"Bewegung für Frankreich":
Zwei sind zwei zu viel
Der rechtsextreme Front National des
Jean-Marie Le Pen hat Konkurrenz bekommen: die "Bewegung für Frankreich" von
Philippe de Villiers.
Von Bernhard Schmid, Paris
Jungle World 48 v.
30.11.2005
"Ich hoffe, dass man künftig dem Arzt, der seit vielen
Jahren eine richtige Diagnose gestellt hat, mehr vertrauen wird als den
Ärzten, die sich mit ihrer Diagnose geirrt haben." Das sagte der
französische Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen am Montag der vorletzten
Woche auf einer Kundgebung vor knapp 500 Anhängern in der Nähe des Pariser
Louvre. Auf der Veranstaltung forderte er härtere staatliche Reaktionen auf
die Unruhen in den französischen Vorstädten. Denn der Arzt mit der richtigen
Diagnose ist selbstverständlich Le Pen selbst, der Vorsitzende des Front
National (FN).
Die angebliche Krankheit, die der selbst ernannte Mediziner seit nunmehr
25 Jahren jedes Mal diagnostiziert, wenn es in den französischen Banlieues
zu Unruhen kommt, nennt er wahlweise ein "ethnisches Problem", ein
"Einwandererproblem" oder ein "Moslemproblem". Inzwischen sprechen auch
führende bürgerliche Politiker von den "ethnischen" Ursachen der Unruhen
statt von der sozialen Lage, der Perspektivlosigkeit und der Ghettoisierung.
(Jungle World, 47/05)
Die jüngsten Krawalle haben in der französischen Gesellschaft bewirkt, dass
immer öfter ein autoritäres Vorgehen des Staates gefordert wird und die
Ursachen der Unruhen rassistisch interpretiert werden. Dabei wird meist
darüber hinweggesehen, dass auch Weiße an den Unruhen beteiligt waren. Der
junge Mann, der zu der höchsten Strafe im Zusammenhang mit den Unruhen
verurteilt wurde, zu vier Jahren Haft ohne Bewährung, heißt nicht Mohammed
oder Mamadou, sondern Jérémy van G. Seine Vorfahren wanderten zwar nach
Frankreich ein, aber aus dem benachbarten Belgien.
Dennoch kann sich Le Pen derzeit nicht zurücklehnen und ruhig darauf warten,
dass ihm aus der gegenwärtigen Situation ein Vorteil erwächst. Denn er hat
rechtsaußen eine Konkurrenz bekommen, den Rechtskatholiken und
nationalkonservativen Grafen Philippe de Villiers. Dieser steht an der
Spitze einer kleinen Partei, des Mouvement pour la France, der Bewegung für
Frankreich (MPF).
Während Anfang November die Unruhen in den Vorstädten ihren Höhepunkt
erreichten, traf de Villiers vor zahlreichen Kameras in der Pariser
Trabantenstadt Epinay-sur-Seine mit Jacques Bompard zusammen, dem von Le Pen
aus allen Parteiämtern entfernten Bürgermeister von Orange. Gemeinsam
schwadronierten de Villiers und Bompard über einen "ethnischen Bürgerkrieg",
über "unkontrollierte Masseneinwanderung" und einen angeblichen Aufstand der
Moslems gegen das christliche Frankreich.
Medienwirksam kündigten sie die Gründung eines "Kollektivs der Mandatsträger
der Republik gegen das Ausländerwahlrecht" an. Wenige Tage zuvor hatte der
konservative Innenminister Nicolas Sarkozy, um sein Image als harter, aber
gerechter, repressiver und zugleich integrationswilliger Staatsmann bemüht,
sich dafür ausgesprochen, ein Wahlrecht für Ausländer auf kommunaler Ebene
in Erwägung zu ziehen. Während der Unruhen witterten de Villiers und Bompard
ihre Chance zum Angriff: Jenseits seiner Parolen von Law & Order sei der
Innenminister in Wirklichkeit ein Schwächling.
Damit hatten Bompard und de Villiers Le Pen vorübergehend in rechtsextremer
Propaganda übertrumpft. Zumal dieser sich nicht selbst in die Banlieues
begab, sondern zehn Tage nach dem Auftritt de Villiers und Bompards seine
Kundgebung vor treuen Parteigängern im historischen Zentrum von Paris
abhielt. Le Pen und seine Tochter Marine, die eines Tages die Parteiführung
übernehmen soll und in der Partei sehr umstritten ist, stellten während der
Krawalle moderate Forderungen, zumindest im Vergleich zu dem, was die
bürgerliche Rechte selbst durchsetzte.
Marine Le Pen etwa forderte Anfang November die Verhängung örtlicher
Ausgangssperren in den Unruhezonen, was die konservative Regierung kurz
darauf unter Rückgriff auf die Notstandsgesetzgebung tatsächlich beschloss.
Die Le Pens kritisierten die Regierung und Innenminister Sarkozy selten
direkt, sondern wiesen lediglich darauf hin, dass ihre Partei "das Original"
sei und die konservativen Sicherheitspolitiker nur "die Kopie". Allerdings
verstärkte Jean-Marie Le Pen später seine Agitation, indem er auf seiner
Kundgebung die Forderung erhob, alle Aufenthaltstitel für Ausländer künftig
auf ein Jahr zu befristen.
Dagegen bemühten sich Bompard und de Villiers darum, die Regierungspolitik
auch beim Thema der inneren Sicherheit zu kritisieren und Innenminister
Sarkozy scharf anzugreifen. Sie forderten, die Armee statt der Polizei in
die Banlieues zu entsenden, um die Unruhen niederzuschlagen. Diesen
Vorschlag griff die Regierung jedoch nicht auf, obwohl die Armee in der
zweiten Novemberwoche zeitweise in den Alarmzustand versetzt worden war.
Mit dem im Jahr 1994 gegründeten MPF ist dem Front National eine ernst zu
nehmende Konkurrenz erwachsen. Die Partei de Villiers erklärte Ende August
öffentlich, auch ehemalige Kader des Front National aufzunehmen. Inzwischen
wurde der frühere Leiter der Jugendorganisation des Front National,
Guillaume Peltier, Generalsekretär des MPF. Den rechtsextremen Funktionären
bietet das MPF die Möglichkeit, im Rahmen einer Organisation, die bisher
nicht durch offene Sympathien für Nazis auffiel, ihre rechte Politik zu
betreiben.
Die politischen Profile des Front National und des MPF sind dabei nicht
völlig identisch: De Villiers agitiert vor allem gegen Homosexuelle,
Schwangerschaftsabbrüche, gegen Moslems und einen EU-Beitritt der Türkei als
"islamisches Land". Diese Themen beschäftigen zwar auch die Anhänger Le
Pens. Die Elemente eines antisemitisch unterlegten "Antikapitalismus von
rechts", die in Teilen des Front National anklingen, finden sich aber in der
Partei de Villiers kaum wieder. Deswegen hat das MPF derzeit auch noch
Probleme, über das traditionelle Bürgertum und die konservative
Mittelschicht hinaus in den armen Schichten der Bevölkerung Unterstützung zu
finden. Vielleicht ändert sich das aber durch die rechte Agitation de
Villiers während der Unruhen.
hagalil.com 02-12-2005 |