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Die deutsche Familienpolitik führt geradewegs ins Fiasko:
Unvorstellbare Zustände

Nur ganztägige Kinderbetreuung außer Haus könnte das ändern.

Ein Plädoyer von BARBARA VINKEN

Der hinter uns liegende Wahlkampf hat gezeigt, dass es in Deutschland in Sachen Familienpolitik zwei grundsätzlich verschiedene Modelle gibt: Die Union setzt auf Steuerfreibeträge und damit auf das vermeintlich Altbewährte. Die Grünen setzen auf einen radikalen Wandel: auf die breite Einrichtung von Ganztagskinderkrippen, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen.

Die Union steht damit in einer Tradition, die die deutsche Familienpolitik parteiübergreifend seit dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hat. In krassem Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn hat man hierzulande nie auf außerhäusige Kinderbetreuung, sondern immer darauf gesetzt, den Ehemann in den Stand zu setzen, Frau und Kinder zu finanzieren. Kindererziehung gehört nach dieser Überzeugung ins Haus und in die Hände der Mütter, die deshalb für den Arbeitsmarkt nur unter besonderen Bedingungen zur Verfügung stehen. Diese Überzeugung findet ihren institutionellen Ausdruck darin, dass in der Bundesrepublik nur fünf Prozent der Kinder unter drei Jahren Kindertagesstätten besuchen – und das verdanken wir der DDR (Dänemark im Vergleich 75 Prozent). Dass die verlässliche Grundschule eine Errungenschaft ist und selbst Realschule und Gymnasium keine Ganztagsschulen sind, das sind für fast alle anderen europäischen Staatsbürger/innen schlicht und einfach unvorstellbare Zustände.

Man mag von der Auffassung, dass die Erziehung in die Familie gehört, halten, was man will. Fest steht jedenfalls, dass die auf dieser Überzeugung fußende Politik, die bis vor kurzem auf einen parteienübergreifenden Konsens rechnen konnte, sich nicht bewährt hat. Sie ist desaströs fehlgeschlagen. Dank und nicht trotz des Credos, dass Kindererziehung Familienangelegenheit, sprich Müttersache ist, sind die demographischen Daten nicht gerade erheiternd; dank und nicht trotz dieses Credos sind unsere Kinder so schlecht ausgebildet; dank und nicht trotz dieses Credos verdienen die Frauen in Deutschland verglichen mit ihren europäischen Nachbarinnen so erschreckend viel weniger als die Männer. Kurz gesagt, verbindet sich eine niedrige Geburtenrate (Deutschland 1,3 pro Frau, Frankreich 2,1) mit einem im europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Anteil in Vollzeit berufstätiger Frauen. Und als wäre das des Scheiterns nicht genug, kommt noch ein weiterer beunruhigender Faktor hinzu: 44 Prozent der Akademikerinnen zwischen 35 und 39 Jahren sind kinderlos. Die Elite des Landes, heißt das in der Presse, pflanzt sich nicht fort.

Die harten Fakten werden gern verschleiert

Die Überzeugung, dass Erziehungsarbeit Müttersache ist, hat zur logischen Konsequenz, dass die Mutter bestenfalls halbtags arbeiten kann und der Vater der Hauptverdiener ist – eine, abgesehen von allem anderen, für die Gesellschaft nicht eben kostengünstige Lösung. Verschleiert werden die harten Fakten dieser Politik unter dem Stichwort der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und der „partnerschaftlichen Umverteilung der Aufgaben“, sprich „Neue Väter“. Diese Vereinbarkeit ist nun aber gerade nicht gegeben. „Vereinbarkeit“ hieß im Klartext die Integration der Mutter in den Arbeitsmarkt unter Ausnahmebedingungen: dreijährige Erziehungspause bei Garantie des Erhalts der Stelle, Halbtagsstellen, und, neues Mantra, „Flexibilisierung“. „Vereinbarkeit“ bedeutet in der Realität der Arbeitswelt, dass weibliche Berufswege vom Dreiphasenmodell geprägt sind: Ausbildung und erste Berufserfahrung, dann der weitgehende oder völlige Ausstieg aus dem Beruf und Konzentration auf die Familienphase, dann Rückkehr in den Beruf. Diese Rückkehr, wenn sie überhaupt stattfindet, erfolgt zu, sagen wir vorsichtig, suboptimalen Bedingungen. Die Karriereschritte, die die Väter in der Zeit gemacht haben, sind bei den Müttern unterblieben. Er ist ins mittlere Management aufgerückt, sie steigt als freie Mitarbeiterin bei einer Provinzzeitung ein. In dieser Art von Mutterschutz, die Frauen dauerhaft erfolgreich aus den Karrieren kickt, ist Deutschland international führend. Mütter als gleichberechtigte Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt gibt es in dieser Vorstellung nicht.

