekommen?
Dominique Horwitz: Nichts, es ist das Beste, was wir haben zustande bringen
können – mit unseren Mitteln. Man steht nicht vor der Alternative, machen
wir es lieber kleiner oder größer und aufwendig: Wir wussten, wir müssen uns
bescheiden und eingeschränkte Möglichkeiten sind ein ungeheurer Antrieb, die
Fantasie zum Laufen zu bringen. Alles in allem bin ich ziemlich stolz, auf
das, was wir zustande gebracht haben.
Was wünschen Sie sich für das Festival?
Dominique Horwitz: Mein Wunsch wäre, das viele Menschen, die eigentlich
nicht ins Theater gehen oder kulturell nicht so interessiert sind, sich die
„Jüdischen Kulturtage“ anschauen. Es sind so viele interessante
Veranstaltungen, die sich jenseits dessen befinden, was man sonst so kriegt.
Wir wollen uns breit machen.
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