Medien-Schmankerl:
Nahöstliche Preußen trotz Ungehorsam
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Trotz der Pflicht, sachlich und neutral zu Berichten,
trotzen deutschsprachige Medien der nahöstlichen Wirklichkeit. Trotz eigener
Interessen der Parteien in Nahost, glauben manche Reporter, dass Kritik,
Beschuss, Druck oder Widerstand nicht getrotzt werden dürfe. Beim Durchgehen
von Kurzmeldungen aus Nahost, kommt man trotz Unvollständigkeit schnell zum
Schluss, dass entweder die Berichterstattung ziemlich zum Trotzen ist, oder
aber, dass von den nahöstlichen Streitparteien preußischer Gehorsam erwartet
wird.
Wie kann sein, dass "Israels Regierungschef Ariel Scharon trotz
gegenteiliger Forderungen der US-Regierung die Siedlungsaktivitäten im
Westjordanland vorantreibt..." Ebenso unglaublich: "Israel setzt trotz
massiver Kritik der USA seine Offensive gegen palästinensische Extremisten
fort." Scharon gehorcht weder den USA noch den Siedlern: "Newe Dekalim
(Reuters) - Israel hat am Dienstag trotz des Widerstands radikaler Juden den
Abzug aus dem Gaza-Streifen fortgesetzt." Die ARD-Tagesschau schlug sich
zeitweilig auf die Seite der Rückzugsgegner, indem sie in Scharon erneut den
mythologischen Hardliner ausmachte: "Premier Ariel Scharon aber lässt sich
trotz massiver Proteste nicht von seiner harten Haltung abbringen: Der
Gaza-Streifen wird geräumt."
Auch laut DeutschlandRadio blieb Scharon hart, "trotz Unruhen im
Gazastreifen: Ungeachtet der palästinensischen Raketenangriffe will Israel
am Zeitplan für den Abzug aus dem Gazastreifen festhalten." Die Basler
Zeitung kritisierte Israels Bauvorhaben im Westjordanland, denn: "trotz
US-Bedenken, könnte dies einen Frieden in Nahost zunichte machen." Offenbar
glauben die Schweizer, dass in Nahost ein Frieden herrscht, der zunichte
gemacht werden könnte. Scharon ist ein ziemlich trotziger Brocken, wenn er
weder auf Amerikaner, Siedler oder radikale Juden hört und nicht einmal
palästinensischem Beschuss Folge leistet.
Doch nicht nur Scharon muss Gewehr bei Fuß stehen, wenn Amerikaner, Siedler
oder Palästinenser etwas sagen. "Hamas droht Israel trotz vollendetem
Abzug". Der "Stern" stellte fest, dass es zu einem "Selbstmordanschlag trotz
Gaza-Räumung" gekommen sei und der NDR wusste: "Radikale
Palästinensergruppen hatten angekündigt, ihren Kampf gegen Israel trotz des
Rückzugs aus dem Gaza-Streifen fortzusetzen." Dabei hat Hamas keinerlei
ideologische Kehrtwende angekündigt.
"Trotz Scharons Drohung: Hamas will sich zur Wahl stellen." Unglaublich,
dass die radikale Hamas sich nicht den Befehlen Scharons beugt. Nicht einmal
religiöse Feste werden respektiert. "Trotz des Fastenmonats Ramadan, der am
Dienstag anfing, muß Abbas schon in den nächsten beiden Wochen ein
Übergangskabinett zusammenstellen." Aus Rafah im Süden des Gazastreifens
berichtete Reuters: "Trotz Warnschüssen ägyptischer und palästinensischer
Polizisten haben Tausende Palästinenser erneut den von Israel übernommenen
Grenzstreifen überrannt..." Da sieht man es wieder. Nicht einmal Warnschüsse
bringen die Menschen zur Vernunft. Gleichwohl berichtete die FAZ: "Trotz
unzureichender Grenzkontrollen hat Israel eine Rückkehr seiner Armee an die
palästinensisch-ägyptische Grenze ausgeschlossen. ..."
Der Standard in Wien berichtete: "Die radikale palästinensische
Hamas-Bewegung hat sich trotz der jüngsten Angriffe seiner Anhänger gegen
Israel zur inoffiziell geltenden Waffenruhe bekannt." Klar doch. Wer einen
Anschlag verübt, spricht sich für die Fortsetzung des Waffenstillstandes
aus, um nicht mit einem Gegenschlag gestraft zu werden. Die Basler Zeitung
formulierte es ähnlich: "Trotz des jüngsten Selbstmordanschlags in Israel
haben sich die militanten Organisationen der Palästinenser zur Feuerpause
bekannt."
Reuters in Gaza scheint schöne Worte des Palästinenserpräsidenten für bare
Münze gehalten zu haben: "Trotz des Versprechens von Palästinenser-Präsident
Mahmud Abbas, weitere Attacken auf Israelis zu unterbinden, haben militante
Palästinenser..." Auch N24 berichtet über Angriffe militanter Palästinenser
mit Mörsergranaten "trotz der jüngsten Appelle des palästinensischen
Präsidenten Mahmud Abbas".
Die "Kleine Zeitung" in Graz wundert sich, dass Israel seine Sperranlage in
Ost-Jerusalem "trotz internationaler Kritik" baut, doch InfoRadio stellt
fest: "Trotz Sperranlage und offiziell erklärter Waffenruhe ist es am
gestrigen Dienstag einem 18 jährigen Palästinenser..."
Einen köstlichen Widerspruch lieferten Berichterstatter nach dem schweren
Erdbeben in Pakistan. Erst hieß es: "Die pakistanische Regierung nimmt
offenbar trotz des verheerenden Erdbebens keine humanitäre Hilfe aus Israel
an." Wenig später kam: "Trotz der gespannten Beziehungen zwischen den beiden
Staaten nimmt Pakistan nach dem Erdbeben von vergangener Woche Hilfe aus
Israel an."
Den Höhepunkt lieferte die Deutsche Welle: "In einem Land, in dem zwei
Völker seit Jahren miteinander streiten, gibt es trotzdem einen Ort, an dem
Palästinenser und Israelis friedlich zusammenleben." Das war freilich eine
sehr trotzige Entdeckung in einem Land mit arabischen Abgeordneten,
arabisch-jüdischen Städten wie Haifa und Tel Aviv-Jaffo, arabischen
Offizieren, Botschaftern und stellvertretenden Ministern.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 07-11-2005 |