Das Achtzehngebet:
Schlüsselwörter jüdischen Denkens
Von Yitzhak Ahren,
Jüdische Korrespondenz
12/2005
Das Achtzehngebet, das täglich dreimal gesprochen wird,
hat man als das wichtigste jüdische Gebet bezeichnet. Erfreulicherweise ist
jetzt unter dem Titel "Alle Morgen neu" die deutsche Fassung eines soliden
holländischen Lehrbuchs über dieses Gebet auf den Markt gebracht worden.
Es ist bemerkenswert, dass wir die Übersetzung der
umfangreichen Monographie über das Achtzehngebet Christen verdanken. Der
Herausgeber, Pfarrer Gernot Jonas aus Namedy, erwähnt in seinem "Vorwort"
viele Menschen und Institutionen, die die Veröffentlichung der deutschen
Ausgabe ermöglicht haben. Der Verlag mag in erster Linie an eine christliche
Leserschaft gedacht haben; in der Tat gibt es in unseren Tagen immer mehr
Christen, die sich von einer Vertiefung in jüdische Quellen ein besseres
Verständnis ihrer eigenen Religion erhoffen.
Programmatisch heißt die Reihe, in der das Lehrbuch
erschienen ist: "Israelitisch denken lernen". Es ist zu wünschen, dass die
"Einführung in die jüdische Gedankenwelt anhand eines der wichtigsten
jüdischen Gebete" – so der Untertitel des Bandes – auch in jüdischen Kreisen
die große Beachtung findet, die ein solches Werk ohne Zweifel verdient.
Gerade jüdische Beter brauchen einen guten Kommentar zum
Achtzehngebet. Vermutlich ahnen viele Männer und Frauen gar nicht den
Reichtum der Gebetstexte, die sie regelmäßig aufsagen. Mit Recht bemerken
die Autoren, dass man bei der Lektüre von Erläuterungen zum Gebetbuch viele
Überraschungen erlebt.
"Alle Morgen neu" – dieser Titel spielt an auf einen Vers
im Buch Echa (3,23) – enthält sowohl grundsätzliche Bemerkungen über das
Gebet in der jüdischen Überlieferung als auch ins Detail gehende Analysen
der neunzehn Segenssprüche, aus denen das Achtzehngebet besteht. Die
Verfasserin und die drei Verfasser dieses Lehrbuches haben aus zahlreichen
Quellen geschöpft und das zusammengetragene Material leserfreundlich
aufbereitet. Diverse Register ermöglichen es, die "Einführung in die
jüdische Gedankenwelt" als ein Nachschlagewerk zu benutzen.
Das Achtzehnbittengebet wird in zwei Durchgängen
besprochen. In einer "kurzen Erklärung" der einzelnen Segenssprüche werden
die jeweiligen Schlüsselbegriffe herausgearbeitet und erörtert: "Jeden Tag
werden im Achtzehngebet diese Schlüsselworte 'gelernt' – nichts wird als
selbstverständlich angenommen." Wer jüdisches Denken begreifen will, sollte
die Schlüsselbegriffe studieren, die im Achtzehngebet zu finden sind.
Danach werden in einer "ausführlichen Erklärung " einzelne
Formulierungen untersucht und ihre Implikationen deutlich gemacht. Da fast
jedes Wort und jeder Satzteil aus dem Achtzehngebet auf eine Bibelstelle
verweist, ziehen die Autoren den Schluss: "Beim Gebet spricht Gott also
genauso zum Menschen wie der Mensch zu Gott." Sie stellen die These auf:
"Das Gebet ist eine Lektion, die uns mit unserem Auftrag konfrontiert."
Die Programmpunkte dieses Auftrags werden systematisch
herausgearbeitet, und zwar in einer Sprache, die nicht nur Fachleute
verstehen. Jedes der vielen hebräischen Zitate ist ins Deutsche übersetzt
worden. Schade ist, dass die hebräischen Texte nicht fehlerfrei sind; die
Tatsache, dass wohl die meisten Leser diese Fehler gar nicht bemerken
werden, ist nur ein schwacher Trost.
In "Alle Morgen neu" findet der Leser nicht nur schöne
Auslegungen des Achtzehngebets, sondern auch einige religionsgesetzliche
Vorschriften, die das Gebet betreffen. So wird z.B. folgende Passage aus dem
Kodex von Maimonides sogar zweimal zitiert. "Der Mensch muss sich selbst mit
der Gemeinschaft verbinden und darf nicht nur für sich allein beten, sobald
er Gelegenheit hat, zusammen mit der Gemeinschaft zu beten." (Hilchot Tefila
8, 1). Und die Leser erfahren, dass Jehuda Halevi in seinem philosophischen
Werk "Der Kusari" mehrere Gründe angeführt hat, warum das Gemeinschaftsgebet
besser ist als das individuelle Gebet. Es würde mich nicht wundern, wenn
eine sorgfältige Lektüre der hier vorgestellten Publikation den einen oder
anderen dazu bewegen könnte, öfters am Gottesdienst in der Synagoge
teilzunehmen.
Die holländischen Autoren und die Mitarbeiter an der
deutschen Ausgabe verdienen jedenfalls Lob und Anerkennung.
Douwe J. van der Sluis, Peter J. Tomson, Dodo J. van
Uden und Eli Whitlau, Alle Morgen neu. Einführung in die jüdische
Gedankenwelt anhand eines der wichtigsten jüdischen Gebete. Wittingen:
Erev-Rav 2005. XVII und 362 Seiten. 19,90
HaTefilah:
Die Amidah bzw.
das Achtzehn Gebet
Das Achtzehngebet, Schmone
Esre, ist von solcher Bedeutung, daß es den Mittelpunkt jeden G'ttesdienstes
bildet. Da dieses Gebet stets stehend gesprochen wird, bezeichnet man es
auch oft als die 'Amidah'...
hagalil.com 05-12-2005 |