Angesichts eines solchen Fiaskos, sollte man meinen, hilft nichts mehr, als alle Ideologie fahren zu lassen und pragmatisch zu werden. Offensichtlich wollen viele Frauen den Preis eines erfüllten Berufslebens nicht mehr für die Kinder zahlen. Die SPD und die Grünen schicken sich an, den deutschen Sonderweg zu verlassen und sich auf den mühsamen Weg nach Europa zu machen, sprich auf die außerhäusige Erziehung der Kinder zu setzen und so Beruf und Familie tatsächlich vereinbar zu machen. Es ist ein weiter, dorniger Weg und die Frage ist, ob eine solche Politik Chancen hat, angenommen zu werden. Die vom baden-württembergischen Staatsministerium beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegebene Studie zu den Einflussfaktoren auf die Geburtenrate – Ergebnisse einer Repräsentativbefragung der 18 bis 44-jährigen Bevölkerung, die zu Beginn dieses Jahres veröffentlich wurde, lässt einen da eher schwarz sehen. Berufstätigkeit und Kinder werden in Deutschland – so kann man die Allensbachstudie pointiert zusammenfassen – nämlich nicht als vereinbar, sondern als alternativ aufgefasst. „Mehr als in anderen Ländern dominiert in Deutschland die Überzeugung, dass sich Berufstätigkeit und Mutterschaft nur schwer vereinbaren lassen.“ Und das ist kein empirischer Befund – es geht ja hierzulande de facto wirklich kaum – sondern eine Norm.

Vollkommen einig ist sich die überwältigende Mehrheit der Frauen, unabhängig davon, ob sie Kinder bekommt oder nicht, nämlich darin, dass man beides, Kinder und ein erfülltes Berufsleben, nicht haben kann. Das hinwiederum macht die Ehe als Versorgungsinstanz unumgehbar. Eine solche Rollenverteilung, in der der Ehemann verdient und die Ehefrau das Haus besorgt, steht nun aber in schroffstem Gegensatz zu unserem Selbstbild: Wir verstehen uns als gleichberechtigte Gesellschaft, die eine gleichberechtigte Verteilung der Belastungen durch die Familie anstrebt und beiden Geschlechtern gleiche Verwirklichungen im Beruf einräumt. Kinder bedeuten deswegen in Deutschland vor allem: Rückfall in ein Rollenmodell, das man für überwunden hält, Rückfall in eine Paarstruktur, die als überholt gilt, Rückfall in wirtschaftliche Abhängigkeit, die mit unseren Normen eines gelungenen Lebens nicht zu verbinden ist. Frauen, die sich für Kinder entscheiden, nehmen den Verlust von sozialen Kontakten, von beruflichen Chancen und finanzielle Nachteilen hin. Vor allem aber büßen sie nach eigenen Aussagen gesellschaftliches Prestige ein. Mütter begeben sich hierzulande mit bestem Wissen und Gewissen in der überwältigenden Mehrheit in eine Situation, die sie selbst für unaussprechlich halten. Frauen – und Männer – , die sich gegen Kinder entscheiden, entscheiden sich damit vor allen Dingen gegen die Regression in eine solche Paarstruktur. Beide, Leute mit Kindern und ohne Kinder, vereint bei entgegengesetzter Entscheidung eine in Europa einmalige dogmatische Verhärtung, die das, was überall um uns herum passiert, zum Tabu erklärt: die jenseits der Grenzen und manchmal sogar nebenan in alltäglicher Selbstverständlichkeit vorgelebte Vereinbarkeit von Kindern und Berufsleben für Mütter. Und für dieses selten ausgesprochene, aber umso wirksamere Dogma, das keiner empirischen Prüfung standhält, bezahlen wir gesellschaftlich, vor allem privat einen viel zu hohen und – das ist die eigentliche Tragik – ganz und gar überflüssigen Preis; überflüssige Müttermärtyrinnen auf der einen, überflüssiger Verzicht auf Kinder auf der anderen Seite.

Ab sofort ist Mut gefordert – und ein neues Leitbild

Wenn wir in einem Land leben wollen, in dem Kinder die Norm sind – und dafür, meine ich, sprechen nicht nur die Lücken in der Rentenver- sorgung, sondern dafür spricht das Glück, das Kinder sind – dann steht die Politik vor einer wirklich schwierigen Aufgabe. Sie muss nämlich nicht nur für die Einrichtung von Ganztagsinstitutionen sorgen. Sie muss außerdem den Mut haben, ein neues Leitbild zu propagieren. Sie muss den Leuten und vor allem den Frauen klarmachen, dass man beides, Kinder und ein erfülltes Berufsleben ganz entspannt und ohne schlechtes Gewissen haben kann. Ein erster Schritt in dieser Richtung ist bereits getan: Das Image von Kindertagesstätten ist im Wandel. Sie werden nicht mehr durchgehend als Verwahranstalten für die Kinder der Mütter gesehen, die es sich halt nicht leisten können, zu Hause zu bleiben. Langsam werden sie wie in Dänemark oder Frankreich als Ort begriffen, wo Kinder Wertvolles lernen und Glückliches erfahren. Ähnliches gilt für Ganztagsschulen. Mut sollten aber vor allem die Kinder unserer Nachbarn machen. Die französischen und dänischen Kinder sind nicht neurotischer als unsere. Sie weisen keine Verwahrlosungserscheinungen auf und haben keine ernsthaften Leistungsblockaden – und das, obwohl sie in beiden Ländern spätestens vom dritten Lebensjahr an ganztägig in Kindergärten und später selbstverständlich ganztägig zur Schule gehen. Selten hat es eine breitere und zufriedenstellendere empirische Basis für sozialen Wandel gegeben. Und deswegen kann man nur sagen: Es ist wirklich höchste Zeit, etwas zu tun. Machen wir uns auf den Weg nach Europa. Die Autorin ist Literaturwissenschaftlerin in München. Ihr Text ist ein Beitrag zur neuen „virtuellen Akademie“.

www.perspektiven.verdi.de

hagalil.com 28-11-2005

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